26.08.2024Fachbeitrag

Update Dispute Resolution 1/2024

BGH: Verschärfte Haftung des Geschäftsführers bei Insolvenzverschleppung

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 24. Juli 2024 (II ZR 206/22) entschieden, dass ein aus dem Amt ausgeschiedener Geschäftsführer gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO grundsätzlich auch für Schäden von Neugläubigern haftet, die erst nach seinem Ausscheiden in vertragliche Beziehungen mit der Gesellschaft getreten sind, wenn die verschleppungsbedingte Gefahrenlage zum Zeitpunkt der Schadensentstehung noch fortbestand.

Sachverhalt

In dem Rechtsstreit ging es um folgenden Sachverhalt: Die Klägerin hatte bei der aus mehreren Gesellschaften bestehenden P+R Gruppe rund EUR 50.000,00 in Seefrachtcontainer investiert. Diese sollten von einer P+R Gesellschaft verwaltet werden, wofür die Anleger über einen Zeitraum von fünf Jahren einen garantierten Mietzins erhalten sollten. Zum Ende der Laufzeit würde eine P+R Gesellschaft die Container wieder abkaufen. Das Geschäftsmodell geriet in Schieflage, und es wurde versucht, auftretende Liquiditätslücken mit neuem Anlegerkapital zu decken.

Im März und April 2018 stellten die P+R Gesellschaften Eigenanträge auf Eröffnung der Insolvenzverfahren, im Juni 2018 verstarb der Geschäftsführer von mehreren P+R Vertriebs- und Verwaltungsgesellschaften, mit denen die Klägerin Kaufverträge geschlossen hatte. Drei Verträge hatte sie während der Amtszeit des Geschäftsführers abgeschlossen, den vierten nach dessen Abberufung. Die Klägerin klagte gegen die Beklagte als Gesamtrechtsnachfolgerin des ehemaligen Geschäftsführers wegen Insolvenzverschleppung auf Schadensersatz.

Das Landgericht München I hatte der Klägerin bezüglich der ersten drei Verträge Recht gegeben, im Übrigen die Klage abgewiesen (29 O 11139/19). Das Oberlandesgericht München gab der Klage in der Berufung auch hinsichtlich des vierten Anlagevertrags statt, allerdings sei die Haftung eines ausgeschiedenen Geschäftsführers wegen Insolvenzverschleppung grundsätzlich auf vor seiner Amtsbeendigung entstandene Schäden beschränkt und nur ausnahmsweise noch auf im Dreiwochenzeitraum des § 15a Abs. 1 InsO aF geschlossene Verträge zu erstrecken (8 U 2506/20). Mit ihrer vom Senat auch hinsichtlich ihrer Verurteilung wegen der ersten drei Anlageverträge zugelassenen Revision verfolgte die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der gesamten Klage weiter.

Entscheidung des Bundesgerichthofs

Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil insoweit aufgehoben, als dass die Haftung eines ausgeschiedenen Geschäftsführers wegen Insolvenzverschleppung nicht auf vor seiner Amtsbeendigung entstandene Schäden beschränkt sei. Vielmehr hafte der aus dem Amt ausgeschiedene Geschäftsführer gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO grundsätzlich auch für Schäden von Neugläubigern, die erst nach seinem Ausscheiden in vertragliche Beziehungen zu der Gesellschaft getreten sind, wenn die durch seine Antragspflichtverletzung geschaffene verschleppungsbedingte Gefahrenlage im Zeitpunkt der Schadensentstehung noch fortbestehe.

Mit der Beendigung der Organstellung entfielen zwar die Organpflichten des Geschäftsführers und damit auch seine Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO ex nunc. Bereits begangene Antragspflichtverletzungen würden durch den Fortfall der Organstellung aber ebenso wenig rückwirkend beseitigt wie die Verantwortung des Geschäftsführers für darauf zurückzuführende Verschleppungsschäden. Damit hafte der Geschäftsführer grundsätzlich auch für Verschleppungsschäden von Neugläubigern, die erst nach der Beendigung seiner Organstellung Vertragspartner der Gesellschaft geworden sind, wenn die durch seine Antragspflichtverletzung geschaffene Gefahrenlage im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch fortbestehe und damit für den Verschleppungsschaden (mit) ursächlich geworden sei. In diesem Fall müsse er sich den entstandenen Schaden grundsätzlich noch als Folge seiner unterlassenen Antragstellung zurechnen lassen.

Die Verletzung der Insolvenzantragspflicht durch einen Geschäftsführer sei auch nach Beendigung seiner Organstellung noch mitursächlich für anschließende Vertragsschlüsse der Gesellschaft mit Dritten, da es bei gebotener Antragstellung nicht mehr zu diesen Verträgen gekommen wäre. Die den Vertragspartnern dadurch entstehenden Verschleppungsschäden seien auch adäquat noch durch die Pflichtverletzung des ausgeschiedenen Geschäftsführers verursacht, weil die Unterlassung der Antragstellung im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet seien, zu einer Fortführung der insolvenzreifen Gesellschaft durch den nachfolgenden Geschäftsführer und damit zu weiteren Vertragsschlüssen der Gesellschaft zu führen.

Nach dem Bundesgerichtshof diene das Verbot der Insolvenzverschleppung nicht nur der Erhaltung des Gesellschaftsvermögens, sondern habe auch den Zweck, insolvenzreife Gesellschaften mit beschränktem Haftungsfonds vom Geschäftsverkehr fernzuhalten, damit durch das Auftreten solcher Gebilde nicht Gläubiger geschädigt oder gefährdet werden. Dieser Schutzzweck, der es rechtfertige, den Neugläubigern einen Anspruch auf den Ersatz ihres Vertrauensschadens, bestehe nach der Beendigung der Organstellung des Geschäftsführers nach seiner Antragspflichtverletzung unverändert fort. Solange die durch seine Antragspflichtverletzung geschaffene Gefahrenlage noch fortwirke, seien daher auch erst nach seinem Ausscheiden aus dem Amt geschlossene Verträge vom Schutzbereich der ihm während seiner Geschäftsführerstellung gemäß § 15a InsO obliegenden Insolvenzantragspflicht umfasst.

Fazit

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs verschärft die Haftungsrisiken eines Geschäftsführers im Insolvenzfall deutlich. Auch ein abberufener Geschäftsführer trägt nun das Risiko, dass er für Schäden haften muss, die erst nach seiner Abberufung entstanden sind, wenn er vorher die Insolvenzantragspflicht verletzt hat. Die Entscheidung ist dogmatisch nachvollziehbar, denn die Abberufung lässt den Kausalzusammenhang zwischen vorherigem Unterlassen der Insolvenzantragstellung durch den Geschäftsführer und Eintritt eines danach entstandenen Schadens nicht zwingend entfallen. Es spielt nach dem Bundesgerichtshof daher auch keine Rolle, dass die Insolvenzantragspflicht auf den neuen Geschäftsführer übergegangen ist. Wenn dieser seinerseits die Insolvenzantragspflicht verletzt, haften beide womöglich nebeneinander, der ausgeschiedene Geschäftsführer wird aber nicht von der Haftung befreit. Wann ein Schaden dem ausgeschiedenen Geschäftsführer nicht mehr zuzurechnen ist, wird nach dem Bundesgerichtshof anhand einer wertenden Betrachtung ermittelt. Der bloße Wechsel der Geschäftsführer reicht dafür nicht aus.

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