13.10.2020Fachbeitrag

Update Restrukturierung 4/2020

Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement – Neue Compliance-Pflichten bei drohender Zahlungsunfähigkeit

Am 18. September 2020 hat das Bundesjustizministerium den Referentenentwurf des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts („SanInsFoG-RefE“) veröffentlicht. Dessen zentraler Teil ist das der Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie vom 20. Juni 2019 dienende Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz („StaRUG-RefE“). Dieses normiert eine Pflicht der Geschäftsleitung zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement, die vom Aufsichtsorgan zu überwachen ist und deren Verletzung zu Schadensersatzpflichten der Organpersonen gegenüber der Gesellschaft führen kann. Allgemein zum SanInsFoG-RefE siehe bereits unseren Newsletter 3/2020.

Verpflichtung zur Einrichtung eines Systems zur Krisenfrüherkennung für Vorstände und Geschäftsführer

Geschäftsführer und Vorstände sind zukünftig ausdrücklich verpflichtet, Entwicklungen, die zur Bestandsgefährdung der Gesellschaft führen können, zu überwachen (Pflicht zur Krisenfrüherkennung). Zudem sind sie verpflichtet, geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen (Pflicht zur Krisenabwehr / -bewältigung) und den Aufsichtsrat bzw. die Gesellschafterversammlung zu informieren (Pflicht zur Information). Diese Pflichten bestehen nach Einschätzung des Gesetzgebers bereits nach geltendem Recht, sie sind aber bisher nur punktuell in § 91 Abs. 2 AktG geregelt. Zukünftig sollen sie rechtsformübergreifend für alle „Geschäftsleiter“ (d.h. Geschäftsführer und Vorstände) von juristischen Personen, also insbesondere Kapitalgesellschaften (§ 1 Abs. 1 StaRUG-RefE) sowie von Personengesellschaften ohne eine natürliche Person als vollhaftenden Gesellschafter (insbesondere die GmbH & Co. KG. vgl. § 1 Abs. 2 StaRUG-RefE) gelten. Weitergehende Pflichten aus anderen Gesetzen (z.B. aus § 25a Abs. 1 S. 3 KWG) gelten daneben unvermindert fort.

Anders als bei der Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen ab einer drohenden Zahlungsunfähigkeit (siehe nachfolgend) normiert das StaRUG im Fall des Verstoßes gegen die vorstehenden Überwachungs- und Abwehrpflichten keine gesonderte Einstandspflicht. Ein entsprechender Schadensersatzanspruch ergibt sich jedoch aufgrund der vorhandenen Normen, welche die Geschäftsleiter zur Einhaltung der „Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters“ verpflichten (z.B. § 43 Abs. 1, 2 GmbHG oder § 93 Abs. 1, 2 AktG; vgl. zudem für den Vereinsvorstand §§ 280, 27 Abs. 3, §§ 664 ff. i.V.m. § 31a BGB). Die entsprechende Haftung hat bislang in der Praxis keine nennenswerte Rolle gespielt. Ein – sich vielleicht zukünftig ändernder Grund hierfür – dürfte sein, dass dem Insolvenzverwalter (also dem regelmäßigen Anspruchsteller), andere, „schärfere Waffen“ zur Verfügung stehen (vgl. z.B. § 64 GmbHG).

Shift Of Duties: Maßgeblichkeit der Gläubigerinteressen bei drohender Zahlungsunfähigkeit; Haftungsrisiken für Vorstände, Geschäftsführer und Aufsichtsräte

Ab dem Eintritt einer drohenden Zahlungsunfähigkeit (i.S.v.§ 18 Abs. 2 InsO) sind die Geschäftsleiter zudem zukünftig verpflichtet, die Interessen der Gläubiger zu wahren (§ 2 Abs. 1 S. 1 StaRUG-RefE). Die Interessen der Anteilsinhaber und sonstiger Beteiligter sind ebenfalls zu berücksichtigen, soweit sie von einem Insolvenzverfahren berührt würden und nicht den Gläubigerinteressen widersprechen (§ 2 Abs. 2 StaRUG-RefE). Ist das jedoch der Fall, treten sie zurück. Da die Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen nicht „über Nacht“ eintritt, engt sich der Handlungsspielraum der Geschäftsleiter immer weiter ein, je näher eine drohende Zahlungsfähigkeit rückt.

Die „Überwachungsorgane“ stehen ihrerseits in der Pflicht, über die Einhaltung der vorstehenden Verpflichtung der Geschäftsleitung zu wachen (§ 2 Abs. 1 S. 2 StaRUG-RefE). Überwachungsorgane in diesem Sinne sind Aufsichtsräte bei AG und, soweit obligatorisch zu bilden, auch bei GmbH sowie in Ausnahmefällen (insb. bei Kontroll- und Vetorechten) auch fakultative Aufsichtsräte bzw. Beiräte bei GmbH und vergleichbare Überwachungsgremien bei Personengesellschaften ohne eine natürliche Person als vollhaftenden Gesellschafter.

