Update Arbeitsrecht März 2025
Die Dauer der Probezeit darf nicht der Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses entsprechen
BAG Urt. v. 05.12.2024 - 2 AZR 275/23
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 5. Dezember 2024 entschieden, dass die Vereinbarung einer Probezeit, die der Gesamtdauer eines befristeten Arbeitsverhältnisses entspricht, in der Regel unverhältnismäßig ist. Die Unwirksamkeit einer Probezeitvereinbarung lässt jedoch die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses unberührt und hat lediglich zur Folge, dass eine Kündigung nicht mit der verkürzten Frist des § 622 Abs. 3 BGB möglich ist. Zur Anwendung kommen vielmehr grundsätzlich die in § 622 Abs. 1 und Abs. 2 geregelten Kündigungsfristen.
I. Sachverhalt
Dem Urteil lag der folgende Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger war seit dem 1. September 2022 bei dem Beklagten beschäftigt, der ein Autohaus betreibt. In § 1 des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 22. August 2022 war Folgendes geregelt:
§ 1
Beginn des Arbeitsverhältnisses, Probezeit
(1) Der Arbeitnehmer wird ab 01.09.2022 als Serviceberater/Kfz-Meister eingestellt.
(2) Die Einstellung erfolgt zunächst zur Probe bis zum 28.02.2023. Das Probearbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Wird das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Probezeit fortgesetzt, so gilt es als auf unbestimmte Zeit begründet. Während der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis beiderseits mit einer Frist von 2 Wochen schriftlich gekündigt werden.
Mit Schreiben vom 28. Oktober 2022, dem Kläger am selben Tag zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 11. November 2022. Eine hilfsweise ordentliche Kündigung zum nächstzulässigen Zeitpunkt wurde von dem Beklagten nicht erklärt.
Das Arbeitsgericht Lübeck hat ein die Klage abweisendes Versäumnisurteil erlassen und dieses auch auf den Einspruch des Klägers hin durch Urteil vom 26. April 2023 aufrechterhalten. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers mit Urteil vom 18. Oktober 2023 zurückgewiesen.
II. Entscheidungsgründe des Bundesarbeitsgerichts
Das Bundesarbeitsgericht hat im Revisionsverfahren entschieden, dass das zwischen den Parteien bestandene Arbeitsverhältnis erst zum 30. November 2024 aufgelöst worden sei und hat das Urteil des Landesarbeitsgerichts daher aufgehoben und das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck entsprechend abgeändert.
Zwar könne der Beklagte das Arbeitsverhältnis grundsätzlich durch eine ordentliche Kündigung beenden. Allerdings wirke eine solche nicht mit der verkürzten Frist des § 622 Abs. 3 BGB. Denn die Vereinbarung einer Probezeit von sechs Monaten in dem auf sechs Monate befristeten Arbeitsverhältnis verstoße gegen § 15 Abs. 3 TzBfG.
1. Auslegung von § 1 des Arbeitsvertrags
Die Klausel in § 1 des Arbeitsvertrags sei dahingehend auszulegen, dass mit dieser eine Probezeit bis zum 28. Februar 2023 zwischen den Parteien vereinbart worden sei. Dies folge zum einen aus der Überschrift der Klausel „Beginn des Arbeitsverhältnisses, Probezeit“ sowie zum anderen aus den Formulierungen „nach Ablauf der Probezeit“ in § 1 Abs. 2 S. 3 und „Während der Probezeit“ in § 1 Abs. 2 S. 3. Insbesondere stellte das Bundesarbeitsgericht klar, dass die Auslegungsbedürftigkeit einer Klausel nicht automatisch zu deren Intransparenz führe. Die hier streitgegenständliche Klausel sei gerade nicht intransparent.
Jedoch sei die vereinbarte Probezeit von sechs Monaten unverhältnismäßig im Sinne von
§ 15 Abs. 3 TzBfG. Danach muss die für ein befristetes Arbeitsverhältnis vereinbarte Probezeit im Verhältnis zu der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit stehen.
