09.08.2024Fachbeitrag

Update Compliance 10/2024

Bundesgerichtshof: Geldbuße nach § 30 Abs. 1 OWiG für jede rechtlich selbstständige Anknüpfungstat

Der Bundesgerichthof hat mit Urteil vom 6. März 2024 (1 StR 308/23) entschieden, dass wegen jeder rechtlich selbstständigen Anknüpfungstat eine gesonderte Geldbuße nach § 30 Abs. 1 OWiG zu verhängen ist. Der erste Strafsenat folgt somit dem im Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Prinzip aus § 20 OWiG. Die Leitentscheidung setzt den Maßstab für die konkurrenzrechtliche Bewertung der Verbandsgeldbuße.

Sachverhalt

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Eine Gesellschaft hatte Geldspielgeräte betrieben und Auslesestreifen an den Geräten manipuliert, um für sich ohne entsprechende Dokumentation Bargeld zu generieren. Infolgedessen hat sie in den Körperschaft-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuererklärungen niedrigere Umsätze als tatsächlich ausgeführt erklärt. Die Manipulation erfolgte mittels eines Manipulationsgerätes, welches mit einem externen Auslesegerät verbunden wurde. Hierdurch entstand eine Steuerverkürzung in Höhe von insgesamt ca. 730.000 EUR. Im Verfahren wegen Steuerhinterziehung bzw. Beihilfe hierzu wurde die Gesellschaft zum Zwecke der Verhängung einer Verbandsgeldbuße nebenbeteiligt (§ 444 StPO).

Das Landgericht Saarbrücken hat die Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 17 bzw. wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 16 Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von zwei Jahren und vier Monaten bzw. einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Verurteilung wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung ist zur Bewährung ausgesetzt worden.

Rechtlicher Hintergrund

Gem. § 30 Abs. 1 OWiG droht juristischen Personen und Personenvereinigungen eine Geldbuße, sofern Leitungspersonen eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen haben und dabei eine Pflicht, welche die juristische Person oder die Personenvereinigung treffen, verletzt worden ist oder die juristische Person oder die Personenvereinigung bereichert worden ist oder werden sollte. Vorsätzliches Handeln wird mit einer Geldbuße bis zu zehn Millionen Euro bedroht. Eine fahrlässige Straftat wird mit bis zu fünf Millionen Euro bedroht. Im Falle einer Ordnungswidrigkeit bestimmt sich das Höchstmaß der Geldbuße gem. § 30 Abs. 2 S. 2 OWiG nach dem für die Ordnungswidrigkeit angedrohten Höchstmaß der Geldbuße. Nach dem Kumulationsprinzip aus § 20 OWiG erfolgt bei Tatmehrheit jeweils eine gesonderte Festsetzung der Geldbuße.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof hat die konkurrenzrechtliche Bewertung der Steuerdelikte für rechtsfehlerhaft erklärt. Zur Begründung führt das Gericht an, dass die Geldbuße gegen das Unternehmen nach ihrem Wortlaut nicht an die gegen die Leitungsperson zu verhängende Strafe, sondern deren Taten anknüpft. Aus diesem Grund sei eine im Schrifttum vertretene Auffassung, bei tatmehrheitlichem Handeln einer Leitungsperson sei nur eine Geldbuße zu verhängen, nicht überzeugend. Für Ordnungswidrigkeiten ist es danach – anders als bei Strafen – nicht möglich, eine „Gesamtgeldbuße“ zu verhängen wird. Es gilt das auch bei der Verbandsgeldbuße i. S. von § 30 OWiG das sog. Kumulationsprinzip aus § 20 OWiG. Zudem erfolgt keine Addition zu einer einheitlichen Geldbuße (vgl. OLG Zweibrücken ZfS 2011, 651, 652). Vielmehr ist dem Bundesgerichtshof zufolge für jede einzelne Anknüpfungsstraftat eines Verurteilten eine gesonderte Unternehmensgeldbuße zu verhängen. Die Festsetzung einer „Gesamtgeldbuße“ oder die Annahme von Tateinheit widerspreche dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes.

Das Gericht hat dabei die gesetzlich vorgesehenen Spielräume, die Unternehmensgeldbuße zu bemessen: Die Höhe der Geldbuße richtet sich nach § 17 OWiG. § 17 Abs. 3 S. 1 OWiG zieht als Grundlage für die Bemessung der Geldbuße sowohl die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit als auch den Vorwurf, der den Täter trifft, heran. Sofern die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens des Gerichts nicht geboten erscheint, besteht außerdem die Möglichkeit einer Teileinstellung nach § 47 OWiG.

Konsequenzen für die Praxis

Das Urteil hat für die Bemessung der Verbandsgeldbuße in Fällen, in denen Leitungspersonen mehrere betriebsbezogene Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten vorgeworfen werden, enorme Auswirkungen.  Besonders bedeutsam ist die Entscheidung etwa in Steuerhinterziehungsfällen, wo gerade im unternehmerischen Bereich in einem einheitlichen Sachverhalt auf mehrere Straftaten erkannt wird, schlicht weil verschiedene Steuerarten betroffen sind. Dasselbe gilt etwa für Fälle des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) oder die Kapitalmarktstraften Marktmanipulation und Insiderhandel.

Da die Bildung einer Gesamtgeldbuße aufgrund des Koinzidenzprinzips ausscheidet, ist zu erwarten, dass zur Verhinderung unbilliger Ergebnisse in der Praxis auf die Möglichkeit von Teileinstellungen nach § 47 OWiG zurückgegriffen wird. Daneben ist denkbar, die jeweilig zu bemessene Einzelgeldbuße im Rahmen des § 17 Abs. 3 S. 1 OWiG zu reduzieren. Festzuhalten bleibt, dass ein gerechter Ausgleich auf verschiedene Weise hergestellt werden kann und somit die – möglicherweise gravierenden – finanziellen Folgen für Unternehmen abgemildert werden können. Zu beachten bleibt allerdings, dass ein Rechtsanspruch hierauf gleichwohl nicht besteht.

 

Dieser Beitrag wurde in Zusammenarbeit mit unserer Wissenschaftlichen Mitarbeiterin, Pelin Sentürk, erstellt.

Als PDF herunterladen

Ansprechpartner

Sie benutzen aktuell einen veralteten und nicht mehr unterstützten Browser (Internet-Explorer). Um Ihnen die beste Benutzererfahrung zu gewährleisten und mögliche Probleme zu ersparen, empfehlen wir Ihnen einen moderneren Browser zu benutzen.