Internationales Privatrecht
Neues zu Rechtswahlklauseln gegenüber Verbrauchern bei grenzüberschreitendem E-Commerce
Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 28. Juli 2016 (C-191/15) erfordert Änderungen in vielen Allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen (AGB). Danach dürfen Rechtswahlklauseln in AGB nicht länger nur auf die Geltung der Rechtsordnung am Sitz des Unternehmers hinweisen, falls sich das Angebot des Unternehmers (z.B. ein Webshop) auch an Verbraucher im Ausland richtet. Aus deutscher Sicht besteht für Unternehmer bei alleiniger Verwendung der Klausel „Es gilt deutsches Recht“ somit eine hohe Abmahngefahr.
Gegenstand des Verfahrens vor dem EuGH waren die AGB der Amazon EU S.à.r.l. (Amazon EU). Über diese Tochtergesellschaft mit Sitz in Luxemburg betreibt der US-amerikanische Handelskonzern Amazon.com, Inc. unter anderem das deutschsprachige Internetangebot von Amazon.de. Amazon EU ist also Verkäuferin der unter amazon.de mit "Verkauf und Versand durch Amazon" angebotenen Produkte.
Amazon EU: „Es gilt luxemburgisches Recht.“
In den AGB der Amazon EU findet sich die Rechtswahlklausel „Es gilt luxemburgisches Recht […].“ Damit beabsichtigt die Gesellschaft, etwaige Auseinandersetzungen mit den Kunden der von ihr für den europäischen Markt betriebenen Webseiten nach möglichst einheitlichen Regeln behandeln zu können. Auf den ersten Blick steht diese Rechtswahlklausel auch im Einklang mit den einschlägigen Vorschriften der EU-Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht (Rom I-Verordnung). Denn diese erlaubt bei grenzüberschreitenden Geschäften ausdrücklich die Vornahme einer autonomen Bestimmung des anwendbaren Rechts und bekräftigt diesen Grundsatz auch in den Sonderregelungen für sog. b2c-Geschäfte, d.h. für Geschäfte, bei denen ein Unternehmer eine Rechtswahl für ein Geschäft mit einem Verbraucher vornimmt.
Dennoch erhob eine österreichische Verbraucherschutzorganisation wegen der Rechtswahlklausel Klage gegen Amazon EU. Sie berief sich darauf, dass die Rom I-Verordnung an anderer Stelle festlege, dass für Geschäfte mit ausländischen Verbrauchern eigentlich das Recht an dessen Wohnsitz gelte. Enthielten die AGB eines Unternehmers gleichwohl eine Rechtswahlklausel, dürfe dem Verbraucher dadurch zumindest nicht der Schutzstandard der zwingenden Bestimmungen der Rechtsordnung seines Wohnsitzstaates entzogen werden. Daher ändere die von Amazon EU vorgesehene Rechtswahl zu Gunsten des luxemburgischen Rechts nichts daran, dass österreichische Verbraucher sich im Streit mit Amazon EU auf das zwingende österreichische Verbraucherschutzrecht berufen könnten, sofern sie dadurch im Einzelfall besser gestellt seien als nach luxemburgischen Recht. Die verwendete Rechtswahlklausel lasse Verbraucher aber in dem Glauben, ihre Rechte und Pflichten gegenüber Amazon EU richteten sich ausschließlich nach dem Recht Luxemburgs. Daher verwende Amazon EU eine intransparente Klausel, die sofort abzuändern sei.
EuGH: Rechtswahlklausel muss auf Fortgeltung des Schutzstandards am Wohnort des Verbrauchers hinweisen
Die Sache gelangte schließlich in der dritten Instanz zum österreichischen Obersten Gerichtshof, der die streitige Frage dem EuGH zur Entscheidung vorlegte. Dieser schloss sich der Ansicht der österreichischen Verbraucherschützer an. Er entschied, dass Rechtswahlklauseln Verbraucher hinreichend darüber informieren müssen, dass neben dem vom Unternehmer als Verkäufer gewählten Recht noch weitere Vorschriften zur Beurteilung der Rechte und Pflichten der Parteien in Betracht zu ziehen seien. Andernfalls seien Rechtswahlklauseln missbräuchlich. In Österreich wird nun aller Voraussicht nach ein entsprechendes Urteil ergehen. Nach dessen Rechtskraft wird Amazon EU seine AGB abändern müssen.
Fazit
Die Entscheidung des EuGH vom 28. Juli 2016 hat vor allem für europaweit tätige Online-Händler Bedeutung. Zwar dürfen deren AGB auch zukünftig eine Rechtswahl zu Gunsten der Anwendbarkeit der Rechtsordnung an ihrem Sitz enthalten. Hat der Händler seinen Webshop aber auch auf Verbraucher in anderen Staaten ausgerichtet, besteht zum Beispiel bei Verwendung der Klausel „Es gilt deutsches Recht.“ zukünftig erhöhte Abmahngefahr. Denn die AGB müssen nach der Rechtsprechung des EuGH darauf hinweisen, dass eine Rechtswahl nicht die Geltung der zwingenden verbraucherschützenden Regelungen des Heimatstaats der Verbraucher berührt. Somit müssen Rechtswahlklauseln fortan ein kompliziertes Nebeneinander einer gewählten Rechtsordnung und der Heimatrechtsordnung des Verbrauchers beschreiben, um den Anforderungen des europäischen Rechts zu genügen.