Update Immobilien & Bau 5/2021
30 Jahre Mängelhaftung für Mangelfolgeschäden am Bau(?)
Kommt es durch einen Mangel der Leistung zu Schäden an anderen Bauwerksteilen hat der Auftraggeber einen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Auftragnehmer aus Deliktsrecht. Auf die Verjährungsfrist vertraglicher Mängelrechte kommt es dabei nicht an (BGH, Urt. v. 23.02.2021 – VI ZR 21/20).
Ausgangspunkt: Typische Folgeschäden bei Abdichtungsarbeiten
Der Auftraggeber beauftragte den Auftragnehmer mit Installationsarbeiten im Sanitärbereich im Rahmen eines Neubaus. Die Gewährleistungsfrist für die Arbeiten lief im Jahr 1997 ab. Im Jahr 2011 stellte der Auftraggeber einen erheblichen Wasserschaden fest. Er behauptete, dass der Wasserschaden auf die fehlerhaften Sanitärinstallationen des Auftragnehmers zurückzuführen sei. Die Versicherung des Auftraggebers verklagte den Auftragnehmer auf Zahlung von Schadensersatz. Der Anspruch war auf den Ersatz der Mangelfolgeschäden (Durchnässung bereits zuvor vorhandener Gebäudeteile wie Wände, Bodenplatte und Fußböden etc.) gerichtet. Das OLG Rostock wies die Klage in II. Instanz ab (OLG Rostock, Urt. v. 29.11.2019 - Az. 5 U 30/15).
Mangelfolgeschäden sind Eigentumsverletzungen
Zu Unrecht, wie der VI. Zivilsenat des BGH entschied. Nach Ansicht des VI. Zivilsenat des BGH stellen Mangelfolgeschäden an durchfeuchteten Gebäudeteilen Schäden dar, die der Auftraggeber nach Deliktsrecht ersetzt verlangen kann. Mangelfolgeschäden seien Eigentumsverletzungen. Für deliktische Schadensersatzansprüche spiele es keine Rolle, dass die Frist für die Mängelhaftung bereits seit mehreren Jahren oder gar Jahrzehnten abgelaufen sei.
BGH-Senate widersprechen sich
Damit stellt sich der VI. Zivilsenat des BGH gegen die bisherige Rechtsprechung des VII. Zivilsenat des BGH. Der VII. Zivilsenat des BGH hatte zuletzt noch entschieden, dass der Auftraggeber Mangelfolgeschäden allein nach den Regelungen des vertraglichen Mängelrechts innerhalb der fünfjährigen Verjährungsfrist gemäß § 643a Abs. 1 Nr. 2 BGB ersetzt verlangen kann (BGH, Urt. v. 27.01.2005, Az. VII ZR 158/03).
Praxishinweis: Auftraggeber müssen auch „Altfälle“ neu prüfen!
Die Entscheidung des VI. Zivilsenats des BGH ist brisant und kann in ihrer Bedeutung gar nicht unterschätzt werden. Sie wird die künftige Entscheidung von Bauprozessen zu Mangelfolgeschäden maßgeblich beeinflussen. Für den Auftraggeber stellen sich jetzt völlig neue Möglichkeiten, Schadensersatz für Mangelfolgeschäden – auch noch lange nach Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist von vertraglichen Mängelansprüchen – geltend zu machen. Denn die Höchstfrist der Verjährung deliktischer Schadensersatzansprüche beträgt 30 Jahre.
Praxishinweis: Anforderungen an Beweisführung des Auftraggebers im Einzelfall prüfen
Gleichwohl sind Auftraggeber bei der Beweisführung, bei der gutachterlichen und rechtlichen Darstellung der Mangelfolgeschäden gefordert. Sie müssen beweisen, dass der Mangel “bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise” nicht von Anfang die Gesamt(bau)sache ergriffen hat. Nur dann hat der ursprüngliche Mangel zu einer Eigentumsverletzung an anderen Bauteilen geführt. Dies ist aber, wie der VI. Zivilsenat des BGH jetzt gezeigt hat, bereits bei den typischen Folgen von Mängeln bei Abdichtungsarbeiten der Fall.
Praxishinweis: Möglichkeiten der vertraglichen Beschränkung deliktischer Haftung prüfen
Auftragnehmer werden neue Wege der Verteidigung gegen deliktische Schadensersatzansprüche gehen müssen. Die Frage, ob und in wie (weit) sich deliktische Schadensersatzansprüche für Mangelfolgeschäden vertraglich einschränken oder gar ausschließen lassen, ist nur eine von vielen.
Rechtsunsicherheit, weitere Entwicklung der Rechtsprechung unklar
Der Ausblick in die Zukunft der Rechtsprechung ist mehr als unklar. Zwar ist es sicher, dass der VII. Zivilsenat des BGH – zuständig für Bau- und Architektenrecht – Mangelfolgeschäden an anderen Bauwerksteilen nicht als deliktischen Schaden bewertet (hätte). Stützen sich zukünftige Klagen von Auftraggebern für den Schadensersatz von Mangelfolgeschäden aber allein auf Ansprüche aus Deliktsrecht, spricht viel dafür, dass die Instanzgerichte der Rechtsprechung der VI. Zivilsenats des BGH folgen werden. Denn für deliktische Ansprüche ist der VI. Zivilsenat des BGH die Revisionsinstanz aller deutschen Zivilgerichte.