08.12.2017Fachbeitrag

Update Kartellrecht Dezember 2017

Plattformverbote sind zulässig! EuGH schafft Klarheit im Internetvertrieb (das neue „Coty“-Urteil)

Mit großer Spannung wurde von Herstellern und Händlern die Entscheidung des EuGH zum „Drittplattformverbot” (Az.: C-230/16) erwartet. Vorausgegangen war der Vorlagebeschluss des OLG Frankfurt/Main (Beschluss v. 19.4.2016, Az.: 11 U 96/14), welcher die bis dahin wichtigsten Fragen des Selektivvertriebs ins Visier nahm.  Während das Bundeskartellamt Beschränkungen in Vertriebsverträgen, die den Händlern untersagten, Vertragswaren über Plattformen Dritter wie eBay und Amazon zu vertreiben, stets als unzulässig erachtete (vgl. hierzu BKartA, Fallbericht v. 19.8.2014, Az.: B3- 137/12 – adidas), war sich die Rechtsprechung bis dato uneinig. Ein neues Urteil aus Luxemburg schafft nun Klarheit.

Selektivvertrieb im Internetzeitalter

Der Onlinehandel ist aus dem Konsumverhalten der heutigen Verbraucher nicht mehr wegzudenken. Vielfach werden dabei Waren über sogenannte „Plattformen“ wie eBay oder Amazon vertrieben. Generell kann ein Hersteller nur in einem selektiven Vertriebssystem den von ihm autorisierten Händlern verbieten, die Vertragswaren an andere, nicht zum Vertriebssystem gehörende Händler („nicht-autorisierte Wiederverkäufer“) zu vertreiben. Im Internetvertrieb drohen die Konturen zu verschwimmen: Stellt ein autorisierter Händler die Waren auf Plattformen Dritter wie eBay oder Amazon ein, entsteht beim Kunden möglicherweise der Eindruck, er kaufe die Waren „bei Amazon“, „bei eBay“, nicht aber beim vom Hersteller autorisierten Händler. Die Einheitlichkeit des Verkaufserlebnisses, eines der zentralen Kennzeichen des Selektivvertriebs, schien gefährdet. Kann der Hersteller den von ihm autorisierten Händlern, den Absatz über Plattformen Dritter in vertriebskartellrechtlich zulässiger Weise untersagen?

Das Ausgangsverfahren

Den ausschlaggebenden Anstoß zur nun europaweiten höchstrichterlichen Klärung dieser Frage gab die Klage der  Coty Germany GmbH, einer der Marktführerinnen im Segment der Luxus- und Prestigekosmetik, gegen einen ihrer langjährigen Selektivvertriebspartner, welcher die Vertragsprodukte u.a. über sog. Drittplattformen vertrieben hatte. Auf Grundlage eines Depotvertrags war es dem Händler gestattet, die Vertragsprodukte online zu verkaufen, sofern der Verkauf über seinen Online-Shop erfolgte und er sein Internet-Geschäft als „elektronisches Schaufenster“ des autorisierten Ladengeschäfts führte. Auch der Vertrieb über Plattformen Dritter war dem Händler nicht untersagt, solange die Einschaltung der nicht autorisierten Plattform für den Verbraucher nicht erkennbar war. Mit ihrer Klage versuchte Coty, das Verbot gerichtlich durchzusetzen, Dritte in, für den Kunden erkennbare Weise, in den Vertrieb einzuschalten. Hiermit scheiterte Coty jedoch vor dem LG Frankfurt/Main. Dieses vertrat die Ansicht, dass das Verbot des Verkaufs über Drittplattformen gegen das Kartellverbot aus § 1 GWB/ Art. 101 Abs.1 AEUV verstoße und gleichzeitig eine unzulässige Kernbeschränkung i.S.d. Art.4 lit. c Vertikal-GVO darstelle, so dass eine Gruppenfreistellung nach § 2 GWB bzw. Art. 101 Abs.3 AEUV nicht in Betracht komme.

Die Vorlagefragen des OLG Frankfurt

In der Berufungsinstanz setzte das OLG Frankfurt/Main aufgrund von Auslegungszweifeln hinsichtlich des europäischen Rechts das Verfahren aus und legte sodann dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens folgende Fragen bezüglich eines selektiven Vertriebssystems vor.

  • Kann ein selektives Vertriebssystem zur Sicherung eines Luxus- und Prestigeimages des Produkts eingerichtet werden, ohne in den Anwendungsbereich des Kartellverbots nach Art. 101 Abs. 1 AEUV zu fallen?
  • Kann es mit dem Kartellverbot (Art. 101 Abs.1 AEUV) vereinbar sein, wenn Selektivhändlern verboten wird, bei Internetverkäufen nach außen Drittunternehmen einzuschalten, unabhängig davon, ob Qualitätsanforderung des Herstellers erfüllt sind oder nicht?
  • Wird eine der Kernbeschränkungen nach Art. 4 der Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen („Vertikal-GVO“), nämlich das Verbot von Kundengruppenbeschränkungen nach Art. 4 lit. b Vertikal-GVO bzw. das Verbot von Beschränkungen des aktiven oder passiven Verkaufs  in Selektivvertriebssystemen nach Art. 4 lit. c Vertikal-GVO) verletzt, wenn Selektivhändlern verboten wird, bei Internetverkäufen nach außen erkennbar Drittunternehmen einzuschalten?