a) Unionsrechtskonforme Auslegung von § 15 Abs. 3 TzBfG
Mit der Regelung in § 15 Abs. 3 TzBfG werden die Vorgaben des entsprechend formulierten Art. 8 Abs. 2 Satz 1 aus Kapitel III („Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen“) der Richtlinie (EU) 2019/1152 (sog. Arbeitsbedingungen-RL) umgesetzt (vgl. BT-Drs. 20/1636 S. 34). Weder im deutschen Recht noch in der EU-Richtlinie existieren jedoch Vorgaben dazu, ab welcher Dauer eine Probezeit im befristeten Arbeitsverhältnis als unverhältnismäßig einzuordnen ist. Nach Einschätzung des Bundesarbeitsgerichts sei eine Probezeitvereinbarung aber jedenfalls dann unverhältnismäßig im Sinne von § 15 Abs. 3 TzBfG und damit unwirksam, wenn die Probezeit – wie vorliegend – die gesamte Dauer des befristeten Arbeitsverhältnisses umfasst. Aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach die Dauer der Probezeit „im Verhältnis“ zur Befristungsdauer stehen muss, folge, dass die Probezeit nur einen Teil der Befristung, nicht aber ihre gesamte Dauer umfassen darf. Eines „Ins-Verhältnissetzen“ der Probezeitdauer zur Befristungsdauer bedürfe es nicht, wenn beide gleich lang sein könnten. Dies stehe auch in Einklang mit einer an Art. 8 Abs. 2 S. 1 Arbeitsbedingungen-RL orientierten unionsrechtskonformen Auslegung. Denn in Art. 8 Abs. 1 Arbeitsbedingungen-RL ist geregelt, dass die Probezeit generell (also auch in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis) nicht länger als sechs Monate betragen soll, wobei Art. 8 Abs. 3 Arbeitsbedingungen-RL für Ausnahmefälle längere Probezeiten ermöglicht, jedoch keine Ausnahmeregelung für das Verhältnis von Probezeit- und Befristungsdauer enthält. Wäre eine sechsmonatige Probezeit aber auch in einem auf sechs Monate befristeten Arbeitsverhältnis möglich, so hätte es der Regelung in § 8 Abs. 2 Arbeitsbedingungen-RL, wonach die Vereinbarte Probezeit im Verhältnis zu der erwarteten Dauer der Befristung stehen muss, nicht bedurft.
b) Normzweck von § 15 Abs. 3 TzBfG
Das Bundesarbeitsgericht stützt seine Auslegung des § 15 Abs. 3 TzBfG nicht zuletzt mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Danach sollen beide Vertragsparteien nach einer angemessenen Beschäftigungsdauer, in der sie Gelegenheit hatten, die Eignung des Arbeitnehmers für die von ihm ausgeübte Stelle zu erproben, nicht mehr berechtigt sein, das Arbeitsverhältnis mit einer kurzen gesetzlichen Kündigungsfrist zu beenden. Wenn in einem befristeten Arbeitsverhältnis für die gesamte Dauer der Befristung eine verkürzte Kündigungsfrist vereinbart werden könnte, dann wäre der Arbeitnehmer jedoch entgegen der Intention des Gesetzgebers in besonderer Weise mit der Unsicherheit einer kurzfristigen Beendigung seines Arbeitsverhältnisses noch vor Ablauf der Befristung ausgesetzt.
c) Streit um die angemessene Dauer der Probezeit bei befristeten Arbeitsverhältnissen
Die angemessene Dauer der Probezeit in befristeten Arbeitsverhältnissen wird sowohl in
§ 15 Abs. 3 TzBfG, als auch in der inhaltsgleichen unionsrechtlichen Regelung des Art. 8 Abs. 2 Arbeitsbedingungen-RL offengelassen. In der Literatur werden dazu verschiedene Auffassungen vertreten. Zum Teil wird eine Probezeitdauer von regelmäßig 50 Prozent der Befristungsdauer bis zu einer Höchstdauer von sechs Monaten als angemessen betrachtet, wobei je nach Einzelfall Abweichungen aufgrund der „Art der Tätigkeit“ möglich sein sollen. Zum Teil wird vertreten, dass die Dauer der Probezeit pauschal nur maximal 25 Prozent der Befristungsdauer betragen darf. Nach anderer Ansicht sei die Höchstdauer der Probezeit bei befristeten Arbeitsverhältnissen proportional anzupassen, wobei für die Probezeit eine Höchstdauer von sechs Monaten gelte. Wieder andere vertreten die Auffassung, dass bei einem befristeten Arbeitsverhältnis mit einer Dauer von weniger als zwölf Monaten eine Probezeit von sechs Monaten nicht pauschal vereinbart werden könne. Zum Teil wird zudem die Ansicht vertreten, eine sechsmonatige Probezeit sei auch im befristeten Arbeitsverhältnis stets angemessen.
2. Rechtsfolge des Verstoßes gegen § 15 Abs. 3 TzBfG
Die Folge eines Verstoßes gegen § 15 Abs. 3 TzBfG sei allerdings nicht die Unwirksamkeit der Kündigung als solche, sondern vielmehr lediglich, dass diese das Arbeitsverhältnis erst mit Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 1 oder Abs. 2 oder mit Ablauf der arbeitsvertraglich vereinbarten Kündigungsfrist beendet (vgl. BT-Drs. 20/1636 S. 34).
