20.03.2025Fachbeitrag

Update Investmentfonds Nr. 43

Diskussionen um den richtigen Risikoindikator bei offenen Immobilienfonds

Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 21. Februar 2025 hat in der Investmentbranche für erhebliche Verunsicherung gesorgt. Es entschied, dass ein offener Immobilienfonds es zu unterlassen hat, in dem Basisinformationsblatt nach der sog. PRIIPs-Verordnung einen Risikoindikator von 3 oder niedriger anzugeben. Nach Auffassung des Gerichts sei ein Risikoindikator von 6 richtig. Dieser Beitrag erläutert den Sachverhalt, die Entscheidung des Gerichts, gibt eine kritische Stellungnahme und bietet einen Ausblick.

A. Zum Sachverhalt

Im Rechtsstreit zwischen der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg e. V. (der „Kläger“) und der beklagten Kapitalverwaltungsgesellschaft ging es um die korrekte Klassifizierung des Risikoindikators für einen offenen Immobilienfonds. Die Kapitalverwaltungsgesellschaft hat den Fonds in dem Basisinformationsblatt zunächst mit der Risikoklasse "2" (niedrig) und später mit der Risikoklasse "3" (mittelniedrig) bewertet. Der Kläger argumentierte, dass der Fonds aufgrund der Bewertungsmethoden und der Häufigkeit der Preisfestsetzung in die Risikoklasse "6" (hoch) eingestuft werden müsse.

B. Entscheidung und Entscheidungsgründe

Das Gericht entschied zugunsten des Klägers. Die Beklagte dürfe den Fonds nicht mehr mit der Risikoklasse 2 oder 3 bewerten. Maßgeblich für diese Einschätzung ist das Verständnis des Gerichts von dem Begriff des „Preis“ i.S.d. Anhang II Teil 1 Nr. 4 lit. c) der Delegierten Verordnung (EU) 2017/653 (die „DeIVO“). Hierzu kurz der Kontext:

  • Der europäische Gesetzgeber führte in der PRIIP-Verordnung (EU) 1286/2014 ein standardisiertes Basisinformationsblatt ein, um die Verständlichkeit und Vergleichbarkeit von Anlageprodukten für Kleinanleger zu verbessern. Die DelVO stellt eine einheitliche Vorlage für dieses Basisinformationsblatt bereit.
  • Dieses Basisinformationsblatt beinhaltet den Abschnitt: „Welche Risiken bestehen und was könnte ich im Gegenzug dafür bekommen?“, in welchem das Gesamtrisiko des jeweiligen Produktes, hier des Immobilienfonds, anzugeben ist. Das Gesamtrisiko hängt maßgeblich vom Marktrisiko ab und beträgt stets 6, wenn das Marktrisiko 6 beträgt.
  • Das Marktrisiko ist mit 6 zu bewerten, wenn es sich um ein Produkt oder zugrunde liegende Anlagen des Produktes handelt, deren Preise nicht mindestens monatlich festgesetzt werden, die keine geeignete Benchmark oder keinen geeigneten Stellvertreter haben oder deren geeignete Benchmark oder geeigneter Stellvertreter nicht mindestens monatlich preislich festgesetzt wird (siehe Anhang II Teil 1 Nr. 4 c) DelVO).

Im entschiedenen Fall setzte die Beklagte keine Benchmarks und keine Stellvertreter ein, sodass es für das Gericht auf diese Begriffe nicht ankam. Das Gericht entschied, dass für die Berechnung des Preises der Nettoinventarwert (der „NAV“) maßgeblich sei, der sich aus dem Verkehrswert der Vermögensgegenstände des Immobilienfonds ergäbe.

Die Argumentation des Gerichtes ist kaum nachvollziehbar:

