Update Arbeitsrecht Juni 2021
Auch in der Pandemie gilt: Wer die Arbeit beharrlich verweigert geht!?
ArbG Kiel, Urteil vom 11. März 2021 – 6 Ca 1912 c/20
SACHVERHALT
Der Kläger war bei der Beklagten, welche als Spezialistin in der Entwicklung von Web-Applikationen regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, seit Dezember 2016 als Web-Entwickler tätig.
Der Kläger teilte der Beklagten im Zuge der Corona-Pandemie im März 2020 mit, dass er Risikopatient sei, ohne diese Behauptung näher zu präzisieren oder mittels ärztlichen Attests zu belegen. Er führte seine Tätigkeit sodann – wie der Großteil der Mitarbeiter der Beklagten – aus dem Homeoffice fort.
Der Kläger beantragte im November 2020 einen fünfwöchigen Erholungsurlaub zum Besuch seiner Familie Mitte Dezember, welchen die Beklagte genehmigte. Sie wies den Kläger gleichzeitig darauf hin, dass dieser in den ersten beiden Dezemberwochen bis zu seinem Urlaubsbeginn Mitte Dezember die Einarbeitung zweier in seinem Bereich neu eingestellter Mitarbeiter vor Ort im Betrieb durchführen solle.
Am 1. und 4. Dezember 2020 arbeitete der Kläger die Mitarbeiter sodann ein, was jedenfalls am zweiten Tag unstreitig in einem 40 m² großen Konferenzraum unter Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln erfolgte. Am 4. Dezember beendete der Kläger die Einarbeitung eigenmächtig um die Mittagszeit. Der Kläger hatte dies dem Geschäftsführer der Beklagten mit der Begründung angekündigt, dass die Einarbeitung abgeschlossen sei. Der Geschäftsführer wies den Kläger an, die Einarbeitung vor Ort bis zum Urlaubsbeginn fortzusetzen, da entgegen der Auffassung des Klägers die Einarbeitung noch nicht beendet sei. Der Kläger weigerte sich, dieser Weisung nachzukommen und verließ augenblicklich das Betriebsgebäude. Er erschien trotz erneuter Aufforderung zur Einarbeitung der beiden Mitarbeiter bis zu seinem Urlaubsbeginn nicht mehr im Betrieb der Beklagten. Dies begründete er damit, dass die Einarbeitung beendet sei und er wegen der Corona-Pandemie nicht persönlich zur Arbeit gehen wolle, da seine Urlaubsreise ins Heimatland bereits geplant sei und er nicht das Risiko eingehen wolle, sich zuvor im Betrieb zu infizieren. Dies sei, so antwortete er auf erneute Nachfrage der Beklagten, seine endgültige Entscheidung. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich.
Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage. Erst im Prozess legte er ein Attest vor, das ihn als Asthma-Risikopatient auswies.
ENTSCHEIDUNG DES ARBEITSGERICHTS KIEL
Das Arbeitsgericht Kiel sah die außerordentliche Kündigung des Klägers durch die Beklagte als gerechtfertigt an und wies die Klage ab.
Die beharrliche Weigerung der Erfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten – vorliegend die Arbeit vor Ort im Betrieb zu erbringen – stelle ebenso wie die Verletzung von Nebenpflichten einen an sich wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar. Sie sei damit geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dies gelte auch, wenn der Arbeitnehmer dies in der irrigen Annahme tue, er handele rechtmäßig. Der Kläger habe grundsätzlich das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als falsch erweist (so zuvor auch BAG, Urteil vom 28. Juni 2018, 2 AZR 436/17).
Die Weisung der Beklagten, der Kläger möge seine Arbeitsleistung in den zwei Wochen vor dem Antritt seines fünfwöchigen Urlaubs im Betrieb vor Ort erbringen, sei sowohl durch den Arbeitsvertrag als auch durch das arbeitsvertragliche Weisungsrecht gedeckt und insgesamt wirksam.
Der Arbeitsvertrag sei nicht etwa auf die ausschließliche Tätigkeit im Homeoffice konkretisiert worden. Die Corona-bedingten Einschränkungen stellten lediglich eine Eingrenzung des Weisungsrechts aber keine dauerhafte Konkretisierung dar.
