09.05.2023Fachbeitrag

Update Dispute Resolution 2/2023

Krypto-Litigation: Konfliktlösung „on chain“

Ziel der Blockchain-Technologie ist ein schneller und sicherer Handel mit sog. Token (digitale Wertpositionen). Dabei sollen technische Mechanismen rechtliche Regeln weitgehend ersetzen. Kommt es allerdings zum Streit über Blockchain-Positionen, entscheiden nach wie vor staatliche Gerichte, deren Entscheidungen von staatlichen Organen vollstreckt werden. Dem treten vermehrt Initiativen entgegen, die den Konflikt unmittelbar in der jeweiligen Blockchain entscheiden und vollstrecken wollen. Allerdings birgt dies eine Reihe von Unsicherheiten.

Die Ausgangslage

Die Blockchain-Technologie versteht sich selbst als Antwort auf das verlorengegangene Vertrauen in staatliche Institutionen während der Weltfinanzkrise 2007/2008 (vgl. Nakamoto, Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, 2008). Der Kerngedanke dahinter lässt sich entsprechend wie folgt zusammenfassen: Das Vertrauen in den Staat wird durch Vertrauen in die Technik und die rechtliche Berechtigung wird durch technische Berechtigung ersetzt.

Das Problem: „off chain“-Verfahren für „on chain“-Probleme

Allerdings basieren Transaktionen in einer Blockchain auf Verträgen außerhalb der Blockchain (Kaufverträge etc.). Kommt z.B. ein Verkäufer von Kryptowerten (z.B. Bitcoins) seiner Verpflichtung zur Übertragung dieser Werte nicht nach, entscheiden im Streitfall staatliche Gerichte, deren Entscheidungen dann im Wege der „herkömmlichen“ Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden müssen (vgl. dazu unsere Mandanteninformation vom 10.02.2022).

Auch sog. Smart Contracts, bei denen vertragliche Regelungen in einen Algorithmus übersetzt werden, um einen automatischen Selbstvollzug des Vertrages zu ermöglichen, ändern daran grundsätzlich nichts. Denn darüber, ob der automatisierte Vertragsvollzug rechtmäßig war oder nicht, entscheiden am Ende ebenfalls Gerichte.

Die Konfliktlösung und Rechtsdurchsetzung geschieht damit weiterhin meist „off chain“. Dies entspricht kaum dem Ansinnen der Blockchain-Technologie und vielen ihrer Nutzer. Es überrascht daher nicht, dass in den letzten Jahren vermehrt Gestaltungen entwickelt wurden, die diesen Bruch überwinden sollen – wobei deren Mehrwert zum Teil zweifelhaft erscheint.

Schiedsverfahren und/oder Schiedsgutachten

Als grundsätzliche Lösung bieten sich zwei Verfahren an, die bereits in der analogen Welt herangezogen werden, um Streitigkeiten außerhalb des staatlichen Instanzenzugs schnell und mit fachspezifischer Expertise zu entscheiden. Gerade letzteres kann aufgrund der technischen Komplexität der Materie von entscheidender Bedeutung für die Konfliktparteien sein.

  • Schiedsverfahren

    Zum einen kann das Verfahren vor staatlichen Gerichten durch ein privates Schiedsverfahren ersetzt werden. Ein Vorteil von Schiedsverfahren ist insbesondere ihre internationale Akzeptanz: 168 Vertragsstaaten der New York Convention erkennen Entscheidungen privater Schiedsgerichte grds. an und vollstrecken diese entsprechend.

    Gerade bei der Vielzahl grenzüberschreitender Blockchain-Streitigkeiten kann dies vieles erleichtern – begonnen bei der Frage nach dem zuständigen Gericht, über die Frage des anwendbaren Rechts, bis hin zur Vollstreckung.

Eine wichtige Ausnahme davon stellt im Hinblick auf Kryptowährungen China dar: Zwar hat China die New York Convention ratifiziert. Allerdings ist der Handel mit Kryptowerten in China gesetzlich verboten. Entsprechend hat China die Vollstreckung von Schiedssprüchen, die auf Übertragung von Kryptowerten gerichtet sind, mit Hinweis auf den ordre-public-Grundsatz verweigert.

  • Generell problematisch kann es jedoch sein, dass die Vereinbarung eines Schiedsverfahrens je nach Jurisdiktion teilweise erheblichen Beschränkungen unterliegt: So erfordert der wirksame Abschluss einer Schiedsvereinbarung mit Verbrauchern nach deutschem Recht etwa die Unterzeichnung eines separaten Schiedsvertrags (§ 1031 Abs. 5 ZPO). Gerade im Massenverkehr stellt dies damit eine wesentliche Hürde dar, weshalb diese Option eher für den unternehmerischen Verkehr (B2B) oder Blockchains mit begrenztem Nutzerkreis in Betracht kommt.

