31.03.2025Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht März 2025

Überstundenzuschläge für Teilzeitbeschäftigte

BAG, Urt. v. 5.12.2024 – 8 AZR 370/20

Teilzeitarbeit hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Waren 2011 noch 27,2 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Teilzeit beschäftigt, so arbeiteten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2023 rund 13 Millionen Erwerbstätige in Teilzeit, dies entspricht 31 Prozent aller Beschäftigten. Innerhalb dieser Gruppe gibt es zudem deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede: Während 2023 jede zweite Frau einer Teilzeitbeschäftigung nachging, lag die Teilzeitquote unter den Männern mit 13 Prozent deutlich niedriger.

Vor diesem Hintergrund haben arbeitsrechtliche Fragen insbesondere in Bezug auf die Gleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten in den letzten Jahren sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene zunehmend an Bedeutung gewonnen. Ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 5. Dezember 2024 (8 AZR 370/20) verdeutlicht die Relevanz dieses Themas. 

Sachverhalt

Die Klägerin begehrt Zeitgutschriften auf ihrem Arbeitszeitkonto und Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG. Sie ist bei dem Beklagten, einem bundesweiten Anbieter ambulanter Dialysedienste, als Pflegekraft mit 40 Prozent der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit in Teilzeit beschäftigt. Auf ihr Arbeitsverhältnis findet ein zwischen ver.di und dem Beklagten abgeschlossener Haustarifvertrag Anwendung. Dieser sieht eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden vor. Für darüberhinausgehende Überstunden ist ein Zuschlag von 30 Prozent zu entrichten. Die Klägerin hat über einen längeren Zeitraum Arbeitszeit geleistet, die zwar über ihre individuelle wöchentliche Arbeitsverpflichtung, nicht aber über diejenige einer vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten hinausging. Der Beklagte hat für das Guthaben der Klägerin auf dem Arbeitszeitkonto weder Überstundenzuschläge entrichtet noch eine entsprechende 30-prozentige Zeitgutschrift vorgenommen.

Die Klägerin sah hierin eine Diskriminierung aufgrund ihrer Teilzeitbeschäftigung und ihres Geschlechts, da bei dem Beklagten überwiegend Frauen in Teilzeit arbeiten. 

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht entschied zu Gunsten der Klägerin, dass ein Anspruch auf die begehrte Zeitgutschrift und ein Anspruch auf Entschädigung besteht. 

Ungleichbehandlung von Teilzeitkräften

Eine tarifvertragliche Regelung, die für das Verdienen von Überstundenzuschlägen auch bei Teilzeitarbeit das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmers voraussetzt, behandelt in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer wegen der Teilzeit schlechter als vergleichbare Vollzeitarbeitnehmer. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs werden in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer gegenüber vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern ungleich behandelt, wenn sich der für die Entstehung des Überstundenzuschlags bei Vollzeitarbeitskräften maßgebende Schwellenwert bei Teilzeitbeschäftigten nicht proportional zu ihrer Arbeitszeit vermindert. Bei einer einheitlichen Schwelle ist der Entgeltbestandteil „Überstundenzuschlag“ für die in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmer weit schwieriger zu erreichen als für Vollzeitkräfte. Die Festsetzung der einheitlichen Untergrenze für das Verdienen der Zuschläge verstößt daher gegen das Verbot der Diskriminierung von in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmern nach § 4 Abs. 1 TzBfG, wenn es an sachlichen Gründen für die Ungleichbehandlung fehlt.

Ohne sachlichen Grund

Ein „sachlicher Grund“ verlangt, dass die festgestellte unterschiedliche Behandlung durch das Vorhandensein genau bezeichneter, konkreter Umstände gerechtfertigt ist, die die betreffende Beschäftigungsbedingung in ihrem speziellen Zusammenhang und auf der Grundlage objektiver und transparenter Kriterien kennzeichnen, um sichergehen zu können, dass die unterschiedliche Behandlung einem echten Bedarf entspricht und zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist. 

Das BAG hat sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung ausgeschlossen. 

Ziel der tariflichen Regelung zu den Überstundenzuschlägen sei zum einen, den Arbeitgeber von der Anordnung von Überstunden abzuhalten. Tatsächlich erreiche die tarifvertragliche Regelung durch den einheitlichen Schwellenwert aber das Gegenteil: Es sei für den Arbeitgeber finanziell attraktiv, Teilzeitkräfte zu Überstunden heranzuziehen, weil für diese Stunden keine Überstundenzuschläge anfallen. 

Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung könne auch nicht in dem Ziel erkannt werden, eine schlechtere Behandlung von in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmern gegenüber in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmern zu verhindern. Wenn beide Arbeitnehmergruppen den Überstundenzuschlag ab Überschreiten ihrer vertraglich geschuldeten Arbeitszeit beanspruchen können, liegt keine Ungleichbehandlung von Vollzeitkräften vor.

Entschädigung

Nachdem keine sachlichen Gründe für die Ungleichbehandlung vorliegen, bewirkt eine solche tarifvertragliche Regelung zugleich eine mittelbare Benachteiligung weiblicher Arbeitnehmer wegen des Geschlechts, wenn innerhalb der Gruppe der in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmer signifikant mehr Frauen als Männer vertreten sind. Das war hier der Fall. Der beklagte Arbeitgeber konnte sich auch nicht darauf berufen, dass er bei Anwendung eines Tarifvertrages nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit auf Entschädigung hafte (§ 15 Abs. 3 AGG). Denn auf Haustarifverträge wie dem vorliegenden ist die Haftungsprivilegierung bei unionsrechtskonformer Auslegung nicht anzuwenden. Ob die Regelung insgesamt europarechtswidrig ist, musste das BAG nicht entscheiden. 

Das BAG hat der Klägerin daher zusätzlich eine Entschädigung – allerdings in moderater Höhe von EUR 250,00 – zugesprochen. 

Praxishinweis

Die Entscheidung des BAG hat weitreichende Folgen für die Praxis. Sie zwingt Arbeitgeber und Tarifparteien dazu, ihre bestehenden Regelungen zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen, um Diskriminierungen zu vermeiden. Besonders hervorzuheben ist, dass das Gericht nicht nur die unmittelbare Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten, sondern auch die mittelbare Benachteiligung von Frauen, die überwiegend in Teilzeit arbeiten, in den Fokus genommen hat. Arbeitgeber sollten vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung die Arbeitsbedingungen von Teilzeitmitarbeitern auch immer unter dem Gesichtspunkt überprüfen (lassen), dass sie auch eine geschlechtsspezifische Diskriminierung darstellen können.

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