17.08.2016Fachbeitrag

Update Compliance 14/2016

Fehler bei der Umsetzung des EU-Marktmissbrauchsrechts könnte zu einer Amnestie für Straftaten im Kapitalmarktrecht führen

Anfang Juli 2016 ist die neue EU-Marktmissbrauchsverordnung in Kraft getreten. Die Straf- und Bußgeldvorschriften bleiben auch fortan den nationalen Gesetzen vorbehalten. Ein Versehen des deutschen Gesetzgebers bei der Anpassung der nationalen Strafvorschriften könnte allerdings zur Straffreiheit für noch nicht abgeschlossene Altfälle führen - das beträfe u. a. auch den Fall Volkswagen.

Seit dem 3. Juli 2016 gilt im Kapitalmarktrecht die neue EU-Marktmissbrauchsverordnung  (MAR). Die MAR entfaltet unmittelbare Geltung in den EU-Mitgliedstaaten. Sie enthält zahlreiche bislang in den nationalen Gesetzen - wie etwa dem deutschen WpHG - verortete Ver- und Gebote, u.a. das Insider- und das Marktmanipulationsverbot. Straf- und Bußgeldvorschriften, die auf die jetzt in der MAR befindlichen Ge- und Verbote verweisen, sind auch fortan im WpHG geregelt.

Bei der Anpassung des WpHG an die MAR könnte dem deutschen Gesetzgeber allerdings ein Fehler unterlaufen sein, der schwer wiegende Folgen haben könnte:

Das neue WpHG, welches zur Bestimmung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten auf die MAR verweist, ist bereits am 2. Juli 2016 in Kraft getreten und damit einen Tag früher als die MAR. Sie gilt seit diesem Zeitpunkt; die alten Vorschiften des WpHG und damit auch die alten Straftatbestände gelten seitdem nicht mehr. Das neue WpHG verwies also am 2. Juli für 24 Stunden auf die noch nicht geltende MAR und somit ins Leere.

Dies könnte zu einer Verfolgungslücke für Altfälle führen: Denn gem. § 2 Abs. 2 Strafgesetzbuch ist stets das mildeste Gesetz anzuwenden, das zwischen Begehung der Tat und dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens galt (sog. "Meistbegünstigungsprinzip"). Dasselbe gilt gem. § 4 Abs. 3 OWiG auch für Ordnungswidrigkeiten. Stellt man sich auf den Standpunkt, dass am 2. Juli 2016 - dem Tag, an dem die Sanktionsvorschriften des WpHG auf eine noch nicht in Kraft befindliche MAR verwiesen haben - kein Straf- und Bußgeldtatbestand existierte, würde für noch nicht rechtskräftig beendete Verfahren wegen Kapitalmarktstraftaten, die vor dem 3. Juli 2016 begangen wurden, heute Straffreiheit gelten. Denn das mildeste Gesetz ist das Gesetz, das überhaupt keine Strafe vorsieht.

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ist dieser Rechtsaufassung entgegen getreten. Sie argumentiert, dass die MAR bereits im Jahre 2014 in Kraft getreten sei und der deutsche Gesetzgeber deshalb wirksam auch schon am 2. Juli 2016 darauf habe verweisen können.

Praxishinweis

Die Rechtsaufassung der BaFin ist angreifbar. Dass die MAR bereits seit 2014 in Kraft war, besagt nicht, dass sie für die Normadressaten schon galt. Ihre unmittelbare Geltung entfaltete die MAR erst ab dem 3. Juli 2016. Verweist aber ein Straftatbestand zur Bestimmung der Strafbarkeit auf ein noch nicht geltendes Gesetz, so dürften der Strafbarkeit der verfassungsrechtliche Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“ sowie das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz entgegenstehen. Wer also wegen Kapitalmarktstraftaten oder Ordnungswidrigkeiten verfolgt wird, die vor dem 3. Juli 2016 begangen wurden, der sollte prüfen lassen, ob er nicht aufgrund des Meistbegünstigungsprinzips straffrei ist.

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