11.09.2014Fachbeitrag

Update EU-Wettbewerbsrecht 11

„Menschen, nicht Länder“

Jean-Claude Juncker hat bekanntlich am 10. September 2014 sein Team vorgestellt, mit dem er in der neuen Europäischen Kommission zusammenarbeiten will. Die Struktur der neuen Kommission verwirklicht die Politischen Leitlinien, auf deren Grundlage Juncker am 15. Juli 2014 vom Europäischen Parlament als Präsident bestätigt worden ist. Dieser betonte, die Ressorts „Menschen, und nicht einzelnen Ländern“ zugewiesen zu haben. Etwas schönfärberisch heißt es ferner in den offiziellen Verlautbarungen, bei der Auswahl der Kommissionsmitglieder sei besonderer Wert auf den Leistungsausweis gelegt worden. Unter diesen Vorzeichen erschließt sich nicht unbedingt, weshalb das Ressort „digitale Wirtschaft und Gesellschaft“ gerade dem deutschen Vertreter Günther Oettinger zugewiesen worden ist. Diesem wird nicht gerade eine große Affinität zum IT-Markt nachgesagt und er hätte bekanntlich gerne ein anderes Ressort vorgezogen. Tatsächlich beruht die Zusammensetzung der neuen Kommission auf einer Summe von zahlreichen Kompromissen.

Sieben Vizepräsidenten

Anstatt wie bisher einen, wird die künftige Kommission insgesamt sieben Vizepräsidenten aufweisen. Neben der neuen Hohen Vertreterin für die Außen- und Sicherheitspolitik Frederica Mogherini werden sechs weitere Vizepräsidenten jeweils eigene Projektteams, bestehend aus mehreren Kommissionsmitgliedern und den ihnen zugewiesenen Generaldirektionen, leiten.

Eine herausgehobene Stellung wird der niederländische Sozialdemokrat und derzeit noch amtierende niederländische Außenminister Frans Timmermans haben. Dieser wird in seiner Funktion als Erster Vizepräsident die rechte Hand des Kommissionspräsidenten sein. Erstmals wird es damit einen EU-Kommissar für Fragen der Rechtsetzung geben, der insbesondere über die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips und der Grundrechte wachen soll.

Nach den Vorstellungen der Erfinder der neuen Struktur sollen die sieben Vizepräsidenten nicht Kommissare erster Klasse sein, sondern ressortübergreifend die Arbeit einer Reihe von Kommissionsmitgliedern leiten und koordinieren, wobei sich die Zuordnung ändern kann, wenn die Entwicklung neuer Projekte dies im Laufe der Zeit erfordert. Dies soll eine dynamische Interaktion aller Mitglieder des Kollegiums ermöglichen und Schubladendenken sowie statische Strukturen aufbrechen.

Viele politische Schwergewichte, keine Erhöhung der Frauenquote

Die Juncker-Kommission umfasst fünf ehemalige Premierminister, vier stellvertretende Premierminister, neunzehn ehemalige Minister, sieben ehemalige EU-Kommissare und acht ehemalige Mitglieder des Europäischen Parlaments. Elf der designierten Kommissionsmitglieder haben einen Hintergrund in den Bereichen Wirtschaft und Finanzen und weitere acht praktische Erfahrungen in der Außenpolitik. Sieben Kommissare waren bereits in der derzeit noch bestehenden Barroso-Kommission tätig.

Die angestrebte Erhöhung der Frauenquote konnte nicht realisiert werden, ganz offenbar weil die Mitgliedstaaten kaum Frauen für die europäischen Spitzenposten nominierten. Mit viel Mühe konnte mit neun Frauen der Anteil der Barroso-Kommission wenigstens gehalten werden, was die Gefahr verringert, dass das EU-Parlament die Juncker-Kommission wegen mangelnder Frauenförderung durchfallen lässt.

Den Bock zum Gärtner gemacht?

