Update Investmentfonds 016
Überblick über die neue Finanzanlagenvermittlungsverordnung
Kapitalverwaltungsgesellschaften und andere Anbieter von Kapitalanlageprodukten bedienen sich bei dem Vertrieb häufig der Hilfe von Finanzanlagenvermittlern („Gewerbetreibende“) nach § 34f Gewerbeordnung („GewO“). Die Gewerbetreibenden sind durch die Finanzanlagenvermittlungsverordnung („FinVermV“) reguliert, die u. a. Vorgaben zu Informations- und Beratungspflichten sowie zu Dokumentationsanforderungen enthält. Die FinVermV wird durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Finanzanlagenvermittlungsverordnung mit Wirkung zum 1. August 2020 neu gefasst und soll planmäßig zum 1. Januar 2021 in wesentlichen Teilen in das Wertpapierhandelsgesetz überführt werden.
Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über ausgewählte Änderungen im Vertriebsrecht der Gewerbetreibenden durch die ab dem 1. August 2020 geltende FinVermV.
Geeignetheitserklärung statt Beratungsprotokoll
Das bisherige Beratungsprotokoll für eine erbrachte Anlageberatung nach § 18 FinVermV wird durch die Geeignetheitserklärung nach § 18 FinVermV n. F. ersetzt.
Im Beratungsprotokoll müssen nach § 18 Abs. 2 Nr. 6 FinVermV hinsichtlich der erteilten Empfehlungen lediglich „die für diese Empfehlungen genannten wesentlichen Gründe“ festhalten werden, was in der Praxis häufig nur durch eine stichwortartige Kurzbeschreibung umgesetzt wird. Über diese Anforderungen geht die ab dem 1. August 2020 erforderliche Geeignetheitserklärung im Falle einer Anlageberatung deutlich hinaus.
Nach § 18 Abs. 1 FinVermV n. F. muss die Geeignetheitserklärung hinsichtlich der erbrachten Anlageberatung erläutern, wie sie auf die Präferenzen, Anlageziele und sonstigen Merkmale des Anlegers abgestimmt wurde. Hierbei nimmt die FinVermV wegen weiterer Einzelheiten auf Artikel 54 Abs. 12 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 Bezug. Demnach müssen auch Informationen darüber gegeben und dokumentiert werden, inwieweit die Empfehlung auf die Ziele und persönlichen Umstände des Anlegers hinsichtlich der erforderlichen Anlagedauer, der Kenntnisse und Erfahrungen des Anlegers sowie seiner Risikobereitschaft und Verlusttragfähigkeit abgestimmt wurde.
Dem Gewerbetreibenden muss daher zur Vermeidung von Anlegerklagen bewusst sein, dass die Dokumentation seiner Anlageempfehlung mindestens die vorgenannten Punkte umfassen und inhaltlich ausreichend abdecken muss. Mitarbeiter, die Anlageberatung nach der FinVermV erbringen, sind ggf. diesbezüglich rechtzeitig zu schulen. Eine formularmäßig gestaltete Geeignetheitserklärung sollte zudem durch Nennung der Mindestinhalte der Begründung der Empfehlung sicherstellen, dass diese Punkte vom Verwender nicht übersehen werden können.
Weiterhin regelt die neue FinVermV die Pflichten, wenn der Gewerbetreibende anbietet, die empfohlene Finanzanlage laufend hinsichtlich ihrer Geeignetheit für den Anleger zu beurteilen. In diesem Fall ist der Gewerbetreibende nach § 18 Abs. 3 FinVermV verpflichtet, dem Anleger regelmäßig Berichte über die Geeignetheit der Anlage zur Verfügung zu stellen, die insbesondere eine Erklärung darüber enthalten, wie die empfohlene Kapitalanlage den Präferenzen, den Anlagezielen und den sonstigen Merkmalen des Anlegers weiterhin entspricht. Im Falle eines unterlassenen bzw. fehlerhaften Berichtes über die Geeignetheit können zumindest bei liquiden Finanzanlagen Schadensersatzansprüche von Anlegern nicht ausgeschlossen werden, wenn diese sich auf den Standpunkt stellen, bei ordnungsgemäßer Information hätten sie ihre Finanzanlage veräußert.
