Update Arbeitsrecht Februar 2021
Kein Anspruch des Betriebsrates auf Betriebsschließung (dank Corona)
Die SARS-COV 2-Pandemie hält uns seit rund einem Jahr in Atem. Nach Ablauf dieser zwölf Monate begegnen uns immer mehr gerichtliche Entscheidungen, die Rechtsfragen „rund um Corona“ behandeln. Auch das Arbeitsgericht Hamm hatte in einem Beschluss vom 4. Mai 2020 – Az. 2 BVGa 2/20 – im einstweiligen Verfügungsverfahren mit Corona zu kämpfen.
In einem Einzelhandelsgeschäft hatten Arbeitgeber und Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung „Kurzarbeit“ vereinbart, wonach bis zum 31. Mai 2020 „Kurzarbeit Null“ im Betrieb galt. Die Betriebsvereinbarung sah explizit vor, dass der Arbeitgeber vor Ablauf der Betriebsvereinbarung ohne Zustimmung des Betriebsrates keine Arbeitsleistungen abrufen durfte.
Der Arbeitgeber wollte jedoch seine Filiale ab dem 28. April 2020 wieder öffnen. Dagegen wehrte sich der Betriebsrat und machte die Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte geltend.
Erfolgreich konnte der Betriebsrat geltend machen, dass dem Arbeitgeber der Personaleinsatz ohne Zustimmung des Betriebsrates dank der abgeschlossenen Betriebsvereinbarung und der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG untersagt wurde.
Arbeitsschutzstandards des BMAS kein Gesetz/keine Rechtsverordnung
Der Betriebsrat wollte aber mehr: Er begehrte die gerichtliche Anordnung einer Betriebsschließung, jedenfalls bis zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung über eine Gefährdungsbeurteilung zu den sich aus der Corona-Pandemie und den so genannten Arbeitsschutzstandards des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 16. April 2020 ergebenden Fragen. Damit konnte der Betriebsrat nicht durchdringen. Zum einen verneinte das Arbeitsgericht Hamm (zu Recht) bereits das Bestehen eines Mitbestimmungsrechtes im Hinblick auf die genannten Arbeitsschutzstandards des BMAS. Dabei handele es sich nämlich weder um ein Gesetz noch um eine Rechtsverordnung; nur in deren Rahmen aber steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht beim Gesundheitsschutz gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu.
Kein Anspruch auf Betriebsschließung
Zum anderen aber hielt das Arbeitsgericht Hamm ebenfalls zutreffend fest, dass der Betriebsrat auch dann keinen Anspruch auf Betriebsschließung gehabt hätte, wenn ein solches Mitbestimmungsrecht bestünde. Der Betriebsrat darf nur auf die Regelung bestimmter Fragen hinwirken, nicht jedoch die Schließung eines Betriebs bis zum Abschluss solcher Regelungen erzwingen. Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zielen nämlich darauf ab, die Eindämmung von konkreten Gefährdungen der Mitarbeiter – nach deren Feststellung – zu regeln. Insofern kann es keine Grundlage für Betriebsschließungsanordnungen unter Berufung auf den Gesundheitsschutz geben.
Wie relevant diese Frage in der Praxis im letzten Jahr war und immer noch ist, zeigen nicht zuletzt die Presseberichterstattungen über die Auseinandersetzungen zwischen der Geschäftsleitung eines Wella-Werkes in Hessen (LAG Hessen, Beschluss vom 18. Juni 2020,5 TaBVGa 74/20) und dem dortigen Betriebsrat. Dort war die Frage vom Betriebsrat aufgeworfen worden, ob der Arbeitgeber – unter Hinweis auf die Pandemie-Eindämmungsbemühungen – dazu berechtigt war und ist, ohne explizite Zustimmung des Betriebsrates die Mitarbeiter in das Homeoffice zu „schicken“. Der Betriebsrat wandte sich wohlgemerkt nicht gegen die Beschäftigung im Homeoffice; ihm ging es nur darum, die Homeoffice-Tätigkeit zu verhindern, bis ihm der Abschluss einer Betriebsvereinbarung dazu mit dem Arbeitgeber gelungen sei.
Auch die weiteren hier im Newsletter besprochenen Entscheidungen zeigen die „Gefechtslinien“ in den Betrieben auf.
Praxishinweise
Aus dem vorliegenden Beschluss des Arbeitsgerichtes Hamm lassen sich vor allem zwei konkrete Lehren für die Praxis ziehen: Zum einen sollten Arbeitgeber bei der Verhandlung und dem Abschluss von Betriebsvereinbarungen zur Kurzarbeit tunlichst eine Festlegung vermeiden, die ihnen jeglichen Spielraum für die einseitige Beendigung der Kurzarbeit nimmt.
Zum anderen stehen dem Betriebsrat – natürlich – umfangreiche Mitbestimmungsrechte zu, wenn und sobald der Arbeitgeber die Maßnahmen des Gesundheitsschutzes vornimmt (oder auch nicht). Die Rechtsprechung hat hier in den vergangenen zwölf Monaten deutlich gemacht, dass Betriebsräte zu beteiligen sind, wenn Maskenpflicht, Desinfektionsvorgaben, versetzte Arbeitsgruppen etc. geplant und umgesetzt werden sollen. Angesichts der Dynamik des Infektionsgeschehens ist der Arbeitgeber hier auf einen konstruktiven Betriebsrat angewiesen – und umgekehrt.