Erstaunlich wenn auch nicht überraschend ist die Ernennung des französischen Sozialisten Pierre Moscovici zum Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten. Diesen hatte die Pariser Regierung bereits vor einigen Wochen in Brüssel durchgeboxt. Es bleibt nun abzuwarten, ob sich Herr Moscovici dazu durchringen kann, ein Verfahren wegen eines französischen Defizits einzuleiten, für dessen Bestehen er als Finanzminister von 2012 bis 2014 selbst verantwortlich ist. Was Juncker im Schilde führt, wenn er derart den Bock zum Gärtner macht, ist offen. Konservative Vertreter hoffen insgeheim, die Ernennung Moscovicis zwinge die Linken dazu, sich künftig auch zur Sparpolitik zu bekennen. Ob dies realistisch ist oder nur Wunschdenken entspricht, bleibt abzuwarten.

Dasselbe Muster wiederholt sich mit der Besetzung des Ressorts „Finanzstabilität, Finanzdienstleitungen und Kapitalmärkte“ durch den Briten Jonathan Hill. Dieser soll die europäische Finanzstabilität und die Finanzdienstleitungen überwachen, obwohl er selbst aufgrund seiner über zwölfjährigen Tätigkeit als Berater in der Londoner City in diesem Wirtschaftszweig persönlich verankert ist und zudem keine Erfahrung als Parlamentarier oder Regierungsmitglied vorzuweisen hat.

Neue Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager

Die Wettbewerbspolitik wird dem Projektteam „Arbeitsplätze, Wachstum, Investition und Wettbewerbsfähigkeit“ zugeordnet, welches vom finnischen Vizepräsidenten Finnen Jyrki Katainen geleitet werden soll. Dieser amtierte bis Juni 2014 als finnischer Ministerpräsident und trat dann zurück, um sich der Kommission anzuschließen.

Für die eigentliche Durchsetzung der Wettbewerbspolitik wird die Dänin Margrethe Vestager zuständig sein, die somit Nachfolgerin des Spaniers Joaquín Almunia wird. Frau Vestager ist Mitglied der dänischen sozialliberalen Partei. Auf nationaler Ebene war sie als Bildungs- und anschließend als Kirchenministerin tätig, bevor sie von 2011 bis 2014 das Wirtschafts- und Innenministerium in Dänemarkt leitete. Von 1993 bis 1997 und erneut von 2007 bis 2014 war sie außerdem Vorsitzende ihrer Partei.

Ihr wird nachgesagt, sie werde sich im neuen Amt weniger von politischen Erwägungen leiten lassen, als dies vielleicht bei ihrem Vorgänger der Fall war. Ob sich diese Prognosen - die letztlich nichts weiter als Kaffeesatz-Lesen sind - bewahrheiten werden, bleibt abzuwarten. Fest steht, dass sich Frau Vestager in einer viel komplexeren Struktur als Joaquín Almunia wird betätigen müssen und entsprechend weniger Freiraum haben wird. Die Gefahr, dass unter diesen Umständen die Entscheidfindung einer größeren politischen Einflussnahme ausgesetzt sein könnte, kann zumindest nicht ausgeschlossen werden.

Daneben wird Margrethe Vestager Mitglied in den Projektteams „Digitaler Binnenmarkt“ unter dem estnischen Vizepräsidenten Andrus Ansip sowie „Energie und Klimaschutz“ unter der slowenischen Vizepräsidentin Alenka Bratušek sein.

EU-Außenpolitik

Für die „Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen“ wird ein neues Ressort geschaffen, das vom österreichischen ÖVP-Politiker Johannes Hahn geleitet wird. In seine Zuständigkeit werden voraussichtlich auch die Beziehungen der EU zu Schweiz fallen. Des Weiteren wird Herr Hahn erster Stellvertreter der Hohen Vertreterin für die Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini sein. 

Wie geht es weiter?

Das Europäische Parlament muss dem gesamten Kollegium seine Zustimmung erteilen. Zuvor finden die Anhörungen der designierten Kommissionsmitglieder in den zuständigen Parlamentsausschüssen statt. Sobald das Europäische Parlament seine Zustimmung erteilt hat, ernennt der Europäische Rat – das Gremium der europäischen Regierungschefs – förmlich die Europäische Kommission. Es wird derzeit damit gerechnet, dass die Juncker-Kommission am 1. November 2014 ihre Arbeit aufnehmen wird.

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