Fachbeitrag
Automotive Compliance: Regulatorische Herausforderungen
Behördliche Bußgelder angesichts technischer Non-Compliance und zivilrechtliche Gerichtsverfahren sich enttäuscht zeigender Kunden können für Hersteller von Fahrzeugen und Komponenten besondere Herausforderungen darstellen. Seit dem 1. September 2020 gilt die neue Verordnung (EU) 2018/858 (Rahmenverordnung). Die Rahmenverordnung ersetzt die Richtlinie 2007/46/EG. Sie reformiert den Rechtsrahmen für die EU-Typgenehmigung und ergänzt diesen um eine intensivierte Marktüberwachung von Fahrzeugen im Feld.
Neue Marktüberwachung in der Automobilindustrie
Seit dem 1. September 2020 müssen Hersteller nicht nur die geänderten Vorschriften des Typgenehmigungsrechts beachten. Die Rahmenverordnung etabliert zudem eine neue Marktüberwachung in der Automobilindustrie. Angesichts der zu erwartenden hohen Sanktionen und unionsweit zu vollziehenden behördlichen Aufsichtsmaßnahmen (Rückrufe, Betriebsuntersagungen, Widerruf der Typgenehmigung) bei Nichtkonformität von Fahrzeugen bringt die neue Rahmenverordnung eine neue Qualität und Quantität der bereichsspezifischen Marktüberwachung für Fahrzeuge als Reaktion auf die in der Öffentlichkeit wahrgenommene Diesel-Abgasthematik mit sich.
Kernpunkte
Die Kernpunkte der neuen Rahmenverordnung sind:
- Steigerung von Unabhängigkeit und Qualität der Tests vor der Zulassung.
- Regelmäßige Kontrollen von Fahrzeugen, die bereits auf dem Markt sind.
- Intensivierte Aufsicht auch durch die Europäische Kommission und europaweite behördliche Koordinierung.
Typgenehmigungsrecht bleibt im Kern erhalten
Die Regeln des bestehenden Typgenehmigungsverfahrens blieben im Kern erhalten. Zudem wurden Pflichten betreffend den Zugang zu On-Board-Diagnose-, Fahrzeugreparatur- und Wartungsinformationen gebündelt und partiell neu geregelt.
Conformity of Production
Die Übereinstimmung der Produktion (COP) ist einer der Eckpfeiler des EU-Typgenehmigungssystems. Daher sollen die vom Hersteller getroffenen COP-Vorkehrungen von der zuständigen Behörde oder von einem zu diesem Zweck benannten ausreichend qualifizierten technischen Dienst genehmigt sowie unabhängig und regelmäßig nachgeprüft werden. Art. 31 VO (EU) 2018/858 und Anhang IV statuieren umfangreiche Pflichten diesbezüglich. Überprüft werden nicht nur die Produktionsprozesse, sondern auch die hergestellten Produkte. Es ist zu erwarten, dass im Bereich der COP die Anforderungen für die Hersteller in den nächsten Jahren, insbesondere durch eine intensivierte Behördenpraxis, erheblich verschärft werden.
Neue Herstellerpflichten
Die neue Rahmenverordnung statuiert umfangreiche Pflichten für Hersteller und weitere Wirtschaftsakteure der Automobilindustrie im Allgemeinen sowie insbesondere im Zusammenhang mit Fahrzeugen, die nicht regelkonform sind oder eine ernste Gefahr darstellen.
EU-weite Auswirkung von Marktüberwachungsmaßnahmen
Durch die präzisierten Schutzklauseln bei Nichtkonformität und ernster Gefahr gemäß Art. 51 ff. VO (EU) 2018/858 werden unionsweite einheitliche Rechtsfolgen ermöglicht. Insbesondere werden einheitlich verpflichtende Rückrufe auf der Basis eines entsprechenden Durchführungsrechtsaktes in der gesamten EU umgesetzt werden können. Die alte Rechtslage sah die Umsetzung von Rückrufen in der ausschließlichen Zuständigkeit des jeweiligen Mitgliedsstaates vor.
Hohe Bußgelder sind zu erwarten
Verstöße gegen die Bestimmungen der Rahmenverordnung können neben dem Verlust der Verkehrsfähigkeit der Fahrzeuge zu empfindlichen Haftungsfolgen und Sanktionen, namentlich zu Geldbußen in Höhe von bis zu EUR 30.000 pro Fahrzeug (!), für Hersteller führen.
Product Compliance Matters!
Zusammenfassend sind folgende Konsequenzen zu ziehen:
- Product Compliance bekommt eine noch höhere Bedeutung.
- Durch intensivierte Marktüberwachung von Fahrzeugen auf dem Markt werden Behörden, wie beispielsweise das Kraftfahrt-Bundesamt in Deutschland, in der ganzen EU länderspezifisch genauer und strukturierter prüfen.
- Der Impact hoher Bußgelder und unionsweit einheitlicher behördlicher Maßnahmen (Rückrufe) ist erheblich.
- Produktbezogene Non-Compliance kann zudem Klagewellen sich enttäuscht gebender Verbraucher nach sich ziehen und ist daher durch Anpassung der Compliance-Prozesse und Governance-Strukturen der Hersteller entsprechend zu adressieren.
Erforderlich: Anpassung der internen Compliance-Prozesse und der Beziehungen zu Zulieferern
Hersteller von Fahrzeugen und Komponenten sind gut beraten, sich auf die organisationsrechtlichen Herausforderungen der neuen Rahmenverordnung einzustellen. Die Einhaltung der technischen Vorschriften hat oberste Priorität für die Verkehrsfähigkeit der Fahrzeuge und die Abwehr von rechtlichen Risiken als Kettenreaktion infolge behaupteter produktbezogener Nichtkonformität oder ernster Gefahr. Compliance-Prozesse und Governance-Strukturen sind im Unternehmen insgesamt (Tone from the Top) zu ertüchtigen und maßgeschneidert auf die neuen organisatorischen und rechtlichen Herausforderungen der Product Compliance abzustimmen. Die vertraglichen Beziehungen zu Zulieferern sind zu überprüfen und die regulatorischen Herausforderungen in der Lieferkette zu adressieren.