Newsletter Health Care, Pharma & Life Sciences 1/2016
Elektronische Gebrauchsanweisungen bei Medizinprodukten und Arzneimitteln
Immer seltener liegt einem neu erworbenen Produkt eine ausführliche Gebrauchsanweisung aus Papier bei. Bei Konsumgütern wie Elektronikgeräten ist das früher üblicherweise mitgelieferte Benutzerhandbuch schon zur Ausnahme geworden. In welchem Umfang dürfen sich auch Hersteller von Medizinprodukten und Arzneimitteln die Vorteile elektronischer Gebrauchsanweisungen zunutze machen?
Elektronische Gebrauchsanleitungen sind auf dem Vormarsch. Vielen Verbraucherprodukten – wie zum Beispiel Smartphones – liegen statt einer ausführlichen Gebrauchsanleitung aus Papier nur noch kleine Hinweisblätter bei, denen nur die wichtigsten Sicherheitshinweise und ein Verweis auf eine Adresse im Internet zu entnehmen sind, unter der eine ausführliche Gebrauchsanleitung zum Abruf und Ausdruck bereit steht. Dieser Trend reduziert nicht nur die Kosten der Hersteller für Papier und Verpackung. Gleichzeitig wird dadurch ermöglicht, die Produktinformationen zu jeder Zeit aktuell zu halten. Diese Vorteile haben sich mittlerweile in vielen Industriezweigen herumgesprochen, so dass sich immer wieder auch Hersteller von Medizinprodukten und Arzneimitteln fragen, ob sie davon ebenso profitieren können.
Die gesetzliche Lage bei Medizinprodukten und Arzneimitteln
Auf dem Gesundheitsmarkt ist dies aufgrund rechtlicher Vorschriften jedoch nur eingeschränkt möglich. Für Medizinprodukte ist genau wie für Arzneimittel gesetzlich vorgeschrieben, dass sie ihren Produkten grundsätzlich eine Gebrauchsanweisung beizufügen haben. Im Arzneimittelrecht ergibt sich dieses Erfordernis ausdrücklich aus § 11 Arzneimittelgesetz. Die sog. Packungsbeilage soll gewährleisten, dass das Produkt sachgerecht eingenommen bzw. verwendet wird. Deshalb sind auf ihr allgemein verständlich, in deutscher Sprache und in gut lesbarer Schrift zahlreiche Angaben zu machen. Dazu zählen unter anderem Anleitungen zur Dosierung, der Art der Anwendung, die Häufigkeit der Verabreichung, eine Beschreibung der Neben- und Wechselwirkungen sowie Hinweise auf ein Verfallsdatum und etwa erforderliche besondere Vorsichtsmaßnahmen für die Aufbewahrung des Arzneimittels.
Im Gesetz über Medizinprodukte (MPG) findet sich eine vergleichbare Vorschrift in § 11 Abs. 2 MPG. Danach dürfen Medizinprodukte nur an den Anwender abgegeben werden, wenn die für ihn bestimmten Informationen in deutscher Sprache abgefasst sind. Zwar ergibt sich aus dieser Formulierung nicht ausdrücklich, dass dem Verwender die für den Einsatz des Medizinprodukts erforderlichen Informationen in Papierform vorliegen müssen. Ein solches Erfordernis ergibt sich jedoch aus einem Umkehrschluss aus Anhang I, Ziffer 13 der EU-Richtlinie 42/93 in Verbindung mit der EU-Verordnung 207/2012. Verstößt ein Hersteller gegen diese Pflicht, droht ihm die Festsetzung eines Bußgelds von bis zu 25.000 Euro.
Elektronische Gebrauchsanweisung bei Medizinprodukten ausnahmsweise zulässig
Als Ausnahme sind Gebrauchsanweisungen in elektronischer Form nach der EU-Verordnung 207/2012 unter strengen Voraussetzungen zulässig. Diese Verordnung gilt für sog. aktive implantierbare Medizinprodukte im Sinne der EG-Richtlinie 385/90 (zum Beispiel Herzschrittmacher, Defibrillatoren oder Sonden zur Medikamentenabgabe, die nach Operationen in den Körper implantiert werden) sowie für bestimmte „allgemeine“ Medizinprodukte im Sinne der EG-Richtlinie 42/93, namentlich implantierbare (aktive oder nicht-aktive), fest installierte Medizinprodukte sowie solche, in die ein System zur Anzeige der Gebrauchsanweisung eingebaut ist, zum Beispiel ein Display. Die genannten Medizinprodukte sind ausschließlich für die Verwendung durch professionelle Anwender bestimmt, weshalb das erforderliche Sicherheitsniveau durch einen fachlich ausgebildeten Verwender des Medizinproduktes, beispielsweise einen Arzt, auch ohne schriftliche Gebrauchsanweisung gewährleistet werden kann. Der Patient, dem etwa eine Hüftgelenksprothese implantiert wird, wird eine Gebrauchsanweisung in Papierform – neben der verpflichtenden Aufklärung durch den behandelnden Arzt – ohnehin nicht zwingend benötigen.
Werden Medizinprodukte demgegenüber direkt zur Nutzung an den Verbraucher abgegeben, sind Hersteller also weiterhin verpflichtet, diesem eine Gebrauchsanweisung in Papierform zur Verfügung zu stellen. Damit können Hersteller solcher Medizinprodukte nicht von den oben beschriebenen Vorteilen elektronischer Gebrauchsanweisungen profitieren.
Sonderfall In-vitro-Diagnostika
Für In-vitro-Diagnostika im Sinne von § 3 Nr. 4 MPG ist es derzeit noch generell unzulässig, eine elektronische Gebrauchsanweisung als Ersatz für die herkömmliche schriftliche Form zu verwenden. Anhang I, Ziffer 8 der EG-Richtlinie 79/98 schreibt hier derzeit (noch) ausdrücklich die Beifügung einer Gebrauchsanweisung in Papierform vor, obwohl In-vitro-Diagnostika – wie beispielsweise Reagenzien – regelmäßig von geschultem Personal verwendet werden. Die Gefahr von Fehlverwendungen ist somit eigentlich überschaubar, so dass hier durchaus gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Der Verordnungsentwurf des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. September 2012 sieht in seinem Anhang I, Ziffer 17.1 deshalb vor, dass bei In-vitro-Diagnostika, die zum beruflichen Gebrauch bestimmt sind, allein eine elektronische Gebrauchsanweisung bereitgestellt werden darf. Ob und wann diese neue Verordnung verabschiedet wird, bleibt abzuwarten. Sie wird derzeit im Rat der Europäischen Union erörtert. Das Inkrafttreten einer solchen Regelung würde für die Hersteller von In-vitro-Diagnostika eine enorme Entlastung bedeuten, so dass auf einen zügigen Fortgang der Beratungen im Ministerrat zu hoffen ist.
Fazit
Der europäische Gesetzgeber hängt in punkto elektronische Gebrauchsanweisungen bei In-Vitro-Diagnostika zwar hinterher, allerdings können schon jetzt einige Medizinproduktehersteller von den Vorteilen elektronischer Gebrauchsanweisungen Gebrauch machen. Es ist anzunehmen, dass sich der Trend zu elektronischen Gebrauchsanweisungen fortsetzt und solche vom europäischen Gesetzgeber auch im Bereich der In-Vitro-Diagnostika zukünftig unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen werden. Für Arzneimittel dürfte es stattdessen auf unbestimmte Zeit bei der zwingenden Beifügung der sog. Packungsbeilage bleiben.