Die Berücksichtigung des Zielmarktes
Nach § 16 Abs. 3b FinVermV n. F. hat der Gewerbetreibende „den nach § 80 Abs. 9 des Wertpapierhandelsgesetzes bestimmten Zielmarkt zu berücksichtigen“. Hintergrund dieser Regelung ist, dass nach § 80 Abs. 9 Wertpapierhandelsgesetz („WpHG“) ein Konzepteur von Finanzinstrumenten („Konzepteur“) aufsichtsrechtlich ein dokumentiertes Produktfreigabeverfahren einrichten muss, welches neben weiteren Anforderungen zu gewährleisten hat, dass innerhalb der betreffenden Kundengattung ein bestimmter Zielmarkt festgelegt wird.
Diesbezüglich hat der Gewerbetreibende nach § 16 Abs. 3b FinVermV n. F. zunächst alle zumutbaren Schritte zu unternehmen, um sich die Bestimmung des Zielmarktes und alle Informationen zu beschaffen, um die Merkmale und den Zielmarkt der Finanzanlage zu verstehen. In der Praxis sollte der Gewerbetreibende daher neben den üblichen Verkaufsunterlagen zumindest um die Überlassung des dokumentierten Produktfreigabeprozesses bitten. Hierbei ist jedoch unklar, wie sich der Gewerbetreibende verhalten soll, wenn er von dem Konzepteur keinen Zielmarkt zur Verfügung gestellt bekommt.
Eine solche Konstellation ist im Ausgangspunkt denkbar, wenn Finanzanlagen von nach dem Kapitalanlagegesetzbuch regulierten Kapitalverwaltungsgesellschaften konzipiert werden, da diese grundsätzlich nicht durch das WpHG reguliert werden. Da naturgemäß insoweit noch keine einschlägige Rechtsprechung für die geschilderte Sachverhaltskonstellation einer fehlenden Zielmarktbestimmung vorliegt, sollten Gewerbetreibende zur Vermeidung einer zivilrechtlichen Haftung davon Abstand nehmen, die Finanzanlage ohne Zielmarktbestimmung des Konzepteurs zu vertreiben oder eine eigene Zielmarktdefinition vorzunehmen.
Aus diesem Grund wird in der Praxis von zahlreichen Konzepteuren, die nicht direkt dem Anwendungsbereich des § 80 Abs. 9 WpHG unterfallen, dennoch ein Produktfreigabeverfahren nebst Zielmarktdefinition vorgenommen, weil diese von den jeweiligen Vertriebspartnern verlangt werden und ein Vertrieb ohne Zielmarktdefinition zumindest wesentlich erschwert wird.
Weiterhin hat der Gewerbetreibende nach § 16 Abs. 3b FinVermV die Vereinbarkeit der Finanzanlage mit den Bedürfnissen des Anlegers unter Berücksichtigung des Zielmarktes zu beurteilen und sicherzustellen, dass er die Finanzanlage nur empfiehlt, wenn dies „im Interesse des Anlegers“ ist, was im Ausgangspunkt auch einen Vertrieb außerhalb des Zielmarktes ermöglicht. Dies ist eine Erleichterung gegenüber dem ursprünglichen Referentenentwurf der FinVermV, nachdem die Produkte von dem Gewerbetreibenden nur innerhalb des Zielmarktes vertrieben werden durften. Zur Vermeidung zivilrechtlicher Haftungsrisiken sollte aber nur in gut begründeten Ausnahmefällen ein Vertrieb außerhalb des Zielmarktes vorgenommen werden.
