29.07.2016Fachbeitrag

Sondernewsletter Brexit 29. Juli 2016

Beratungsthemen im Zusammenhang mit einem drohenden Brexit: Brexit – worum geht es und ab wann?

Bei der Volksbefragung (Referendum) vom 23. Juni 2016 im Vereinigten Königreich stimmte eine Mehrheit der Abstimmenden für den Austritt des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland (UK) aus der Europäischen Union (EU) (dieser Austritt des UK aus der EU ist, der sog. Brexit). Das Referendum ist nicht bindend. Vor einem möglichen EU-Austritt des UK müsste die Regierung einen entsprechenden Austrittsantrag gegenüber dem Europäischen Rat stellen. Ob die Regierung über einen solchen Antrag in ihrem eigenen politischen Ermessen entscheiden kann, ohne dem Parlament ein Mitspracherecht einzuräumen, ist unklar.

Die neue britische Premierministerin, Theresa May, hat bestätigt, dass sie das Brexit-Votum respektieren und Austrittsverhandlungen mit der EU aufnehmen wird. Daher ist damit zu rechnen, dass die neue britische Regierung in absehbarer Zeit dem Europäischen Rat gemäß Art. 50 Abs. 2 des EU-Vertrages die Absicht auszutreten mitteilen und Verhandlungen über ein entsprechendes Abkommen aufnehmen wird, auch wenn dies bisherigen Äußerungen von Frau May zufolge noch bis zum Jahresende dauern mag. Die Frist für die Dauer der Verhandlungen über die Konditionen des Ausstiegs und die danach für die Beziehungen des UK zur EU geltenden Regeln beträgt zwei Jahre ab Eingang der Mitteilung. Dieser Zeitraum kann einvernehmlich verlängert werden. Erst nach Ablauf dieses Zeitraums und Billigung eines Verhandlungsergebnisses durch das Europäische Parlament und vermutlich auch durch das Unterhaus würde ein Austritt des UK aus der EU wirksam.

Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt das UK weiterhin Mitglied der EU, und es treten im Verhältnis des UK gegenüber der EU keine Änderungen gegenüber dem geltenden Recht ein. Dennoch führt der bevorstehende Austritt zu erheblicher Rechtsunsicherheit, auf die sich alle Beteiligten im Geschäftsverkehr mit dem UK schon jetzt einstellen müssen.

In der öffentlichen Debatte über die Politik der EU ging die Tatsache weitgehend unter, dass die EU in erster Linie eine Wirtschafts- und Rechtsgemeinschaft ist, die für einen Wirtschaftsraum von ca. 500 Mio. Verbrauchern einheitliche Regeln aufgestellt hat. Produkte, die nach diesen Regeln in einem Mitgliedsland zugelassen sind, gelten in jedem Mitgliedsland der EU als zugelassen und können dort vertrieben werden. Dies gilt beispielsweise für pharmazeutische Produkte, Kraftfahrzeuge, elektronische Produkte und gleichermaßen für den Umgang mit zugehörigen Verpackungen, für die Kennzeichnung von Inhaltsstoffen bei Lebensmitteln usw. Falls kein Nachfolgeabkommen mit dem UK geschlossen wird, in dem das UK sich verpflichtet, einheitliche Produktnormen weiterzuführen, kommen erhebliche Lasten auf Hersteller und Händler außerhalb des UK zu. Sie müssen dann ihre Produkte nach britischen Normen gestalten und ggf. zertifizieren lassen. Auch der umgekehrte Vertriebsweg vom UK in die EU würde vor neue bürokratische Hürden gestellt werden, wenn es nicht gelingt, im Rahmen der zu treffenden Abkommen die Freiheit des Warenverkehrs fortzuführen.

Entsprechendes gilt für die weiteren Grundfreiheiten der europäischen Verträge, die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit. Hier hatte die vorherige englische Regierung unter David Cameron bereits angekündigt, Einschränkungen vornehmen zu wollen, insbesondere was den Zuzug europäischer Arbeitnehmer in das UK anbetrifft. Dies wird sicherlich ein schwieriger Verhandlungspunkt für das zwischen der EU und dem UK zu treffende Abkommen werden, zumal sich die EU auf den Standpunkt stellt, dass der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr nicht ohne die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Niederlassungsfreiheit zu haben ist.

