27.03.2025Fachbeitrag

Update Compliance 4/2025

Gilt das Verbot der Doppelbestrafung („ne bis in idem“) auch im Verwaltungsrecht? Nach Ansicht des EuGH: Nein (mit Einschränkungen)

Das Tribunalul București (Rumänien) hatte am 28. März 2023 dem EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen zu unter anderem der Frage vorgelegt, ob zwei Behörden ein unternehmerisches Fehlverhalten zweimal, gestützt auf zwei unterschiedliche Rechtsverstöße, bebußen können. Am 30. Januar 2025 hat nunmehr der EuGH (C 205/23) entschieden, dass eine Einschränkung des Grundsatzes „ne bis in idem“ unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist.

Hintergrund: Der Grundsatz „ne bis in idem“

Grundsätzlich gilt im deutschen – wie europäischen – Recht das Prinzip des Doppelbestrafungsverbots („ne bis in idem“), das in Deutschland im Art. 103 Abs. 3 des Grundgesetzes (und auf Ebene der EU in Art. 50 i. V. m. Art. 52 der Charta der Grundrechte) verankert ist. Dieses Prinzip besagt, dass niemand wegen derselben Tat mehrfach bestraft werden darf.

Im Verwaltungsrecht ist die Anwendung dieses Grundsatzes allerdings nicht immer eindeutig. Insbesondere in Fällen, in denen verschiedene Rechtsnormen betroffen sind, stellt sich die Frage, ob die Regelung des Doppelbestrafungsverbots gilt. Im Zentrum der Diskussion steht die Frage, ob die verwaltungsrechtliche Maßnahme strafrechtlicher Natur ist oder nur eine verwaltungsrechtliche Konsequenz darstellt.

Der EuGH hat in seinen bisherigen Urteilen herausgearbeitet, dass die Anwendung des „ne bis in idem“-Prinzips im Verwaltungsrecht nicht immer uneingeschränkt möglich ist. Dieses Prinzip ist nur dann anwendbar, wenn die Verwaltungsmaßnahme eine Strafwirkung hat oder eine strafrechtliche Maßnahme ersetzt.

Bisherige EuGH-Rechtsprechung

Der EuGH hatte sich bereits in vorhergehenden Verfahren mit der Frage zu beschäftigen, inwieweit der genannte Grundsatz anzuwenden sei. Dabei ist vor allem zwischen grenzüberschreitenden und nicht grenzüberschreitenden Fällen zu unterscheiden.

Im Fall Toshiba (C-17/10) und Fall Intel (C-413/14 P), grenzüberschreitenden Sachverhalten, sah der EuGH eine zweite Sanktion nur dann zulässig an, wenn diese nicht dasselbe Verhalten unter denselben rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten betreffen würde.

Daneben hatte der EuGH seine jetzt weiter präzisierten Grundsätze bereits im Fall bpost (C-117/20), einem rein nationalen Fall, bereits grundsätzlich dargelegt. Eine doppelte Sanktion sei danach nur dann zulässig, wenn sie unterschiedliche Schutzinteressen verfolge, verhältnismäßig sei und ausreichend koordiniert wurde.

Das Vorabentscheidungsersuchen

Dem rumänischen Vorabentscheidungsersuchen lag ein Sachverhalt zugrunde bei dem ein Erdgaslieferant sowohl von der Verbraucherschutzbehörde als auch von der Energieregulierungsbehörde wegen ein und derselben Maßnahme – einer einseitigen Preiserhöhung, ohne die Verbraucher ausreichend zu informieren – ein Bußgeld auferlegt wurde. Das Gericht fragte beim EuGH an, ob in einem solchen Fall eine zulässige Einschränkung der Charta der Grundrechte der EU vorliegt, oder vielmehr ein Verstoß gegen dieses Grundrecht gegeben ist. Basierend auf der bisherigen Rechtsprechung des EuGH ging es im Kern um die Frage, ob die Einschränkung des Grundsatzes „ne bis in idem“ verhältnismäßig war oder nicht.

EuGH: Eine Doppelsanktionierung kann zulässig sein

Nach Ansicht des EuGH kann eine Einschränkung des Grundsatzes „ne bis in idem“ zulässig sein, wenn die folgenden, kumulativ notwendigen Voraussetzungen vorliegen:

  • (a) es muss eine klare gesetzliche Grundlage vorliegen,
  • (b) die Sanktionen müssen (i) unterschiedliche öffentliche Interessen verfolgen sowie (ii) verhältnismäßig sein, und
  • (c) es muss eine ausreichende Koordination zwischen den Behörden sichergestellt sein.

Demzufolge ist es nach Ansicht des Gerichts eine doppelte Sanktionierung unzulässig, wenn (i) keine klare Abgrenzung der jeweiligen behördlichen Zuständigkeiten gegeben ist und (ii) eine unverhältnismäßige Belastung des betroffenen Unternehmens die Folge ist. Ob dies der Fall sei oder nicht, sei jedoch durch das nationale Gericht zu prüfen und nicht durch den EuGH.

Bewertung

Die Geltung bzw. Nichtgeltung des Grundsatzes „ne bis in idem“ im Verwaltungsrecht ist in Rechtsprechung und Literatur bislang kontrovers, bisweilen auch intensiv, diskutiert worden. Im Zentrum der bundesdeutschen Diskussion stand dabei insbesondere die Frage, wie weit der Begriff der (strafrechtlichen) „Tat“ im Sinne des Doppelbestrafungsverbots auszulegen ist. Dabei kam es bislang vor allem auf die speziellen Umstände des Einzelfalls an, und die Gerichte prüften vor allem, ob eine Mehrfachbestrafung verhältnismäßig und rechtlich gerechtfertigt ist.

Die EuGH-Rechtsprechung rückt zunehmen die Frage nach dem betroffenen Schutzbereich sowie der betroffenen Schutzgüter in den Fokus und betonte zudem die „Verhältnismäßigkeit“ der Ahnung (Geldbuße/Strafe). Mit der vorliegenden Entscheidung sind diese Kriterien nochmals konkreter gefasst worden. Allerdings dürften diese Kriterien zukünftig zu einer häufigeren (zulässigen) Doppelbestrafung führen.

Praxishinweis

Für Unternehmen bedeutet die Entscheidung des EuGH, dass sie in Verwaltungsverfahren und bei Verwaltungssanktionen möglicherweise – für ein und dasselbe Fehlverhalten – mehrfach sanktioniert werden können.

Um das Risiko mehrfacher Sanktionen zu minimieren, ist ein effektives Compliance Management System (sogenanntes CMS) für Unternehmen von entscheidender Bedeutung. Ein solches System sollte nicht nur sicherstellen, dass gesetzliche Vorschriften eingehalten werden, sondern auch Mechanismen zur Prävention und Reaktion auf Verstöße enthalten, um Risiken zu minimieren.

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