Verstöße der Geschäftsleiter oder der Mitglieder der Überwachungsorgane gegen ihre vorgenannten Pflichten führen zunächst zu einer Schadensersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft (vgl. § 2 Abs. 3 S. 1 und S. 2 StaRUG-RefE). Mit der Rechtshängigkeit einer Restrukturierungssache gem. § 31 Abs. 3 StaRUG-RefE können die Gläubiger diese Ansprüche auch direkt geltend machen (§ 43 StaRUG-RefE), d.h. der zunächst interne Anspruch der Gesellschaft wird zu einem externen Anspruch der Gläubiger. Bei der Frage, ob ein entsprechender Verstoß vorliegt, können sich Organpersonen auch bei drohender Zahlungsunfähigkeit auf die Privilegierungen der sog. business judgment rule (vgl. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG) berufen. Mit der zwingenden Verpflichtung zur Wahrung der Gläubigerinteressen in diesem Stadium ist der Schutz nach dieser Regel jedoch nur dann gegeben, wenn das handelnde Organmitglied auf der Grundlage ausreichender Informationen zum Wohl der Gläubiger handelte, während es vor dem Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit auf ein Handeln zum Wohle der Gesellschaft ankommt.

Ausdrücklich normierte Beraterpflichten

Zudem wird die nach Auffassung des Gesetzgebers ohnehin bestehende Pflicht von Steuerberatern und Steuerbevollmächtigten sowie Wirtschaftsprüfern zum Hinweis bei Vorliegen von Insolvenzgründen und sonstigen existenzbedrohenden Risiken in § 57 Abs. 5 StBerG-E bzw. § 43 Abs. 7
WPO-E ausdrücklich gesetzlich normiert. Für sonstige Berater (insbesondere Rechtsanwälte) sind keine weitergehenden Pflichten vorgesehen.

Auswirkungen auf die Praxis: Früherkennungssysteme, „Shift Of Duties“

Für Geschäftsleiter und die Mitglieder von Überwachungsorganen bedeuten die hier behandelten Änderungen durch das StaRUG Folgendes:

  • Pflicht zur Einführung eines Systems zur Krisenfrüherkennung für Geschäftsführer und Vorstände, da die Pflicht zur Krisenfrüherkennung und -abwehr im Regelfall anderweitig nicht erfüllt und (für den Konfliktfall ausreichend) dokumentiert werden kann,
  • Pflicht der Aufsichtsräte, die Geschäftsleiter zur Einführung eines entsprechenden Systems zur Krisenfrüherkennung anzuhalten, um ihrer Überwachungspflicht überhaupt nachkommen zu können (keine Überwachung ohne entsprechende Information),
  • Pflicht der Geschäftsleiter und Mitglieder von Überwachungsorgangen zur Ausrichtung geschäftlicher Entscheidungen vorrangig am Gläubigerinteresse je näher die drohende Zahlungsunfähigkeit rückt und verpflichtend ab deren Eintritt sowie
  • Haftung sowohl der Geschäftsleiter als auch der Mitglieder von Überwachungsorganen auf Schadensersatz bei Verstoß gegen diese Pflichten.

Die konkrete Umsetzung im Einzelfall sollte sich damit an folgenden Leitlinien orientieren:

  • Beim Früherkennungssystem können Anleihen – bis entsprechende praktische Erfahrungen sowohl bei der Umsetzung / Anwendung als auch der forensischen Aufarbeitung vorliegen – bei § 91 Abs. 2 AktG genommen werden. Aufgrund des Regelungszusammenhangs mit einer drohenden Zahlungsunfähigkeit sollten jedoch nicht nur die „üblichen“, d.h. starren, vergangenheitsbezogenen, Kennziffern abgefragt und berichtet werden, sondern stärker „vorausschauende“, d.h. aufgrund der historischen Daten mittels spezieller Computermodelle errechnete, Kennzahlen („predictive-analytics“) einbezogen werden. Zudem ist anzuraten die „Interpretation“ dieser Kennziffern nicht allein hausintern vorzunehmen, sondern erfahrene Restrukturierungsexperten hinzuzuziehen.
  • Aufgrund des Wechsels zum Vorrang der Gläubigerinteressen im Hinblick auf die Pflichterfüllung der Organe („shift of duties“) mit Eintritt einer drohenden Zahlungsunfähigkeit ist allen betroffen Organmitgliedern zudem anzuraten, den Eintritt (bzw. das Nichtvorliegen) einer drohenden Zahlungsunfähigkeit wie auch die anschließend getroffenen Entscheidungen und deren Orientierung an den Gläubigerinteressen sorgfältig zu dokumentieren.
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