Update Vertriebsrecht März 2021
Rohertrag keine taugliche Berechnungsgrundlage – Erste Erfahrungen mit dem Urteil des BGH zum Auskunftsanspruch
Steht dem auf Ausgleich (analog) § 89b HGB klagenden Handelsvertreter bzw. Vertragshändler gegen den Hersteller ein Auskunftsanspruch über den vom Hersteller mit dem Produkt insgesamt erzielten Rohertrag (Deckungsbeitrag I) zu? Diese Frage wurde in der Rechtsprechung bisher uneinheitlich beantwortet und hat in den vergangenen Jahren die ohnehin nicht einfachen Auseinandersetzungen zwischen Herstellern und Vertriebspartnern zusätzlich aufgeladen. Mit Urteil vom 24. September 2020 (Az. VII ZR 69/19) befasste sich der BGH mit dieser Frage und lehnte einen Auskunftsanspruch bezüglich des Deckungsbeitrags ab. Dies hält vormalige Vertragshändler, wie erste Erfahrungen seit Veröffentlichung des Urteils belegen, allerdings nicht davon ab, die Auseinandersetzungen mit Auskunftsansprüchen auch weiterhin zu „beleben“.
Händlerrabatt als Berechnungsgrundlage
Bereits in einer früheren Entscheidung aus dem Jahr 2010 (Az. VIII ZR 25/08) hatte der BGH festgestellt, dass der vom Hersteller eingeräumte Händlerrabatt, bereinigt um händlertypische Vergütungsbestandteile, die Grundlage für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs (analog) § 89b HGB ist. Die Höhe des erzielten Händlerrabatts ist dem Vertragshändler selbstverständlich bekannt; ebenso die zu berücksichtigenden händlertypischen Vergütungsbestandteile (wenngleich die Rechtsprechung die Beweislast dafür dem Hersteller auferlegt). Einer darüber hinausgehenden Auskunft über die in der Vergangenheit erzielten Deckungsbeiträge bedarf es daher nicht.
Änderung des § 89b HGB für Berechnung irrelevant
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der mit Wirkung zum 5. August 2009 in Kraft getretenen Änderung des § 89b Abs. 1 HGB. Aus der Gesetzesänderung folgt insbesondere nicht, dass für eine Berechnung des Ausgleichsanspruchs ausschließlich die Unternehmervorteile in Form des erzielten Rohertrags relevant wären. Diese Argumentation deckt sich mit den Ausführungen des OLG Düsseldorf (Az. I-16 U 171/15) in einem Urteil aus dem Jahr 2017.
Argumentation des OLG Frankfurt überzeugt nicht
Eine andere Ansicht hatte jedoch das OLG Frankfurt a.M. (Az. 12 U 37/18) in dem der Entscheidung des BGH vorangegangenen Verfahren vertreten. Das OLG war der Ansicht, dass für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs ausschließlich die Unternehmervorteile maßgeblich seien; diese seien nach der Neufassung des § 89b Abs. 1 HGB nicht mehr durch die Höhe der Provisionsverluste des Handelsvertreters beschränkt. Da der Vertragshändler nicht über die entsprechende Kenntnis der Unternehmervorteile verfüge, stehe ihm der Auskunftsanspruch zu.
BGH: „Rohertrag keine taugliche Berechnungsgrundlage“
Der BGH tritt dieser Ansicht des OLG Frankfurt a.M. mit dem aktuellen Urteil entgegen: Nach Ansicht des BGH ist der vom Unternehmer mit dem betreffenden Produkt insgesamt erzielte Rohertrag keine taugliche Grundlage für die Berechnung der Vorteile des Unternehmers im Sinne des § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HGB; ein darauf gerichteter Auskunftsanspruch besteht daher nicht.
Keine Zuordnung des Rohertrags zum Kundenstamm
Der auszugleichende Vorteil des Herstellers besteht nach Ansicht des BGH darin, die vom Handelsvertreter oder Vertragshändler geschaffene Geschäftsverbindung zu Kunden nach Beendigung des Händler- bzw. Handelsvertretervertrags weiterhin nutzen zu können. Es geht damit um eine Bewertung des vom Vertriebspartner geschaffenen Kundenstamms („goodwill“), für den der Partner während der Vertragslaufzeit die vertraglich vereinbarte Provision erhält. Dieser Wert ist von der Gewinnmarge zu unterscheiden, die der Hersteller insgesamt mit dem Vertrieb des Produkts erzielen kann. Dieses Verständnis des Begriffs der Unternehmervorteile ist – so die Ansicht des BGH – auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union weiter maßgeblich.
Zudem ist nach Ansicht des BGH auch kein Erfahrungssatz dahingehend ersichtlich, dass dem vom Vertragshändler geschaffenen Kundenstamm, den der Hersteller nach Beendigung des Vertragsverhältnisses nutzen kann, ein objektiv zu ermittelnder, bestimmter prozentualer Bruchteil des vom Hersteller mit dem vom Vertragshändler vertriebenen Produkt insgesamt erzielten Rohertrags zugeordnet werden kann.
Versuche der Interpretation durch Händlervertreter
Die Entscheidung stärkt offenkundig die Position der Herstellerseite. Dies hält einige der anwaltlichen Vertreter vormaliger Vertragshändler allerdings nicht von dem Versuch ab, weiterhin auf einem Auskunftsanspruch zugunsten ihrer Mandanten zu beharren: Dabei wird ins Feld geführt, der BGH schließe einen Auskunftsanspruch nicht pauschal aus, sondern benenne sogar bestimmte Fallkonstellationen, in denen ein Auskunftsanspruch bestehen könne. Zwar erwägt der BGH in der Tat für bestimmte Fallkonstellationen die Existenz eines Auskunftsanspruchs in Bezug auf bestimmte Unternehmervorteile. Dies gilt jedoch, wie sich den Entscheidungsgründen entnehmen lässt, nur für Fälle, in denen spezifische außergewöhnliche Unternehmervorteile vorliegen sollen. Ein genereller Auskunftsanspruch findet in der Entscheidung des BGH (zu Recht) keine Grundlage.
Einordnung der Entscheidung
Der BGH beseitigt mit der Entscheidung nicht nur die seit Änderung des § 89b HGB im Jahre 2009 bestehende Unsicherheit über Umfang und Berechnungsgrundlage etwaiger Ausgleichsansprüche, sondern leistet zudem auch einen Beitrag dazu, die Auseinandersetzungen um Ausgleichsansprüche zu versachlichen. Versuche der Händlervertreter, das Urteil in ihre Richtung auszulegen, vermögen hieran nichts zu ändern. Bei all diesen Interpretationsversuchen darf nämlich auch nicht verkannt werden, dass die Gewährung eines Auskunftsanspruchs für die Hersteller in der Praxis kaum zumutbare Auswirkungen hätte. Auskünfte über durch den Verkauf der Vertragsprodukte realisierte Deckungsbeiträge I (Roherträge) wären für die Hersteller nicht nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden; sie wären zudem auch deshalb unzumutbar, da es sich bei dem vom Hersteller realisierten Rohertrag um sensible Geschäftsgeheimnisse handelt. Schon allein auf Grund dessen kann die Entscheidung des BGH nur begrüßt werden.