Update Arbeitsrecht April 2021
Außerordentliche Kündigung wegen Entwendung eines Liters Desinfektionsmittel
LAG Düsseldorf 14.01.2021 - 5 Sa 483/20
Ganz gleich ob es sich um ein Stück Bienenstich, um das Einlösen zweier gefundener Pfandbons im Gesamtwert von 1,30 Euro durch eine Kassiererin oder um die Mitnahme von sechs Maultaschen aus der Küche handelt: Die Arbeitsgerichte hatten in der Vergangenheit über eine Vielzahl von außerordentlichen Kündigungen zu entscheiden, die ausgesprochen wurden, weil Arbeitnehmer geringwertige Sachen entwendet haben.
In der Rechtsprechung ist allgemein anerkannt, dass auch die Entwendung geringwertiger Sachen grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann. Eine die außerordentliche Kündigung begründende Pflichtverletzung scheidet nicht bereits wegen der Geringfügigkeit des Vermögensschadens aus, denn ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung infrage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste Erschütterung der für die Vertragsbeziehungen notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihr verbunden sind.
In einem zweiten Schritt ist dann zu prüfen, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist. Dabei ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung – etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen –, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ist ebenfalls zu überprüfen, ob eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre.
Die pandemiebedingte Ausnahmesituation, die ab März 2020 ganz Deutschland betraf und die damit einhergehende Knappheit bestimmter Güter waren in der Entscheidung des LAG Düsseldorfs in der Interessenabwägung ebenfalls von besonderer Bedeutung.
Sachverhalt
Der Kläger war seit dem Jahr 2004 bei einem Paketzustellunternehmen, der Beklagten, als Be- und Entlader sowie Wäscher für die Fahrzeuge beschäftigt. Die Wäsche der Wagen erfolgte in Nachtschicht mit sechs bis sieben Kollegen, wobei der Kläger seinen Wagen in der Nähe des Arbeitsplatzes abstellen konnte. Bei der stichprobenartigen Ausfahrtkontrolle am 23. März 2020 gegen 07.50 Uhr fand der Werkschutz im Kofferraum des Klägers eine nicht angebrochene Plastikflasche mit einem Liter Desinfektionsmittel und eine Handtuchrolle. Der Wert des Desinfektionsmittels betrug zum damaligen Zeitpunkt ca. 40,00 Euro. Es kam damals bei der Beklagten immer wieder vor, dass Desinfektionsmittel aus den Waschräumen entwendet wurde. Aus diesem Grund waren im Sanitärbereich bereits Aushänge angebracht worden, die darauf hinwiesen, dass die Mitnahme von Desinfektionsmittel zu einer fristlosen Kündigung und einer Anzeige führen würden.
Am 24. März 2020 stimmte der Personalausschuss des Betriebsrats der beabsichtigten fristlosen Kündigung zu. Diese wurde gegenüber dem Kläger am 25. März 2020 ausgesprochen.
Gegen diese Kündigung wendete sich der Kläger mit seiner Klage. Er habe sich während der Arbeit jede Stunde zu seinem Fahrzeug begeben, um die Hände zu desinfizieren und abzutrocknen. Er habe das Mittel für sich und eventuell seine Kollegen verwenden wollen, zumal dieses in den Waschräumen nicht immer verfügbar gewesen sei. Bei der Ausfahrt habe er an die Sachen im Kofferraum nicht mehr gedacht. Er müsse kein Desinfektionsmittel stehlen, weil seine Frau in der Pflege arbeite und die Familie über sie ausreichend versorgt sei.
Die Arbeitgeberin hat behauptet, dass der Kläger dem Werkschutz gesagt habe, dass er das Desinfektionsmittel habe mitnehmen dürfen, um sich unterwegs die Hände zu desinfizieren.
Entscheidung des LAG Düsseldorf
Das LAG Düsseldorf bestätigte die Wirksamkeit der Kündigung und gab damit der Arbeitgeberin recht. Die Einlassungen des Klägers seien nicht glaubhaft. Die Kammer ging davon aus, dass der Kläger sich das Desinfektionsmittel zugeeignet habe, um es selbst zu verbrauchen. Wenn er es während der Schicht habe benutzen wollen, hätte es nahegelegen, das Desinfektionsmittel auf den Materialwagen am Arbeitsplatz zu stellen, zumal in der Nacht nur sechs bis sieben Kollegen arbeiteten. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, dass er das Desinfektionsmittel auch für die Kollegen verwenden wollte, denn weder habe er ihnen gesagt, wo er das Desinfektionsmittel aufbewahre noch habe er ihnen den Autoschlüssel gegeben, damit sie es benutzen können. Schließlich war die aufgefundene Flasche nicht angebrochen. Auch in Ansehung der langen Beschäftigungszeit war keine vorherige Abmahnung erforderlich. Der Kläger habe in einer Zeit der Pandemie, als Desinfektionsmittel Mangelware waren, und in Kenntnis davon, dass auch die Beklagte mit Versorgungsengpässen zu kämpfen hatte, eine nicht geringe Menge Desinfektionsmittel entwendet. Damit habe er zugleich in Kauf genommen, dass seine Kollegen leer ausgingen. In Ansehung dieser Umstände habe ihm klar sein müssen, dass er mit der Entwendung von einem Liter Desinfektionsmittel den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährdete. Die Interessenabwägung fiel auch angesichts dieser Umstände zulasten des Klägers aus.
Praxishinweis
Auch wenn Desinfektionsmittel zum Tatzeitpunkt für viele Menschen „kostbar“ war, bestätigt die Entscheidung des LAG Düsseldorf die bisherige Rechtsprechung, nach der auch die Entwendung von geringwertigen Gegenständen zu einer fristlosen Kündigung berechtigen kann.
Bei der Interessenabwägung waren insbesondere die Besonderheiten der Pandemielage und die anfangs herrschende landesweite Knappheit an Desinfektionsmittel zu berücksichtigen. Auch Arbeitgeber hatten zwischenzeitlich Engpässe bei der Beschaffung von Desinfektionsmitteln. Da aber der Arbeitgeber in der Pandemie eine besondere Fürsorgepflicht gegenüber seinen Mitarbeitern hat und diese zum Beispiel durch Bereitstellung von Desinfektionsmittel oder Masken schützen muss, wurde der Umstand, dass der Kläger derart eigennützig motiviert handelte zu seinen Lasten berücksichtigt.