Die Entscheidung des EuGH

Nachdem sich bereits Generalanwalt Wahl in seinen Schlussanträgen für die kartellrechtliche Zulässigkeit eines Drittplattformverbots aussprach, stärkte nun auch der EuGH mit der Beantwortung der vorgenannten Fragen in seiner Entscheidung vom 6. Dezember2017 den Herstellern im Selektivvertrieb klar den Rücken.

Selektivvertrieb zur Sicherstellung des „Luxus- und Prestigeimages“

Im Rahmen der Beantwortung der ersten Vorlagefrage stellte der EuGH unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung zunächst fest, dass ein selektives Vertriebssystem für Luxuswaren, das primär der Sicherstellung des Luxusimages dieser Waren dient, mit Art. 101 Abs.1 AEUV vereinbar sei, sofern (i) die Auswahl der Wiederverkäufer anhand objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolgt, (ii) letztere einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet werden, (iii) und nicht über das erforderliche Maß hinausgehen.

Keine Änderung der Grundsätze durch „Pierre Fabre“

Gleichzeitig betonte der EuGH ausdrücklich, dass seine vorgenannte ständige Rechtsauffassung zur Zulässigkeit eines selektiven Vertriebssystems für Luxusware nicht durch seine Feststellungen im Urteil Pierre Fabre Dermo-Cosmetique (Urteil v. 13.10.2011, Rs. C-439/09) entkräftet wurde, da letzterem ein anderer Sachverhalt zugrunde lag. Damit erledigte der EuGH en passant einen Auslegungsstreit um eine etwas missverständliche Passage dieser Entscheidung.

Anwendung der „Metro-Kriterien“

Weiterhin stellte der EuGH fest, dass eine Vertragsklausel wie im Ausgangsverfahren, welche verbietet, beim Verkauf von Vertragswaren im Internet nach außen erkennbar Drittplattformen einzuschalten, um dadurch das Luxusimage dieser Waren sicherzustellen, unter den Voraussetzungen des sog. „Metro-Tests“ (vgl. grundlegend EuGH, Urteil v. 25. 10.1977, Rs. 26/76) mit Art. 101 Abs.1 AEUV vereinbar sei: Wird das Plattformverbot (i) einheitlich festgelegt, (ii) ohne Diskriminierung angewandt und steht es (iii) in angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel, fällt das Plattformverbot nach Aussage des EuGH bereits nicht in den Anwendungsbereich des Kartellverbots. Das Vorliegen der vorgenannten Voraussetzungen hat letztendlich das mitgliedstaatliche Gericht zu prüfen. Der EuGH gab jedoch in seiner Entscheidung zu erkennen, dass er vom Vorliegen dieser Voraussetzungen im Vorlagefall ausgeht.

Keine Kernbeschränkung

Mit Spannung erwartet worden war vor allem die Antwort auf die dritte und vierte Vorlagefrage, die Fragen nach den unzulässigen Kundenkreisbeschränkungen gemäß den Vorschriften der Vertikal-GVO. Der EuGH verwies darauf, es sei nicht möglich, die Gruppe der „Drittplattformkunden“ von der Gruppe der Online-Kunden abzugrenzen. Durch das von Coty ausgesprochene Verbot werde zudem nicht jeglicher Online-Handel untersagt. Daher sei weder von einer Beschränkung der Kundengruppe i.S.d. Art. 4 lit. b Vertikal-GVO noch von einer Beschränkung des aktiven oder passiven Verkaufs im Selektivvertriebssystem (Art. 4 lit. c Vertikal-GVO) auszugehen.

Fazit und Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des EuGH bringt die lang ersehnte Rechtssicherheit sowohl für die Hersteller, die ihre Waren im Rahmen eines Selektivvertriebssystems absetzen, als auch für deren zugelassene Vertragshändler. Zugleich setzt der EuGH einen nüchternen kartellrechtlichen Gegenpol gegen die sehr kritische wettbewerbsökonomische Einordnung des Plattformverbots im adidas-Fallbericht des Bundeskartellamts und bestätigt die Kontinuität seiner eigenen Rechtsprechung zum Selektivvertrieb.

Die Praxis wird zeigen, ob die von einigen Kommentatoren erwartete Welle an Plattformverboten vereinbart und/oder gar eine „Renaissance des Selektivvertriebs“ anbrechen wird. Leicht anzuwenden sind die vom EuGH aufgestellten Kriterien für Drittplattformverbote in qualitativ selektiven Vertriebssystemen sicherlich nicht. Zumindest insoweit bleibt im Selektivvertrieb auch nach der Entscheidung des EuGH doch wieder alles beim Alten.

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