Die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses bleibe von der Unwirksamkeit der Probezeitvereinbarung unberührt. Bei der vorliegenden Probezeitvereinbarung handele es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB. Eine geltungserhaltende Reduktion der Klausel verbiete sich daher und es komme zur Gesamtunwirksamkeit der Probezeitvereinbarung. Mangels Probezeitvereinbarung könne die Regelung des § 622 Abs. 3 BGB und die darin enthaltene verkürzte Kündigungsfrist in der Folge nicht zur Anwendung kommen. Im Übrigen bleibe es bei der Wirksamkeit des Arbeitsvertrags, vgl. § 306 Abs. 1 BGB. Wurden in diesem mithin ordentliche Kündigungsfristen vereinbart, könne das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung dieser Fristen gekündigt werden. Wurden keine ordentlichen Kündigungsfristen vereinbart, so gelten gemäß § 306 Abs. 2 BGB die gesetzlichen Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 1 und Abs. 2 BGB. Vorliegend kam mangels abweichender arbeitsvertraglicher Vereinbarung die gesetzliche Kündigungsfrist von vier Wochen nach § 622 Abs. 1 BGB zur Anwendung, mit der Folge, dass die Kündigung des Beklagten das Arbeitsverhältnis erst zum 30. November 2023 beendet hat. Denn aus § 1 des Arbeitsvertrags ergebe sich zumindest eine Parteivereinbarung dahingehend, dass das befristete Arbeitsverhältnis überhaupt durch eine ordentliche Kündigung beendet werden kann. Die Kündigung sei dahingehend auszulegen, dass sie zum nächstmöglichen Zeitpunkt gelten soll, auch wenn dieser Wille in den Kündigungsschreiben nicht ausdrücklich miterklärt worden ist.
III. Bewertung und Praxishinweis
Mangels Entscheidungserheblichkeit musste sich das Bundesarbeitsgericht nicht mit der umstrittenen Frage auseinandersetzen, wann die Dauer der Probezeit und die Befristungsdauer zueinander in einem angemessenen Verhältnis entsprechend § 15 Abs. 3 TzBfG stehen. Klargestellt ist nach der vorliegenden Entscheidung lediglich, dass eine Probezeitvereinbarung unverhältnismäßig und damit unwirksam ist, wenn die Dauer der Probezeit der der Dauer der Befristung entspricht. Die dargestellte Diskussion um die angemessene Dauer der Probezeit im Verhältnis zur Befristungsdauer dürfte mithin auch nach dem vorliegenden Urteil weiterhin aktuell bleiben.
Begrüßenswert ist, dass das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil einige generelle Leitlinien zur Beurteilung der Angemessenheit nach § 15 Abs. 3 TzBfG gibt. So stellt es klar, dass die Beurteilung gesondert für jeden Einzelfall unter Berücksichtigung der in § 15 Abs. 3 TzBfG genannten Kriterien (Dauer der Befristung und Art der Tätigkeit) vorzunehmen ist. Daneben sei der Sinn und Zweck der Vorschrift zu beachten. Das vom Bundesarbeitsgericht festgestellte Erfordernis einer Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls ermöglicht es, die angemessene Dauer der Probezeit im Verhältnis zur Befristungsdauer bei unterschiedlichen Tätigkeiten auch unterschiedlich zu beurteilen, mit der Folge, dass bei einer komplexeren Tätigkeit auch in einem befristeten Arbeitsverhältnis eine längere Probezeit angemessen sein kann, als bei einer eher einfach gelagerten Tätigkeit.
Begrüßenswert ist ferner, dass das Bundesarbeitsgericht seiner bisherigen Rechtsprechungslinie, wonach eine hilfsweise ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt aufgrund des Arbeitgeberwillens zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich in jedes Kündigungsschreiben hineinzulesen ist, treu geblieben ist. Vorliegend wurde eine hilfsweise Kündigung zum nächstzulässigen Termin gerade nicht ausdrücklich erklärt. Gleichwohl hat das Bundesarbeitsgericht eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. November 2023 angenommen.
Wichtig bleibt jedoch auch nach dem vorliegenden Urteil, in einem befristeten Arbeitsvertrag ausdrücklich die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit zu regeln. Denn nach dem gesetzlichen Regelfall können befristete Arbeitsverhältnisse lediglich durch Ablauf der Befristung oder bei Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne von § 626 BGB durch außerordentliche Kündigung beendet werden. Zwar wurden Probezeitvereinbarungen in befristeten Arbeitsverhältnissen von der Rechtsprechung bislang so ausgelegt, dass in ihnen die Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung enthalten ist. Im Falle einer Unwirksamkeit der Probezeitvereinbarung wäre diese Möglichkeit jedoch versperrt, mit der Folge, dass eine ordentliche Kündigung ausscheiden würde. Arbeitgebern ist daher weiterhin zu raten, die ordentliche Kündigungsmöglichkeit in befristeten Arbeitsverträgen ausdrücklich mit zu regeln.