Wenn im Einzelfall ein Vertrieb außerhalb des Zielmarktes stattfindet, sollte vom Gewerbetreibenden sorgfältig dokumentiert werden, warum die Empfehlung dennoch im Interesse des Anlegers ist. Dass die FinVermV hierbei nicht auf das „beste“ Interesse des Anlegers abstellt, sollte eine gewisse Erleichterung bei der Begründung darstellen. Zudem sollte der Gewerbetreibende sich von dem Anleger schriftlich bestätigen lassen, dass sich der Anleger bei Erwerb der Finanzanlage bewusst ist, dass er eine Finanzanlage erwirbt, deren Zielmarkt er nicht angehört.
Die neue Kosteninformationspflicht
Die Kosteninformationspflichten für den Gewerbetreibenden werden durch die Neufassung der FinVermV deutlich umfassender. Bisher muss der Gewerbetreibende dem Anleger lediglich rechtzeitig vor Abschluss eines Geschäftes – d. h. ex-ante – in Form eines Gesamtpreises über alle mit der Finanzanlage und den Dienstleistungen des Gewerbetreibenden verbundenen Gebühren, Provisionen, Entgelte und Auslagen aufklären, wobei lediglich die vom Gewerbetreibenden in Rechnung gestellten Provisionen separat aufzuführen waren.
Durch die ab dem 1. August 2020 geltende FinVermV müssen durch den Gewerbetreibenden deutlich detailliertere Angaben zu den Kosten gemacht werden und es wurde zusätzlich die grundsätzliche Pflicht zur nachträglichen – d.h. ex post – Kosteninformation in die FinVermV aufgenommen.
Hierbei wird sowohl hinsichtlich der ex-ante als auch der ex-post Kosteninformationspflicht zwischen Finanzdienstleistungskosten und Produktkosten unterschieden. Auf Verlangen des Anlegers sind die Kosten nach einzelnen Posten in einer Aufstellung aufzugliedern. Diesbezüglich sollte die tabellarische Darstellung von Anhang II der Verordnung (EU) 2017/565 verwendet werden. Hierbei muss beispielsweise zwischen einmaligen, laufenden und Nebenkosten unterschieden werden.
Zur Erfüllung seiner Informationspflicht darf der Gewerbetreibende zwar nach § 13 Abs. 3 FinVermV n. F. auch Informationen – wie z. B. Verkaufsunterlagen – verwenden, die ihm der Konzepteur zur Verfügung gestellt hat. Dies gilt aber nicht für die Informationen über die Kosten und Nebenkosten der Anlagevermittlung oder Anlageberatung durch den Gewerbetreibenden selbst, die durch den Gewerbetreibenden zur Verfügung gestellt werden müssen. In diesen Fällen muss der Gewerbetreibende daher die Informationen des Konzepteurs sinnvoll ergänzen.
Nach § 13 Abs. 5 FinVermV n. F. sollen dem Anleger darüber hinaus regelmäßig, mindestens jedoch jährlich, während der Laufzeit der Finanzanlage Kosteninformationen bereit gestellt werden, sofern die Gewerbetreibenden die Finanzanlage empfohlen oder angeboten haben „und mit dem Kunden im Laufe des Jahres eine laufende Geschäftsbeziehung unterhalten oder unterhalten haben“, wobei hinsichtlich der Auslegung des Rechtsbegriffes der „laufenden Geschäftsbeziehung“ noch nicht alle Einzelheiten für die Vertriebspraxis geklärt sind.
Hierbei wird sich eine laufende Geschäftsbeziehung jedenfalls nicht leugnen lassen, wenn der Gewerbetreibende es nach § 18 Abs. 3 FinVermV n.F. übernommen hat, die Geeignetheit der Finanzanlage regelmäßig zu beurteilen. Aber auch der Bezug von laufenden Bestandsprovisionen – insbesondere bei Vertrieb von Investmentvermögen – wird im Ergebnis zumindest ein starkes Indiz für eine laufende Geschäftsbeziehung sein, da diese Bestandsprovision häufig laufende Dienstleistungen des Gewerbetreibenden gegenüber dem Anleger abdecken soll.
