Update Compliance 3/2020
OLG Hamm: Compliance-Verstoß rechtfertigt Kündigung des Geschäftsführers
Die Freigabe einer fingierten Forderung zur Erfüllung einer Provisionsabrede, die der Umgehung unternehmensinterner Compliance-Vorschriften dient, ist ein gravierender Pflichtverstoß und damit ein wichtiger Kündigungsgrund i. S. von § 626 Abs. 1 BGB. Dies hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm (Az.: 8 U 146/18) entschieden.
Zur Aufklärung des Pflichtverstoßes kann eine zeitgleiche Befragung mehrerer Mitarbeiter durch die Compliance-Abteilung erforderlich sein. Sofern diese sich aufgrund der Abwesenheit betroffener Mitarbeiter verzögert, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt.
Nach Ansicht des 8. Zivilsenats des OLG Hamm ist der Verstoß gegen eine interne Compliance-Vorschrift durch den Geschäftsführer regelmäßig eine schwerwiegende Pflichtverletzung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB, welche zu einer fristlosen Kündigung führen kann. Dies gelte auch dann, wenn ein im Grundsatz betrieblich genehmigungsfähiger Vorgang vorliegt, welcher aber unter Missachtung der Compliance-Vorschriften durchgeführt wurde.
Verstößt ein Vorgesetzter gegen Compliance-Vorschriften, sei dies ein Indikator für eine besondere Schwere der Pflichtverletzung. Denn hierdurch werde bereits die erforderliche Einhaltung der Vorschriften gegenüber den Mitarbeitern nicht vorgelebt, sodass die Compliance-Vorschriften ihre "Autorität" verlieren.
Auch könne insbesondere von Leitungsorganen von Kapitalanlagegesellschaften verlangt werden, dass sie die Compliance-Regeln ihres eigenen Unternehmens und die Sanktionen, mit denen sie bewehrt sind, kennen. Ansonsten seien sie von vornherein ungeeignet, das Unternehmen zu führen. Ein nachfolgender Verstoß trotz dieser Kenntnis falle daher besonders ins Gewicht. Dabei sei zu beachten, dass auch eine nachträgliche Verhaltensänderung durch das spätere Einschalten der Compliance-Abteilung oder die Rückabwicklung des mit dem Verstoß realisierten Geschäfts keine Aufhebung oder Milderung des Verstoßes herbeiführe.
Eine für eine spätere Kündigung grundsätzlich erforderliche vorherige Abmahnung entfalle bei Personen in Führungspositionen, sofern ihnen ein Compliance-Verstoß vorgeworfen wird. Der Schutzfunktion der Abmahnung, welche unter anderem darin besteht, den schutzbedürftigen Arbeitnehmer auf sein Fehlverhalten aufmerksam zu machen und ihn vor Konsequenzen zu warnen, bedürfe es nicht.
Kein Fristablauf des § 626 Abs. 2 BGB durch Ermittlungen des Compliance-Teams
Der 8. Senat hält zudem eine dreischrittige Sachverhaltsermittlung durch die einzuschaltende Compliance-Abteilung für zulässig. Die Auswertung von Unterlagen, gefolgt von der Anhörung verschiedener Beteiligter und die abschließende Anhörung des Beschuldigten ist nach Ansicht des Senats eine planvolle und zielgerichtete Sachverhaltsaufklärung. Im Rahmen dieser Aufklärungsstrategie sei es nicht zu beanstanden, dass alle Beteiligten am selben Tag gehört werden sollen. Insbesondere bei der Aufklärung von mutmaßlich kollusivem Zusammenwirken sei dies sachgerecht. Sofern dies aufgrund der Verhinderung betroffener Personen verzögert wird, hindere dies auch bei einer Zeitspanne von bis zu zehn Wochen die Zweckmäßigkeit nicht. Ein solcher Zeitablauf führe daher grundsätzlich nicht dazu, dass die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. BGB beginnt. Vielmehr beginne die Frist erst zu laufen, wenn durch angemessene Aufklärungsmaßnahmen alle Tatsachen ermittelt sind, die eine Entscheidung über die Beendigung oder das Fortsetzen des Dienstverhältnisses ermöglichen.
Ermittlung auch früherer Compliance-Verstöße
Zur vollumfänglichen Sachverhaltsaufklärung könne zudem auch die Ermittlung von früheren Compliance-Verstößen erfolgen. Da dies zur Begründung einer besonderen Erheblichkeit des in Betracht kommenden Compliance-Verstoßes dienlich sein kann, stelle auch dies keine unangemessene Verzögerung dar. Der Fristbeginn des § 626 Abs. 2 BGB wird - so das OLG - auch durch diese Aufklärungsmaßnahmen gehemmt.
Praxishinweis
Die Entscheidung des OLG Hamm schafft Rechtssicherheit für Unternehmen im Umgang mit Compliance-Verstößen durch Geschäftsführer. Zudem verdeutlicht die Entscheidung den zunehmenden Stellenwert von Compliance-Regelwerken in Unternehmen. Sämtliche Hierarchieebenen im Unternehmen sollten mit den Compliance-Richtlinien des Unternehmens vertraut sein und ihre Tätigkeit hieran ausrichten. Aufgrund der Vorbildfunktion gilt dies erst recht für die Führungsebenen.
Notwendige und umfassende interne Untersuchungen zu Compliance-Verstößen hemmen grundsätzlich die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB, nach der eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen kann. Sobald Anhaltspunkte für einen Compliance-Verstoß vorliegen, sind in der Praxis die erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen gleichwohl mit der gebotenen Eile durchzuführen. Die Ausführungen des 8. Senats dienen hier als Orientierungshilfe. Unternehmen sollten dennoch eine möglichst rasche Aufklärung vorantreiben um Risiken zu vermeiden. Denn die zivil- und arbeitsgerichtliche Rechtsprechung legt hier regelmäßig divergierende und vom jeweiligen Einzelfall geprägte Maßstäbe an.