Update Arbeitsrecht Februar 2024
Abschlagszahlungen auf Sondervergütungen als Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohns
LAG Baden-Württemberg 11.01.2024 - 3 Sa 4/23
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen der Beklagten.
Die Klägerin ist seit dem 24. August 2000 bei der Beklagten, die exklusive Haar- und Hautkosmetik vertreibt, angestellt. Die durchschnittliche monatliche Arbeitszeit beträgt 171 Stunden.
Die Beklagte zahlte an die Klägerin jährlich ein Urlaubsgeld in Höhe von 50 Prozent eines Monatsgehaltes und ein Weihnachtsgeld ebenfalls in Höhe von 50 Prozent eines Monatsgehaltes. Im Juni 2021 erhielt die Klägerin dementsprechend ein Urlaubsgeld in Höhe von 809,00 € brutto und im November 2021 ein Weihnachtsgeld in Höhe von 821,00 € brutto ausbezahlt.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 2021 kündigte die Beklagte an, das Urlaubs- und Weihnachtsgeld in Zukunft vorbehaltlos und unwiderruflich pro Jahr in zwölf gleich hohen monatlichen Beträgen zu zahlen und diese Zahlungen auf den gesetzlichen Mindestlohn anzurechnen.
Die Klägerin erklärte sich mit diesem Vorgehen nicht einverstanden.
Seit Januar 2022 wiesen die monatlichen Gehaltsabrechnungen – der Ankündigung der Beklagten entsprechend – u.a. die folgende Aufschlüsselung auf:
- Festlohn, gewerblich 1.642,00 €
- 13. Gehalt lfd. 136,83 €
Die Klägerin war der Ansicht, durch das Anrechnen des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes in monatlichen Abschlägen auf das Grundgehalt, wolle die Beklagte das Mindestlohngesetz (MiLoG) aushebeln. Für die Umstellung der Auszahlungen im Juni und November auf eine monatliche Auszahlung hätte es der Zustimmung der Klägerin bedurft, die sie ausdrücklich verweigert hätte.
Die Beklagte meint, sie sei berechtigt, das Urlaubs- bzw. Weihnachtsgeld auch vorzeitig zu bezahlen, da sie – als Schuldnerin – gemäß § 271 Abs. 2 BGB „im Zweifel“ auch früher zahlen könne.
Rechtliche Lösung
Nachdem die Vorinstanz die Klage abgewiesen hat, gab das LAG Stuttgart der Klage teilweise statt.
Für den Monat Januar 2022 konnte die Klägerin eine ausstehende Vergütung in Höhe von 37,22 € brutto verlangen. Denn auf den Mindestlohnanspruch in Höhe von 1.679,22 € brutto (171 Stunden x 9,82 € brutto) war nach Ansicht des LAG Stuttgart lediglich der gezahlte Festlohn in Höhe von 1.642,00 € brutto, nicht jedoch das anteilige Urlaubs- bzw. Weihnachtsgeld anzurechnen:
Das LAG Stuttgart führt aus, dass gemäß § 3 MiLoG ein Differenzanspruch gegen den Arbeitgeber entsteht, wenn der arbeitsvertragliche Vergütungsanspruch so gering ist, dass dieser – wie hier – den gesetzlichen Mindestlohn nicht erreicht. Auf den Mindestlohnanspruch könnten alle im Synallagma, also im Gegenseitigkeitsverhältnis, stehenden Entgeltleistungen des Arbeitgebers angerechnet werden. Eine solche Anrechnung sei jedoch bei solchen Zahlungen nicht möglich, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers leiste oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung beruhten.
Zwar könne das arbeitsvertraglich vereinbarte Urlaubs- bzw. Weihnachtsgeld zumindest auch eine Gegenleistung für erbrachte Arbeit darstellen und damit auf den Mindestlohn angerechnet werden. Eine Anrechnung auf den Mindestlohn für Januar 2022 scheide vorliegend jedoch aus. Das LAG Stuttgart entschied, dass die vereinbarte Zeit für eine jährliche Zahlung nicht einseitig von der Beklagten auf eine monatliche Zahlung umgestellt werden kann, um damit den Mindestlohn zu erreichen. Aufgrund der über mehrere Jahre von der Klägerin akzeptierten Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld in zwei Teilbeträgen, hätten die Parteien eine Zeit für die Zahlungen – jährlich jeweils im Juni und November – bestimmt. Durch diese Vereinbarung sei für die Auslegungsregel des § 271 Abs. 2 BGB, dass die Beklagte „im Zweifel“ auch früher leisten könne, kein Raum.
Fazit
Das LAG Stuttgart entschied letztlich, dass die von der Beklagten vor dem Eintritt der Fälligkeit (Juni bzw. November des Jahres) unwiderruflich und vorbehaltlos erbrachten Abschlagszahlungen auf Urlaubs- bzw. Weihnachtsgeld nicht auf den zu zahlenden Mindestlohn angerechnet werden können. Hierbei handelt es sich um eine Rechtsfrage, die in der juristischen Literatur umstritten und von der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt ist.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage hat das LAG Stuttgart die Revision zum Bundesarbeitsgericht für die Beklagte zugelassen.