Umgekehrt dürfte jedenfalls bei einmaligem Vertrieb einer Finanzanlage ohne Vereinnahmung von Bestandsprovisionen und ohne Übernahme einer laufenden Geeignetheitserklärung keine „laufende Geschäftsbeziehung“ vorliegen.
Unklar ist die rechtliche Einordnung der Fallgruppe, dass ein Gewerbetreibender ohne Vereinnahmung von Bestandsprovisionen laufend Bestandskunden betreut, die regelmäßig Finanzanlagen von dem Gewerbetreibenden angeboten bekommen. Jedenfalls kann insoweit die Annahme einer „laufenden Geschäftsbeziehung“ durch Aufsichtsbehörden oder erkennende Gerichte nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden.
Aufzeichnungspflicht bei telefonischen Vermittlungs- und Beratungsgesprächen
Nennenswerter technischer und finanzieller Mehraufwand dürfte mit der neu eingeführten Pflicht zur Aufzeichnung telefonischer Gespräche (sog. „Taping“) nach § 18a FinVermV n. F. verbunden sein.
Nach dieser Vorschrift ist der Gewerbetreibende verpflichtet, zum Zwecke der Beweissicherung die Inhalte von Telefongesprächen (und sonstiger elektronischer Kommunikation) fälschungssicher aufzuzeichnen, sobald sich das Gespräch auf die Vermittlung oder die Beratung von Finanzanlagen bezieht. Diese Aufzeichnungspflicht gilt für den Gewerbetreibenden sogar dann, wenn das Telefongespräch gar nicht zu einem Vertragsabschluss geführt hat.
Vor der Aufzeichnung von Telefongesprächen hat der Gewerbetreibende die Anleger und seine Beschäftigten über die Aufzeichnung zu informieren, wobei eine einmalige Information vor erstmaliger Durchführung der Telefongespräche ausreichend ist. Unterbleibt diese Information oder widerspricht der Anleger der Aufzeichnung, darf keine telefonische Anlagevermittlung oder Anlageberatung durch den Gewerbetreibenden erbracht werden.
Im Zusammenhang mit künftigen Anlegerklagen wird das Informationsrecht des Anlegers nach § 18a Abs. 6 FinVermV n. F. voraussichtlich eine erhebliche Bedeutung bekommen. Nach dieser Vorschrift kann der Anleger vom Gewerbetreibenden bis zum Ablauf der 10jährigen Aufbewahrungsfrist verlangen, dass ihm die Kopie der Telefonaufzeichnung zur Verfügung gestellt wird.
Es ist davon auszugehen, dass Anlegerschutzanwälte zur Vorbereitung einer Haftungsklage von diesem Informationsanspruch regelmäßig Gebrauch machen werden. Kann der Gewerbetreibende diesen Informationsanspruch nicht erfüllen, weil er keine Aufzeichnung vorgenommen hat oder diese beschädigt worden ist, so dürfte dies ein erkennendes Gericht regelmäßig als Beweisvereitelung zu Lasten des Gewerbetreibenden werten. Zwar ist dann eine Anhörung des Gewerbetreibenden durch das Gericht auch in diesem Fall nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Jedoch wird im Rahmen der freien Beweiswürdigung die Nichtverfügbarkeit der Aufzeichnung des Telefongespräches grundsätzlich gegen die Aussage des Gewerbetreibenden sprechen und häufig zur prozessualen Niederlage für den Gewerbetreibenden führen.
Gewerbetreibende, die auch nach dem 1. August 2020 telefonische Vermittlungs- und Beratungsgespräche durchführen wollen, sollten rechtzeitig sicherstellen, dass die technischen Voraussetzungen hierfür geschaffen werden.
Da für persönliche Kundengespräche aber nach wie vor keine Aufzeichnungspflicht besteht, kann der technische und finanzielle Mehraufwand des Tapings auch durch eine Umstellung der Vertriebskanäle vermieden werden. Diese Möglichkeit dürfte insbesondere für kleinere Vertriebseinheiten eine echte Alternative darstellen.