  • Zwar erkennt das Gericht richtig, dass dem Verordnungsgeber das Risiko einer Anlage abstrakt höher erscheint, wenn eine Preisfestsetzung nicht mindestens monatlich erfolgt. Hieraus leitet das Gericht zwei Schlussfolgerungen ab, die beide nicht zwingend sind:  
  • Erstens meint das Gericht, der Verordnungsgeber habe eine bestimmte Preisfestsetzungsmethode vor Augen gehabt, welche die Verbraucher besser über das Risiko informiert. Welche Methode genau der Verordnungsgeber meinte und wie diese Methode ausgestaltet sein soll, erklärt das Gericht indes nicht. Der Maßstab des Gerichts bleibt damit unklar.
  • Zweitens genüge die börsentägliche Berechnung von Rücknahmepreisen dieser Anforderung [an die Preisfestsetzung] nicht, da keine tagesaktuelle Bewertung der Immobilien zugrunde liege. Die Argumentation des Gerichts ist zirkulär. Sie begründet nicht, warum börsentägliche Rücknahmepreise nicht ausreichend sein sollen. Sie begründet auch nicht, warum Immobilien tagesaktuell bewertet werden müssten.
  • Weiter stellt das Gericht auf ein Q&A-Dokument der European Supervisory Authorities (die „ESAs“) ab. Ob dieses Dokument als Auslegungshilfe verstanden werden kann, ist bereits fraglich. Auf S. 24 wird die Frage nach dem Rücknahmepreis bei offenen Immobilienfonds ausdrücklich gestellt:
    Are the redemption prices of open-ended real estate AIFs "prices" within the meaning of point 5 of Annex II of the Delegated Regulation? The question arises because the redemption price is determined on the basis of the net asset value (NAV) of the respective fund. For the NAV, the market prices of the AIF properties are determined only once a year. In contrast to UCITS, no market prices of the underlying assets are available on a daily basis.
    Die Antwort der ESAs vom 14. November 2022 lautet wie folgt:
    In accordance with point 4(c) of Annex II, Part 1 of the Delegated Regulation, unless there is an appropriate benchmark or proxy which is priced on at least a monthly basis, where the net asset value is calculated on a less regular basis than monthly (e. g. only yearly), the PRIIP would be Category 1.
    Das Gericht entnimmt der Antwort der ESAs, dass sie auf die monatliche Berechnung des NAV abstellen. Dieses Verständnis verkennt, dass die Antwort der ESAs missverständlich ist, da sie insbesondere keinen Bezug zu den Rücknahmepreisen herstellt.  

C. Stellungnahme

PRIIP, die in Immobilien investiert sind, müssen nach dem Ergebnis des Gerichts nun die Risikoklasse 6 ausweisen. Dies mag viele überraschen, da die Marktrisikoklasse 6 grundsätzlich mit einer Volatilität von 30-80 % einhergeht nach Anhang II Teil 1 Nr. 2 DelVO, während Immobilien sich zumeist im Bereich von 5-15 % aufhalten. Dies mag dem Ansinnen der DelVO widersprechen, da der Kleinanleger nun ein verzerrtes Bild vom Risikoprofil der Anlage erhält.

Um eine günstige Risikodarstellung zu erreichen, bestehen für Kapitalverwaltungsgesellschaft nach diesem Urteil zwei Optionen:

  • Sie ziehen geeignete Benchmarks oder geeignete Stellvertreter (sog. „Proxys“) heran, die mindestens monatlich festgesetzt werden. Als Benchmarks könnten beispielsweise die MSCI Real Estate Indizes in Betracht gezogen werden, die vereinzelnd auch monatlich berechnet werden. Diese Option dürfte jedoch regelmäßig ausscheiden, da sie mit der Anlagestrategie des Fonds nicht im Einklang steht. Die meisten Immobilienfonds bilden keine Indizes nach, sondern treffen ihre Investitionsentscheidungen aktiv. Ausnahmen sind jedoch denkbar. Als Proxys kämen theoretisch andere Immobilienfonds in Betracht, aber nur soweit diese ihren NAV monatlich berechnen.
  • Die Kapitalverwaltungsgesellschaften lassen monatlich Bewertungen nach geeigneten Bewertungsmodellen durchführen. Dies wird zu einer starken Kostensteigerung führen und damit die Gesamtkosten erhöhen. So wandte die beklagte Kapitalverwaltungsgesellschaft für den betroffenen Immobilienfonds im Geschäftsjahr 2023 bereits 2.205 TEUR für externe Bewerter auf, was einem Anteil von 1,5 % an der Summe der Aufwendungen entsprach. Dieser Wert dürfte sich verdreifachen. Außerdem müsste der Markt für Immobilienbewertung die gestiegene Nachfrage überhaupt befriedigen können. Dies erscheint angesichts der riesigen Anzahl an Immobilien in den Fonds fraglich und dürfte ebenfalls die Kosten weiter ansteigen lassen, wodurch das Produkt weiter an Attraktivität einbüßt.

D. Ausblick

Da die Entscheidung eine große wirtschaftliche Bedeutung für die Beklagte und ihre Anleger hat, liegt es nahe, dass sie in Berufung gehen wird. Mit einer Entscheidung des Oberlandgerichtes Nürnberg dürfte dann innerhalb eines Jahres zu rechnen sein. Das Oberlandesgericht wird sich näher mit der Diskrepanz zwischen dem anzugebenden und dem tatsächlichen Risiko auseinandersetzen und zudem die Besonderheiten der Anlageklasse Immobilien stärker in den Blick nehmen.

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