28.01.2022Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Januar 2022

Arbeitnehmer können vom Arbeitgeber die Bereitstellung notwendiger Arbeitsmaterialien verlangen

BAG, Urteil vom 10.11. 2021 - 5 AZR 334/21 (bisher nur als Pressemitteilung veröffentlicht)

Das BAG hat entschieden, dass Fahrradlieferanten die für ihren Beruf notwendigen Arbeitsmittel (hier: Smartphone und Fahrrad) vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt bekommen müssen. Das BAG bestätigt damit die Entscheidung des LAG Hessen vom 12. März 2021 (Az. 14 Sa 306/20; eine Entscheidungsbesprechung des Urteils des LAG Hessen finden Sie in unserem August Newsletter aus 2021.

Sachverhalt

Der Kläger und Berufungsbeklagte (im Folgenden Kläger) arbeitete als Fahrradlieferant (sog. „Rider“) bei der Beklagten und Berufungsklägerin (im Folgenden Beklagte) und lieferte für sie Speisen und Getränke verschiedener Restaurants an die Kunden. Sowohl die Einsatzpläne als auch die Adressen der Restaurants und Kunden wurden ihm über eine App auf sein privates Smartphone mitgeteilt. Die Verpflichtung zur Nutzung der eigenen Arbeitsmittel ergab sich aus den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien, die allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) sind. Als Ausgleich für die Nutzung der eigenen Arbeitsmittel gewährte die Beklagte dem Kläger eine Reparaturgutschrift von EUR 0,25 pro gearbeiteter Stunde, die ausschließlich bei einem von der Beklagten bestimmten Unternehmen eingelöst werden konnte.

Der Kläger nahm die Beklagte auf Zurverfügungstellung eines Smartphones sowie eines Fahrrads in Anspruch, die er zur Ausführung seiner Arbeitsleistung benötigt.

Das Arbeitsgericht Frankfurt a.M. hatte die Klage abgewiesen. Es nahm an, die Parteien hätten sich zumindest konkludent darüber geeinigt, dass der Kläger die streitgegenständlichen Arbeitsmaterialien selbst stellen muss. Der Kläger habe in Kenntnis dessen den Arbeitsvertrag unterschrieben, sodass die Regelung nicht gegen § 138 BGB verstoße. Das LAG Hessen hatte dieser Ansicht des Arbeitsgerichts eine Absage erteilt und auf die Berufung des Klägers hin der Klage stattgegeben. Das LAG begründete seine Ansicht vor allem mit einer unangemessenen Benachteiligung des Klägers, wenn er die Arbeitsmaterialien selbst zur Verfügung stellen muss. 

Entscheidung

Nach der veröffentlichten Pressemitteilung nimmt auch das BAG – wie zuvor schon das LAG Hessen – eine unangemessene Benachteiligung des Klägers im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BGB an und erklärt die vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien für nichtig. 

Nach dem Leitbild des Arbeitsverhältnisses habe der Arbeitgeber die für die Ausübung der vereinbarten Tätigkeit wesentlichen Arbeitsmittel zu stellen und für deren Funktionsfähigkeit zu sorgen.

Die vertraglichen Regelungen der Parteien sähen allerdings vor, dass die Anschaffungs- und Betriebskosten und das damit verbundene finanzielle Risiko beim Kläger liegen. Die Beklagte müsse nicht mehr für den Verschleiß, Wertverfall, Verlust oder Beschädigung der notwendigen Arbeitsmittel einstehen. Insoweit stünden sich das Leitbild und die vertragliche Ausgestaltung diametral gegenüber.

Etwaige vertragliche oder gesetzliche Kompensationsansprüche könnten (im vorliegenden Fall) kein anderes Ergebnis rechtfertigen. Die dem Kläger gewährten Reparaturgutschriften würden sich an der bloßen Arbeitszeit orientieren, ohne Bezug zur konkreten Fahrleistung. Auch könne der Kläger über diese Gutschriften nicht frei verfügen, da er nur von der Beklagten ausgewählte Werkstätten aufsuchen dürfe. Für die Nutzung des Smartphones sei gar keine Kompensation vorgesehen. 

Praxishinweise

Das BAG bekräftigt die Auffassung, dass der Arbeitgeber, entsprechend des gesetzlichen Leitbildes des § 618 BGB, die essentiell notwendigen Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen hat und die damit verbundenen Risiken zu tragen hat. Schließlich zieht der Arbeitgeber im Gegenzug den (finanziellen) Nutzen aus dem Betrieb und gestaltet neben den betrieblichen Abläufen auch den Einsatz seiner Angestellten.

Von entscheidender Bedeutung für die zukünftige Gestaltung von Verträgen werden die dezidierten Entscheidungsgründe des BAG sein. Denn auch das BAG sieht – wie schon das LAG Hessen – die Möglichkeit einer abweichenden vertraglichen Vereinbarung. Spannend wird sein, ob das BAG weitere Konkretisierungen einer solchen vertraglichen Vereinbarung statuiert. 

Wesentliche Parameter der Vereinbarung eines Reparaturbudgets sollten (soweit das der Pressemitteilung zu entnehmen ist) die folgenden sein: 

 

  • Reparaturbudget orientiert sich an den tatsächlich gefahrenen Kilometern und nicht an den gearbeiteten Stunden.
  • Freie Entscheidungsmöglichkeit des Arbeitnehmers, welche Werkstatt er zur Reparatur aufsucht.
  • Die Kompensation muss der Höhe nach „angemessen“ sein.

Wie hoch eine „angemessene Kompensation“ ist, lässt sich schwer sagen. Es kann allerdings damit gerechnet werden, dass die Kurierdienste ihre Arbeitsverträge anpassen und die entsprechenden Klauseln in der Folge erneut aufgrund arbeitnehmerseitiger Klagen einer Kontrolle unterzogen werden. Im Anschluss daran lassen sich Richtwerte entwickeln, wann eine Kompensation „angemessen“ ist.

Soweit entsprechende Klauseln auch in Arbeitsverträgen aus vergleichbaren Branchen (z.B. Postzusteller oder andere Lieferfahrer) zu finden sind, sollte ebenfalls über eine Überprüfung der arbeitsvertraglichen Klauseln nachgedacht werden. Sofern die Arbeitsverträge keine (wirksame!) Ausschlussklausel vertraglicher Ansprüche enthalten, könnten die Mitarbeiter rückwirkend für drei Jahre Ansprüche geltend machen, denn dann greift nur die allgemeine Verjährung nach § 195 BGB. 

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