Update Arbeitsrecht Dezember 2024
Auskunftsanspruch zur Entgelthöhe außerhalb von § 10 EntgTranspG
Entscheidung des LAG Niedersachsen vom 10.09.2024, Az. 10 SLa 221/24
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Tierärztin, war bis Februar 2022 in der Tierklinik ihres Vaters, der Beklagten, beschäftigt. Die Klinik beschäftigte weniger als 200 Arbeitnehmer. Sie erhob Stufenklage auf Auskunft, Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung und Zahlung eines sich durch das Auskunftsergebnis bezifferbaren entgeltgleichheitswidrig vorenthaltenen Differenzbetrages. Die Klägerin erhielt ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von EUR 3.900, während ihr sechs Jahre später ebenfalls als Tierarzt eingestellter Bruder zur selben Zeit ein monatliches Gehalt von EUR 7.100 bezog. Sie vermutete eine geschlechtsbezogene Benachteiligung und forderte daher die Nachzahlung von Arbeitsentgelt. Die Beklagte bestritt die Vorwürfe und behauptete, dass die Klägerin nur etwa 20 Stunden pro Woche gearbeitet habe und jederzeit kurzfristig Freizeit in Anspruch nehmen konnte. Ihre Kinder und deren Betreuungsbedarf hätten jederzeit Vorrang gehabt. Ihr Bruder hingegen habe in Vollzeit gearbeitet, ständigen Notdienst und Wochenenddienste verrichtet. Das Arbeitsgericht hat die Stufenklage mangels Anspruchsgrundlage abgewiesen. Die Klägerin legte daraufhin Berufung ein.
Entscheidung
Im Ergebnis bestätigte das LAG Niedersachsen das Urteil des Arbeitsgerichts, bejahte jedoch dem Grunde nach den von der Klägerin geltend gemachten Auskunftsanspruch.
Unstreitig bestand kein Auskunftsanspruch nach dem Entgelttransparenzgesetz. Denn dieser sieht einen auf Entgeltgleichheit gerichteten Auskunftsanspruch erst ab einem Schwellenwert von 200 Arbeitnehmern vor (§ 12 Abs. 1 EntgTranspG).
Eine Auskunftspflicht kann jedoch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) bestehen. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht die vom BAG zum Gleichbehandlungsgrundsatz entwickelte Rechtsprechung auf Entgeltgleichsheitsfälle übertragen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage nach dem Umfang der Darlegungslast für Klagen wegen geschlechtsbezogener Diskriminierung hat das LAG die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, die unter dem Az. 8 AZR 269/24 anhängig ist.
Der Auskunftsanspruch nach § 242 BGB setzt insbesondere die zumindest wahrscheinliche Existenz eines Leistungsanspruchs des Auskunftsfordernden gegen den Anspruchsgegner voraus. Hier kommt als Anspruchsgrundlage für gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit ohne Diskriminierung wegen des Geschlechts Art. 157 Abs. 1 AEUV und § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG in Betracht.
Auch in Entgeltgleichheitsstreitigkeiten sei die Beweislastumkehr nach § 22 AGG maßgebend. Das heißt, die auf Entgeltgleichheit klagende Partei muss nur darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass ihr der Arbeitgeber ein niedrigeres Gehalt zahlt als einem vergleichbaren Arbeitnehmer des anderen Geschlechts. Dann wird eine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts vermutet und der Arbeitgeber trägt die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.
Die von der Klägerin vorgetragenen Tatsachen reichten nach Ansicht des LAG im konkreten Fall jedoch nicht aus, um die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts zu begründen. Die Behauptung der Klägerin, dass männliche Tierärzte ein höheres Gehalt erhielten, war nicht hinreichend substantiiert. Auch konnte die Klägerin nicht nachweisen, dass sie die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit wie ihr Bruder verrichtete und dennoch ein niedrigeres Entgelt erhielt.
Praxistipp
Sollte der auf § 242 BGB gestützte Auskunftsanspruch auch auf Entgeltgleichheitsfälle Anwendung finden, werden die prozessualen Hürden für Entgeltgleichheitsklagen niedrig angesetzt. Besonders gravierend ist dieses Urteil damit für kleinere und mittelgroße Arbeitgeber (weniger als 200 Arbeitnehmer), da die Schwelle für das Auslösen der Beweislastumkehr des § 22 AGG in Entgeltgleichheitsfragen extrem niedrig ist. Es genügt die Darlegung, dass der Arbeitgeber einem die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichtenden Kollegen des anderen Geschlechts ein höheres Entgelt zahlt. Und wer spricht nicht mal mit Kollegen über das Gehalt, was zulässig ist?
Die Entscheidung gibt einen Vorgeschmack auf das, was kommen wird: Die bis zum 7. Juni 2026 in nationales Recht umzusetzende EU-Entgelttransparenzrichtlinie sieht einen Auskunftsanspruch des Beschäftigten unabhängig von der Betriebsgröße vor.