Auf die Beteiligten beider Seiten kommt nun die Aufgabe zu, in einem Abkommen die künftigen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU einerseits und dem UK andererseits zu regeln. Dabei wird es neben der Regelung der Grundfreiheiten insbesondere um die Rahmenbedingungen gehen wie zum Beispiel die Fortgeltung unionseinheitlicher Regeln zum Umweltschutz, Wettbewerbsrecht, Kapitalmarktrecht, Datenschutz, Verbraucherschutz sowie um Regelungen zu Zöllen und Umsatzsteuern.

Zurzeit werden folgende Modelle diskutiert für die post-Brexit Beziehungen des UK zur EU:

  • Das Modell „Norwegen“

Das UK könnte Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) bleiben. Das würde dem UK weiterhin Zugang zum EU-Binnenmarkt garantieren.

Zugang zum EWR haben neben den EU-Mitgliedstaaten nur die Vertragsstaaten der European Free Trade Association (EFTA). Das UK müsste also zunächst der EFTA beitreten, was Verhandlungen mit sämtlichen EFTA-Staaten (Norwegen, Island, Schweiz und Liechtenstein) erforderte.

Bei fortbestehender Mitgliedschaft im EWR müsste das UK weiterhin finanzielle Beiträge entrichten, ohne Einfluss auf die Entscheidungsfindung in der EU zu haben. Weiterer Problempunkt wäre die Personenfreizügigkeit, die zu den Grundfreiheiten des EWR zählt, welche die Brexit-Befürworter aber gerade begrenzen wollen.

  • Das Modell „Schweiz“

Das UK könnte wie die Schweiz (die zwar der EFTA angehört, aber den EWR-Vertrag nicht ratifiziert hat) in eine Vielzahl von bilateralen Vereinbarungen mit der EU eintreten, um dadurch einen direkten Zugang zu wichtigen Sektoren des EU-Binnenmarktes zu bewahren (z.B. freier Waren- und Kapitalverkehr). Allerdings müsste das UK, wie im Modell „Norwegen“, finanzielle Beiträge leisten, ohne Einfluss auf die Entscheidungsfindung in der EU zu haben. Auch die Frage der Personenfreizügigkeit würde sich grundsätzlich in gleicher Weise wie beim Modell „Norwegen“ stellen.

Im Übrigen hat die EU in den „Schlussfolgerungen des Rates zu den Beziehungen zwischen der EU und den EFTA-Ländern“ vom 20. Dezember 2012 deutlich gemacht, dass das Schweizer Modell die Grenzen seiner Möglichkeiten erreicht habe und nicht weiter ausgebaut werden soll. Die Bereitschaft, neben der Schweiz einen weiteren Sonderfall dieser Art entstehen zu lassen, dürfte gering sein.

Auch ist zu beachten, dass die sektorale Zusammenarbeit der Schweiz keinen vollständigen Zugang zu allen Teilen des EU-Binnenmarktes verschafft. Einschränkungen gelten namentlich bei den für die Londoner City wichtigen Finanzdienstleistungen; so können schweizerische Dienstleister anders als Unternehmen aus EWR-Staaten nicht auf das Instrument des Passporting zurückgreifen.

  • Das Modell „Kanada“

Das UK könnte ein eigenes Freihandelsabkommen mit der EU bzw. den einzelnen Mitgliedstaaten abschließen, wie Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) zwischen Kanada und der EU, was insbesondere freien Warenhandel mit der EU ermöglichen würde. Allerdings würde weder Personenfreizügigkeit noch Dienstleistungsfreiheit für das UK gelten. Im Gegensatz zu den o.g. Modellen müsste das UK in diesem Fall keine finanziellen Beiträge entrichten.

  • Das Modell „WTO“

Wenn sich die EU und das UK auf kein anderes Modell einigen können, würde der Handel künftig nach den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) ablaufen. Der Zugang des UK zum EU-Binnenmarkt wäre so beschränkt wie zum Beispiel der eines Landes wie Neuseeland.

Unternehmen, die am Wirtschaftsverkehr mit dem UK beteiligt sind, müssen sich auf die kommenden Veränderungen frühzeitig einstellen. Dies gilt auch, soweit nur indirekte Beziehungen bestehen, beispielsweise wenn eine Finanzierung oder Versicherungsschutz durch ein englisches Konsortium oder aus London heraus erfolgt. Insbesondere wird bei der Wahl englischen Rechts oder englischer Gerichtsstände bis zur Klärung in dem vorgesehenen Austrittsabkommen Vorsicht geboten sein.

Die nachfolgende Aufstellung zeigt die Vielzahl der Bereiche, in denen Änderungen auf Marktteilnehmer im Wirtschaftsverkehr mit dem UK zukommen.

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