Update Dispute Resolution April 2021 | Update Investmentfonds 022
BGH verneint Haftung der Gründungsgesellschafter für Prospektmängel bei Klagen wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung
(BGH XI ZB 35/18)
Die Problemstellung
Nach dem Scheitern einer Vielzahl geschlossener Fonds in den Jahren nach der Finanzkrise der Jahre 2008/2009, betroffen waren insbesondere Schiffsbeteiligungen, haben tausende Anleger Klagen auf Zahlung von Schadenersatz erhoben. Zur Begründung haben sie ausgeführt, die Gründungsgesellschafter hätten sie durch fehlerhafte Prospekte über die Risiken der Beteiligungen unzureichend informiert und dadurch ihre vorvertraglichen Aufklärungspflichten verletzt.
Zum Zeitpunkt der Klagen waren die Ansprüche wegen spezialgesetzlicher Prospekthaftung nach dem Verkaufsprospektgesetz bereits verjährt. Dort begann die dreijährige Verjährung mit der Zeichnung der Beteiligung. Diese drei Jahre waren zum Zeitpunkt der Klagen bereits abgelaufen. Die Kläger beriefen sich darum auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Haftung wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten.
Da die Gerichte in den einzelnen Verfahren regelmäßig die Klagen wegen Prospektfehlern abwiesen, gingen Anlegeranwälte in den letzten Jahren verstärkt dazu über, Kapitalanlegermusterverfahren in der Hoffnung anzustrengen, dort mit ihren Prospektrügen durchzudringen.
Dem schob der 11. Zivilsenat des BGH in einem Beschluss nach einer Rechtsbeschwerde in einem Kapitalanlegermusterverfahren einen Riegel vor. Er lehnte die Anspruchskonkurrenz ab und wendete stattdessen den Grundsatz an, dass spezielle Gesetze allgemeine Gesetze verdrängen (lex specialis derogat legi generali). Damit entzog er den auf allgemeine Grundsätze gestützten Klagen der Anleger die Grundlage.
Zum konkreten Sachverhalt
Streitgegenstand war der Verkaufsprospekt einer Publikums-KG vom 5. Juli 2007, die ein Seeschiff betrieb. Die Geschäfte entwickelten sich ungünstig, weshalb über das Vermögen der Gesellschaft im Jahr 2014 ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Anschließend erhoben zahlreiche Anleger inhaltsgleiche Klagen gegen die Gründungsgesellschafter mit dem Vorwurf, der Verkaufsprospekt habe sie vor dem Beitritt unzutreffend über die Risiken und Eigenarten der Beteiligung informiert.
Nach Klageerhebung beantragten sie die Durchführung eines Kapitalanlegermusterverfahren. Dieses endete mit einem Musterentscheid des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 17. Januar 2018. Es hielt unter anderem fest, dass Ansprüche wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten mit der eigentlichen Prospekthaftung konkurrierten. Folgerichtig ging es sowohl von der Verschuldensvermutung nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB als auch der Regelverjährung und der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens aus. Die gerügten Prospektfehler und die Pflichtverletzung verneinte das Hanseatische Oberlandesgericht. Der Musterkläger legte hiergegen Rechtsbeschwerde ein. Er rügte, dass das Hanseatische Oberlandesgericht zu Unrecht die Prospektfehler und Pflichtverletzung verneint habe.
Die Entscheidung des BGH
Der Kern der Entscheidung liegt in der Feststellung, dass die Vorschriften der spezialgesetzlichen Prospekthaftung die allgemeinen Regeln der vorvertraglichen Aufklärungspflicht der §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB verdrängen, wenn die Pflichtverletzung in der Verwendung eines angeblich fehlerhaften Prospekts liegt. Auf den streitgegenständlichen Fall, fand das VerkProspG in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung Anwendung.
Zunächst hielt der BGH fest, dass die beklagten Gründungsgesellschafter Prospektverantwortliche waren. Eine solche Verantwortlichkeit ist danach anzunehmen, wenn die Person hinter dem Emittenten steht und neben der Geschäftsleitung besonderen Einfluss ausübt. Im vorliegenden Fall waren die Musterbeklagten jeweils zur Hälfte Gesellschafter der Komplementärin der Fondsgesellschaft.
Neben der Haftung als Prospektverantwortliche schloss der BGH eine Haftung wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten durch die Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung aus. Laut BGH seien mit Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung zugleich die §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB mitverwirklicht. Die konkurrierende Anwendung der Normen unterläuft nach Ansicht des BGH die Entlastungsmöglichkeiten des § 45 Abs. 1 BörsG aF und die Sonderverjährungsfrist des § 46 BörsG aF.
Da sich der Musterkläger nur auf die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten berufen hatte, dieser Anspruch aber verdrängt wurde und daher nicht bestand, waren die Feststellungsanträge gegenstandslos. Auf die Prospektrügen zur Begründung der Pflichtverletzung kam es daher nicht mehr an.
Damit hat der BGH seine Rechtsprechung zu der Kapitalanlagegesellschaft (BGH XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100) auf die Gründungsgesellschafter erstreckt, wenn diese zugleich für den Prospekt verantwortlich sind.
Fazit
Die Entscheidung des BGH wird enorme praktische Folgen für die noch anhängigen Verfahren wegen behaupteter Prospektmängel bei geschlossenen Fonds haben, obwohl die neue Rechtsprechung nur auf Prospekte anwendbar ist, die bis zum 1. Juli 2012 erschienen. Nahezu alle aktuelle Verfahren betreffen Zeichnungen vor dem Jahr 2012. Wegen der Weltwirtschafts- und -finanzkrise 2008/2009 gingen danach die Zeichnungen geschlossener Beteiligungen stark zurück.
Der BGH hat mit seiner neuen Entscheidung für mehr Klarheit zu dem Verhältnis zwischen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung einerseits und der auf allgemeine zivilrechtliche Grundsätze gestützten Prospekthaftung im weiteren Sinne andererseits gesorgt. Bisher haben der BGH und auch teilweise die Literatur die Haftung aus culpa in contrahendo neben der spezialgesetzlichen Prospekthaftung angewandt.
Dadurch kommt eine Haftung nach den allgemeinen Regeln nur noch dort in Frage, wo die Spezialgesetze nicht greifen. Die Haftung von Vermittlern oder Beratern oder aus Vertrauenstatbestanden jenseits des Prospektes wird von der aktuellen Entscheidung des BGH nicht erfasst.
Das unterläuft nicht den Anlegerschutz, den der Gesetzgeber im Blick hatte. Die Anleger hätten innerhalb der gesetzlichen Verjährungsfristen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung vorgehen können, dies aber unterlassen. Unter dem Strich hat der BGH nur dem Kalkül der Anleger einen Riegel vorgeschoben, zunächst den Verlauf ihrer Investition abzuwarten und erst bei einem Misserfolg die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten durch Verwendung eines fehlerhaften Prospekts zu rügen.
Inzwischen stellt sich die Problematik nicht mehr, da die Verjährung von Ansprüchen nach den Spezialgesetzen und den allgemeinen Grundsätzen seit 2012 identisch geregelt ist.