16.10.2015Fachbeitrag

Newsletter Arbeitsrecht Oktober 2015

Kleine dynamische Bezugnahmeklausel bei Betriebsübergang

BAG, Urteil vom 17.6.2015 – 4 AZR 61/14

Das Bundesarbeitsgericht hat sich mit einem Vorabentscheidungsersuchen (Art. 267 AEUV) an den EuGH gewandt, um Anwendung und Inhalt einer kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel nach Betriebsübergang einer abschließenden Klärung zuzuführen.

BAG-Rechtsprechung

Das BAG hat kleine dynamische Bezugnahmeklauseln, die ab dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes (1. Januar 2002) vereinbart worden sind, mit dem Hinweis auf die Unklarheitenregelung in § 305c Abs. 2 BGB nicht mehr als Gleichstellungsabrede ausgelegt (BAG 18.4.2007 – 4 AZR 652/05; BAG 17.11.2010 – 4 AZR 391/09). Dies bedeutet, dass der bisherige Tarifinhalt im Falle eines Betriebsübergangs oder Verbandsaustritts nicht bloß – wie zu den vor dem 1. Januar 2002 vereinbarten Klauseln angenommen – statisch weitergilt, sondern mit seiner zeitdynamischen Entwicklung das Arbeitsverhältnis auch nach dem Betriebsübergang oder Verbandsaustritt regelt; dies nicht nur dann, wenn das Arbeitsverhältnis tariflos wird, sondern auch dann, wenn die für das Arbeitsverhältnis kraft Tarifrechts geltenden Tarifnormen ungünstiger sind.

EuGH-Rechtsprechung

Das Schrifttum hat im Anschluss an zwei EuGH Entscheidungen (EuGH 9.3.2006 – C-499/04 – Werhof; EuGH 18.7.2013 – C-426/11 – Alemo Herron) teilweise vertreten, dass diese BAGRechtsprechung mit der EuGH-Rechtsprechung nicht vereinbar sei. Der EuGH hat zum einen auf die Vereinigungsfreiheit des Betriebserwerbers verwiesen. Diese beinhaltete (auch) negativ, keiner Vereinigung beizutreten, so dass es fraglich sei, ob die früheren Tarifvereinbarungen auch bei dem Betriebserwerber angewendet werden könnten, wenn dieser nicht gleich tarifgebunden sei. Der EuGH hat zum anderen entschieden, dass im Fall eines Betriebsübergangs arbeitsvertragliche Regelungen, die dynamisch auf Kollektivverträge verweisen, gegenüber dem Erwerber nur dann durchsetzbar sind, wenn der Erwerber die Möglichkeit (gehabt) hat, an den Verhandlungen über die Kollektivverträge teilzunehmen. Die Erwägungen des EuGH würden im Hinblick auf Anwendung und Inhalt einer kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel bedeuten, dass eine Dynamik gegenüber dem Betriebserwerber nach Verbandsaustritt nur schwerlich angenommen werden könnte, weil und wenn der Betriebserwerber zum einen an Tarifverträge gebunden wird,  die nicht seiner Verbandszugehörigkeit entsprechen, und er keine Möglichkeit hat, auf die Tarifentwicklung Einfluss auszuüben. Die europarechtliche Problematik betrifft Art. 12 Abs. 1 EU GR Charta (Vereinigungsfreiheit) und Art. 16 EU GR Charta (Unternehmerfreiheit).

Vorlage nach Art. 267 AEUV

Der 4. Senat des BAG vertritt in seinem Vorlagebeschluss vom 17. Juni 2015 (nach wie vor), dass der Betriebserwerber durch die kleine dynamische Bezugnahmeklausel nach Betriebsübergang genauso wie der Betriebsveräußerer gebunden sei. Der 4. Senat sieht allerdings, dass dies letztlich von der Auslegung europarechtlicher Bestimmungen (Art. 3 der Betriebsübergangsrichtlinie) und jedenfalls Art. 16 GR Charta – demgegenüber wird Art. 12 Abs. 1 GR Charta nicht problematisiert – abhängig ist. Die Auslegung dieser europarechtlichen Bestimmungen obliegt allein dem EuGH. Die Frage ist daher dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt worden. Die Entscheidung des EuGH wird abzuwarten sein.

Arbeitsvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten

Die Auseinandersetzung um Anwendung und Inhalt der kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel lässt es für die Arbeitsvertragsgestaltung dringend geraten erscheinen, bei der Abfassung von Verweisungsklauseln größte Sorgfalt aufzuwenden:

  • Es ist möglich, eine lediglich statische Verweisung auf ein Tarifwerk zu vereinbaren.
  • Es ist auch möglich, eine große dynamische Bezugnahmeklausel im Sinne einer Tarifwechselklausel zu vereinbaren, so dass für das Arbeitsverhältnis diejenigen Tarifbestimmungen Anwendung finden, die auf den Betrieb jeweils anzuwenden sind.
  • Es ist schließlich möglich, die kleine dynamische Bezugnahmeklausel so zu fassen, dass die Dynamik im Falle eines Betriebsübergangs oder Verbandsaustritts endet, um ebenso unliebsame wie unbeherrschbare Folgen zu vermeiden, wenn ein Betrieb veräußert wird oder ein Verbandsaustritt erfolgt.

Fazit

Anwendung und Inhalt kleiner dynamischer Bezugnahmeklauseln sind vorerst nicht abschließend geklärt. Die Folgen einer kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel sind nach der bisherigen BAG-Rechtsprechung im Falle eines Betriebsübergangs oder eines Verbandsaustritts problematisch. Aufgabe sorgfältiger Arbeitsvertragsgestaltung ist, die erforderliche Klarheit zu schaffen und die für einen Betriebsübergang oder einen Verbandsaustritt gebotenen Regelungen zu berücksichtigen.

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