Update Arbeitsrecht November 2022
Abgrenzung der erlaubnispflichtigen Arbeitnehmerüberlassung von der erlaubnisfreien Werk- und Dienstleistung für Dritte
BAG, Urt. vom 05.07.2022, 9 AZR 324/21
Die Frage, ob eine Arbeitskraft als Erfüllungsgehilfe im Rahmen eines Dienst- oder Werkleistungsvertrag oder aufgrund einer Arbeitnehmerüberlassung für einen Dritten tätig wird, ist wegen der brisanten Rechtsfolgen für Arbeitgeber von großer praktischer Bedeutung. Eine Einstufung als unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung kann zur Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses führen. Das Bundesarbeitsgericht hat sich im Sommer 2022 mit dieser wichtigen Abgrenzung befasst (BAG, Urt. vom 05.07.2022, 9 AZR 324/21).
Im vorliegenden Fall begehrte der Kläger die Feststellung, dass zwischen ihm und dem beklagten Automobilunternehmen ein Arbeitsverhältnis besteht. Nachdem der Kläger bereits vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht erfolgreich war, hat das Bundesarbeitsgericht jedoch nun die Revision für begründet erklärt und zur Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das Urteil enthält viele praxisrelevante Hinweise, die es zu beachten gilt, um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden.
Sachverhalt:
Am 03.Januar.2007 schlossen der Kläger und die I GmbH einen Arbeitsvertrag. Der Kläger wurde jedoch vom ersten Tag bis zum 30.April.2018 nicht bei der I GmbH, sondern im Betrieb der Beklagten als Systemingenieur eingesetzt. Die I GmbH war nicht im Besitz einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung.
Der Kläger behauptet, er habe bei seiner Tätigkeit für die Beklagte Arbeitsanweisungen von Mitarbeitern der Beklagten erhalten und sei dementsprechend Arbeitnehmer der Beklagten. Die Beklagte hingegen ist der Ansicht, der Kläger sei lediglich Erfüllungsgehilfe der I GmbH gewesen und behauptet, Weisungen an den Kläger seien lediglich sach- und ergebnisbezogen erteilt worden. Die Parteien streiten insbesondere darüber, ob Emails der Beklagten an den Kläger arbeitsrechtliche Weisungen enthielten und diese eine Eingliederung in das Arbeitnehmerteam der Beklagten beweisen können. In den Emails soll der Kläger unter anderem aufgefordert worden sein, seinen Arbeitsplatz aufzuräumen, an bestimmten Tagen Überstunden zu leisten, seine Urlaubsplanung mit dem Team der Beklagten abzusprechen und bestimmte Aufgaben und Verantwortlichkeiten eines ausscheidenden Mitarbeiters zu übernehmen.
Entscheidung:
Überlässt ein Arbeitgeber (die I GmbH) ohne die erforderliche Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung, ihren Arbeitnehmer (den Kläger) ist der Arbeitsvertrag zwischen den Parteien gem. § 9 Abs.1 Nr.1 AÜG unwirksam. In diesem Fall gilt gem. § 10 Abs 1 S.1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer (dem Kläger) und dem Entleiher (der Beklagten) als zustande kommen. Entscheidend ist demnach die Frage, ob eine Arbeitnehmerüberlassung gem. § 1 Abs. 1 AÜG vorlag. Dies ist der Fall, wenn der Kläger in den Betrieb der Beklagten eingegliedert war und seine Arbeit nach Weisungen der Entleiherin und in ihrem Interesse ausgeführt hat. Abzugrenzen ist die Arbeitnehmerüberlassung von der Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Dienst- oder Werkvertrags.
Um die Abgrenzung durchzuführen ist sowohl auf den Vertragsinhalt des „Überlassungsvertrags“ zwischen der Beklagten und der I GmbH, als auch auf die praktische Durchführung abzustellen. Widersprechen sich die vertragliche Vereinbarung und die praktische Durchführung, ist primär auf die Durchführung abzustellen, da dies den wahren Parteiwillen widerspiegelt. Bei Abweichungen vom Vertrag kommt es nicht auf die Häufigkeit, sondern auf die Bedeutung der Vertragsabweichungen an, welche im Rahmen einer Gesamtbetrachtung gewürdigt werden müssen.
Entscheidend ist hier die Unterscheidung zwischen projektbezogenen und arbeitsbezogenen Weisungen durch die Beklagte. Projektbezogene Anweisungen sind sachbezogen und ergebnisorientiert. Sie sind gegenständlich auf die zu erbringende Werk- oder Dienstleistung begrenzt. Das arbeitsrechtliche Weisungsrecht ist demgegenüber personenbezogen, ablauf- und verfahrensorientiert.
Zwar können dem Inhalt einiger Emails arbeitsbezogene Weisungen entnommen werden, das Bundesarbeitsgericht hat jedoch festgestellt, dass das Landesarbeitsgericht im Rahmen der notwendigen Gesamtbetrachtung keine ausreichende Würdigung der Gewichtung und Feststellung der entscheidenden Umstände vorgenommen hat. Insbesondere wurde wesentlicher Vortrag der Beklagten nicht berücksichtigt. Zum Beispiel hat die Beklagte angeführt, dass sie gesetzlich verpflichtet war bestimmte Emails auch an Fremdarbeitnehmer zu senden, sodass der Kläger zwangsläufig Adressat sein musste. Auch wurde das Vorbringen nicht berücksichtigt, der Kläger selbst habe nicht behauptet, dass sich aus den Emails der Beklagten Verpflichtungen für ihn ergäben. Folglich hat das Bundesarbeitsgericht den Fall zur Sachverhaltsaufklärung und Gesamtwürdigung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Praxishinweise:
Die vorliegende Entscheidung ist von großer praktischer Bedeutung, da sie anschaulich darstellt, worauf Arbeitgeber bei der Übernahme fremder Arbeitskräfte im eigenen Betrieb achten müssten.
Es ist wichtig vorab den Vertragsinhalt so zu gestalten, dass nicht von einer Arbeitnehmerüberlassung ausgegangen werden kann, um das ungewollte Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zu vermeiden. Von noch größerer Bedeutung ist es den Vertrag auch praktisch so durchzuführen. Man darf nicht in einer Weise davon abzuweichen, welche für das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung sprechen könnte. Insbesondere darf nicht vom arbeitsrechtlichen Weisungsrecht gebrauch gemacht werden. Die Abgrenzung zu projektbezogenen Weisungen ist einzelfallabhängig und ein komplexes Thema, welches sowohl rechtlich als auch tatsächlich einem permanenten Wandel unterliegt.
Um nicht ungewollt in eine Arbeitnehmerüberlassungssituation zu stolpern und sicherzustellen, dass Sie den Vertrag rechtssicher gestalten und praxisgerecht umsetzen, können Sie gerne Rücksprache mit unseren Experten aus dem Arbeitsrecht halten, die Sie umfassend beraten.