Liberaler gestaltet sich die Rechtslage nach dem Schweizer Recht, das zwar für die Schiedsvereinbarung den Nachweis durch Text erfordert, ansonsten aber jede Art von Streitigkeiten zwischen beliebigen Parteien als schiedsfähig erachtet.

  • Leistungsbestimmung durch Dritte (sog. Schiedsgutachten)

    Da sich gerade Blockchain-Streitigkeiten häufig auf die Frage reduzieren, wem welcher Token zusteht, kommt zum anderen auch die Leistungsbestimmung durch einen Dritten in Betracht (nach deutschem Recht in §§ 317 ff. BGB geregelt). Dieses Verfahren wird auch „Schiedsgutachtenverfahren“ genannt, wobei dieser Begriff freilich missverständlich ist, da es sich gerade nicht um ein Schiedsverfahren im oben genannten Sinne handelt. Der Drittanbieter wird hier nicht als Richter tätig, sondern als „Vertragssteuerer“, der durch seine Entscheidung unmittelbar in die Leistungsbeziehung der Parteien eingreift.

    Schiedsgutachten haben sich in der analogen Welt insbesondere bei Streitigkeiten um variable Kaufpreise und Vergütungen sowie (Bau-)Mängel als schnell, effektiv und vergleichsweise kostengünstig erwiesen. Anders als Schiedsverfahren schließen sie zwar nicht ein gerichtliches (Folge-)Verfahren aus; aufgrund ihrer Bindungswirkung, die nur dann entfällt, wenn die Entscheidung „offenkundig unbillig“ ist (§ 319 BGB), sind sie allerdings relativ gerichtsfest.

    Anders als Schiedsverfahren sind Schiedsgutachtenverfahren i.d.R. auch leichter vertraglich zu vereinbaren. Da sie kein formelles Verfahren voraussetzen und auch kein Schiedsgericht konstituiert werden muss, sind sie im Weiteren schnell und unkompliziert durchführbar.

    Problematisch ist hier aber vor allem der Weg bis zur Zwangsvollstreckung sowie das auf das Verfahren anwendbare Recht: Die Entscheidung des Schiedsgutachters ist nicht direkt vollstreckbar, vielmehr muss im Falle der Leistungsverweigerung seitens des Schuldners die Entscheidung erst durch ein Urteil vollstreckungsfähig tituliert werden, was also einen weiteren Zwischenschritt erfordert. Ferner unterliegen Schiedsgutachtenverfahren je nach Jurisdiktion sehr unterschiedlichen Rechtsgrundsätzen.

Beide Optionen können auch kombiniert werden, indem einem Schiedsverfahren zunächst ein Schiedsgutachten vorangestellt wird.

Abgrenzungs- und Durchführungsschwierigkeiten

Schwieriger gestaltet sich aber nicht selten die Abgrenzung beider Optionen. Dies gerade dann, wenn sie im Hinblick auf die Bedürfnisse und Erwartungen von Blockchain-Nutzern zum Teil bis zur Unkenntlichkeit modifiziert werden – wenn etwa die Entscheidungshoheit einem Gremium aus dutzenden oder gar hunderten Mitgliedern eines Peer-to-Peer-Netzwerkes überlassen werden soll. Hinzu kommt die begriffliche Unschärfe, die auch im Englischen besteht. So werden beide Verfahren nicht selten als „arbitration“ bezeichnet, obwohl dies eigentlich nur auf echte Schiedsverfahren zutrifft.

Im Grundsatz gilt: Wollen die Parteien den Streit – erkenntlich – vollständig der staatlichen Gerichtsbarkeit entziehen, liegt eine Schiedsvereinbarung vor. Ansonsten dürfte meist nur von einer Leistungsbestimmung durch einen Dritten auszugehen sein (wobei der Dritte auch ein Gremium wie etwa ein Peer-to-Peer-Netzwerk sein kann).

Zu beachten ist allerdings, dass je nach Jurisdiktion gewisse Ansprüche an das schiedsgerichtliche Verfahren gestellt werden:

So muss nach deutschem Recht z.B. das Schiedsgericht ordnungsgemäß bestellt werden und die Entscheidung des Schiedsgerichts (der Schiedsspruch) muss schriftlich abgefasst und unterschrieben werden, was etwa bei Entscheidungen eines Peer-to-Peer-Netzwerkes praktisch kaum durchführbar sein dürfte. Hier eignet sich das Schiedsgutachten also eher, weil es weniger strengen Vorgaben unterliegt.