Die Weisung nach § 106 S. 1 GewO entspreche auch billigem Ermessen i.S.d. § 315 BGB. Insbesondere sei die Weisung nicht unbillig, da die Beklagte nicht gegen ihre Schutzpflicht aus § 618 BGB (Schutz vor Gefahren für Leben und Gesundheit) und die konkretisierenden Regelungen aus § 4 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) sowie den sonstigen öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutznormen (insbesondere des Sars-CoV-2-Arbeitsschutzstandard) verstoßen habe. Büroarbeiten seien diesen zufolge zwar nach Möglichkeit vom Homeoffice aus zu erbringen, ein Zwang zum Homeoffice habe seinerzeit mangels Geltung der Sars-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung vom 27. Januar 2021 allerdings noch nicht bestanden. Dies ändere sich auch nicht durch das (bloß behauptete) in der Person des Klägers liegende Risiko eines besonders schweren Verlaufes einer Corona-Erkrankung. Eine Beschäftigung vor Ort wäre nur dann ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer nicht allein mit mehr oder weniger hoher Gefährdung Risikopatient wäre, sondern aufgrund Vorerkrankung ein attestiertes derartig hohes Risiko für einen schweren Corona-Erkrankungs-Verlauf hätte, dass jegliche Beschäftigung im Büro mit anderen Mitarbeitern unverantwortlich wäre. Die Einarbeitung neuer Mitarbeiter im Arbeitsbereich des Klägers sei eine Annex-Tätigkeit zum Arbeitsvertrag, die zwingend erforderlich sei. Die bloße Behauptung einer Erkrankung genüge aber nicht.
Die Umstände vor Ort hätten die Weisung zur Beschäftigung vor Ort auch nicht ausgeschlossen. Die Einhaltung der Hygieneregeln, Abstandsgebote sowie ausreichende Belüftung seien unstreitig möglich gewesen.
Die Beklagte durfte die Einarbeitung auch in Präsenz organisieren. Zum einen beziehe sich die Weisung nur auf wenige Tage (zwei Wochen), zum anderen liege es im Ermessen der Beklagten, ob eine Einarbeitung vor Ort sinnvoll und nötig erscheint oder nicht. In keinem Fall sei das Interesse des Klägers an einem ungestörten Urlaub in die Ermessensabwägung mit einzubeziehen. Die geschuldete Arbeitsleistung sei keine Vorbereitung auf einen geglückten Urlaub, indem sich der Kläger vorab in häusliche Quarantäne begebe.
Die Arbeitsverweigerung sei auch beharrlich gewesen. Der Kläger wurde mehrfach aufgefordert, seine Arbeitsleistung im Betrieb zu erbringen. Trotz dessen hat der Kläger als letztes Wort darauf beharrt, der Weisung der Beklagten nicht nachzukommen. In einem solchen Fall sei eine Abmahnung nicht erforderlich.
Ferner stehe dem Kläger auch kein Recht zur Arbeitsverweigerung zu, § 275 Abs. 3 BGB. Die Erkrankung des Klägers sei völlig unklar. Außerdem gehe der Kläger mit der geplanten Urlaubsreise – zumal in ein Land, für welches zum Zeitpunkt der Reise eine Reisewarnung bestand und welches seit Juni 2020 als Risikogebiet eingestuft war – bewusst ein Infektionsrisiko ein. Er könne sich daher nicht auf eine Unzumutbarkeit wegen Ansteckungsrisiken am Arbeitsplatz berufen.
PRAXISHINWEIS
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist zu begrüßen. Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass sofern der Arbeitgeber die Möglichkeit des Arbeitens im Homeoffice eröffnet (bzw. eröffnen muss), keine Konkretisierung des Arbeitsortes eintritt. Auch die Corona-bedingten Arbeitsschutznormen führen nicht zu einem Homeoffice Zwang. Selbst in den verschärften Versionen der Corona-Verordnungen und des Infektionsschutzgesetzes (§ 28b Abs. 7 IfSG) sind Ausnahmen von der „Homeoffice-Pflicht“ aus „zwingenden betrieblichen Gründen“ möglich. Die Einarbeitung neuer Kollegen und die Unterweisung in betriebliche Abläufe wird wohl auch in Zukunft als ein solcher zwingender betrieblicher Grund betrachtet werden können. Zwingend ist dieser Schluss allerdings nicht.
Im Falle des Klägers in obiger Entscheidung kam erschwerend hinzu, dass er seine Arbeitsverweigerung mit dem geplanten Urlaub begründete und eine belastbare medizinische Diagnose zum Zeitpunkt der Kündigung nicht vorlag. Insoweit könnte obige Entscheidung bei Vorlage eines ärztlichen Attestes und geschickterer Kommunikation gegenüber dem Arbeitgeber anders ausfallen. Um die eingangs aufgeworfene Frage zu beantworten: Die Entscheidung ist und bleibt eine Einzelfallentscheidung und gerade im Zusammenhang mit der Abwägung entgegenstehender Interessen im Falle des § 315 BGB muss der Abwägungsvorgang individuell betrachtet werden.
Die Entscheidung verdeutlicht ferner das arbeitsrechtliche Konfliktpotenzial der „Corona-Zeit“ und zeigt, wie wichtig es ist, eine Homeoffice Vereinbarung mit den beteiligten Arbeitnehmern abzuschließen. Darin sollten insbesondere Rechte und Pflichten der Parteien geregelt werden. So kann dem Mitarbeiter vor Augen geführt werden, dass die Arbeit im Homeoffice lediglich vorübergehender Natur ist. Daneben sollten beispielsweise Zugangsrechte des Arbeitgebers zum Homeoffice und datenschutzrechtliche Klauseln (z.B. Verschluss von Geschäftsinterna) enthalten sein.