Im Hinblick auf die Entscheidung durch das eigene oder ein externes Peer-to-Peer-Netzwerk liegt daher tendenziell eher eine Leistungsbestimmung durch Dritte vor (also ein Schiedsgutachten). Probleme können hier aus der Vergütung der Teilnehmer resultieren. Eine solche sollte nicht so gewählt sein, dass Fehlanreize geschaffen werden. Im schlimmsten Fall kann das gewählte Vergütungssystem sogar zur offenkundigen Unbilligkeit der Entscheidung führen.

Im Ergebnis ist es damit nicht allein mit der Entscheidung für ein außergerichtliches Verfahren getan. Wichtig ist vor allem dessen praktische und rechtliche Durchführbarkeit. Am Ende nützt es den Parteien wenig, ein schnelles und kostengünstiges Verfahren durchgeführt zu haben, wenn dieses vor staatlichen Gerichten später wieder angegriffen werden kann.

Alte Verfahren mit „digitalem Anstrich“

In der Praxis gibt es einige Ansätze, diese beiden etablierten Verfahren zur alternativen Streitbeilegung im Hinblick auf Blockchain-Sachverhalte weiter anzupassen. Sei es durch ein digitalisiertes Verfahren, die Beschränkung von Beweismitteln außerhalb der Blockchain, Anonymisierung, oder die Dokumentation der Verfahrensschritte bzw. Beweismittel in einer eigenen Blockchain.

Dabei dürfte es sich meist aber nur um Kosmetik handeln. Nicht selten wird alter Wein in neuen Schläuchen angeboten. Selbst wenn für das Schiedsverfahren oder das Schiedsgutachten eine eigene Blockchain verwendet wird, macht das das Verfahren noch nicht zur „on chain dispute resolution“. Denn am Ende steht jeweils eine Entscheidung, die nur „off chain“ wirkt und erst durch die staatliche Zwangsvollstreckung in der Blockchain vollzogen wird.

Auf dem Weg zur echten „on chain dispute resolution“

Insofern überrascht es nicht, dass einige Marktteilnehmer einen Schritt weiter gehen und Entscheidung unmittelbar in der Blockchain umsetzen wollen.

Technisch ist dies relativ einfach möglich, indem dem Entscheider im Zuge seiner Beauftragung zugleich auch die technische Berechtigung eingeräumt wird, über die streitigen Positionen zu verfügen (z.B. durch Verknüpfung der streitbefangenen Blockchain mit der Blockchain des Streitbeilegungsanbieters).

Der Vorteil dieser Konfliktlösung liegt auf der Hand: Es entfällt zunächst ein staatliches Verfahren zur Titeldurchsetzung – allerdings mit einigen Risiken (siehe dazu sogleich). Ein wesentlicher Aspekt ist dabei auch, dass damit das Identifikationsrisiko entfällt. Gerade bei Blockchains des Massenverkehrs besteht nicht selten das Problem, die Gegenseite nicht genau genug zu kennen (z.B. postalische Zustellungsadresse), um entsprechende Maßnahmen in die Wege leiten zu können.

Die Risiken der Scheinvollstreckung

Unabhängig davon, ob man einem privaten Entscheider aber generell so viel Macht einräumen will, bestehen bei dieser Konstellation auch rechtliche Risiken:

  • Scheinvollstreckung

    Tatsächlich handelt es sich bei dieser Form des Selbstvollzuges nicht um eine Vollstreckung im gesetzlichen Sinne. Der Entscheider handelt hier lediglich auf Basis technischer Ermächtigung (die in seinem eigenen Interesse durch eine rechtliche Berechtigung abgesichert sein sollte).

    Weder ein Schiedsspruch noch ein Schiedsgutachten können auf diese Weise gerichtsfest vollzogen werden.
     
  • Kein Schlusspunkt, sondern ggf. Ausgangspunkt weiterer Streitigkeiten

    Damit ergibt sich auch an dieser Stelle erneut das Problem, dass ein vermeintlich schnelles und kostengünstiges Verfahren am Ende doch vor staatlichen Gerichten angegriffen werden kann.

    Insgesamt würde sich das Verfahren gegenüber einem herkömmlichen Verfahren damit sogar verlängern und verteuern.
     
  • Risiken für den Anbieter

    Letztlich setzt sich damit auch der Anbieter solcher Konfliktlösungstools gewissen Risiken aus. Dies zum einen gegenüber den Parteien. Zum anderen aber auch regulatorisch.

Ausblick

Eine Lösung dieses grundsätzlichen Problems ist derzeit nicht erkennbar. Tatsächlich dürfte die Tokenisierung des Handels an dieser Stelle vorerst an seine Grenzen stoßen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass eine alternative Konfliktlösung per se nicht sinnvoll wäre. Entscheidend ist vielmehr, die richtige Konfliktlösung für die jeweilige Blockchain und das jeweilige Nutzerprofil zu finden bzw. selbst zu entwickeln.

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