Update Compliance 3/2017
BGH: Keine Generalamnestie bei Insiderhandel und Marktmanipulation wegen Gesetzeslücke
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) hat entschieden, dass im Zuge der Neuregelung des Marktmissbrauchsrechts durch das 1. FiMaNoG keine zeitliche Lücke hinsichtlich der straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ahndbarkeit von Insiderhandel und Marktmanipulation entstanden ist (5 StR 532/16). Hintergrund der Entscheidung ist das Außerkrafttreten des alten WpHG bereits am 2. Juli und das Inkrafttreten der Neuregelung erst einen Tag später. Die Revisionsführer hatten argumentiert, dass diese zeitliche Lücke nach dem sog. Meistbegünstigungsprinzip (§ 2 Abs. 3 StGB, § 4 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 354a StPO) zur Straflosigkeit aller vor dem 2. Juli 2016 begangenen Taten führen müsse. Dem hat der BGH eine Absage erteilt.
Bereits nach Inkrafttreten des neuen WpHG, dessen Strafvorschriften seit dem 2. Juli 2016 direkt auf die Marktmissbrauchsregeln der EU-Marktmissbrauchsverordnung (MAR) verweisen, war eine Diskussion um eine Gesetzeslücke entstanden. Denn das Verweisungsziel, die MAR, ist erst einen Tag später in Kraft getreten.
Der Beschluss des BGH
Am 11. April 2016 hat das Landgericht Hamburg u.a. den früheren Vorstandsvorsitzenden einer Aktiengesellschaft wegen leichtfertiger Marktmanipulation zu einer Geldbuße verurteilt. Des Weiteren hat das Landgericht bei einem Unternehmen die Abschöpfung des aus dem Insiderhandel seines Geschäftsführers erlangten Sondervorteils angeordnet. Beide fochten das Urteil mit der Revision vor dem BGH an, die dieser nun als unbegründet verworfen hat.
Die Abweichung des Inkrafttretens der Änderungen des WpHG vom Beginn der unmittelbaren Anwendbarkeit der maßgeblichen Bezugsnorm der MAR habe – so der BGH – nicht zur Folge, dass die Verweisungen des WpHG auf die MAR am 2. Juli 2016 „ins Leere“ gegangen sind. Vielmehr seien durch die Verweisungen die in Bezug genommenen Vorschriften der MAR bereits vor ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit im Inland für (mit)anwendbar erklärt worden.
Der BGH begründet diese Ansicht wie folgt:
- Auch wenn die Straf- und Bußgeldvorschriften des WpHG (§§ 38, 39 WpHG) als Blankettnormen ausgestaltet seien, sei es der Wille des Gesetzgebers, unionsrechtliche Vorschriften ungeachtet ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit ins deutsche Recht aufzunehmen und Marktmanipulation und Insiderhandel zu ahnden. Ob die Abweichung des Inkrafttretens des WpHG auf einem gesetzgeberischen Versehen oder einer bewussten Entscheidung beruhe, sei unerheblich.
- Die Verweisungen des WpHG auf die MAR genügen auch den Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes, es sei klar erkennbar worauf sich die Verweisungen beziehen. Die MAR sei dem Normadressaten seit dem Jahr 2014 zugänglich. Zudem handele es sich um statische Verweisungen. Dies bedeutet, dass die bereits in Kraft getretene Fassung der MAR in Geltung gesetzt wurde, ohne auf die „jeweilige“ Fassung der MAR zu verweisen. Auch seien die in Art. 14 Buchst. a. MAR (Insiderhandel) und Art. 15 MAR (Marktmanipulation) verwendeten Begriffe in der Verordnung definiert. Die Verbotsregelungen der MAR seien für die Normadressaten, regelmäßig Personen mit einer fachspezifischen Ausbildung, auch noch hinreichend transparent.
- Ebenso wenig sei aus europarechtlicher Sicht ein Grund ersichtlich, warum der deutsche Gesetzgeber die MAR nicht schon vor dem 3. Juli 2016 in Deutschland für anwendbar erklären dürfte. Dass Art. 39 Abs. 2 MAR die vorliegend in Bezug genommen Vorschriften erst ab dem 3. Juli 2016 für anwendbar erklärt, räume den EU-Mitgliedsstaaten lediglich Zeit ein, um die notwendigen Vorschriften zur Umsetzung des neuen Marktmissbrauchsregimes zu erlassen. Sie verbiete keine frühere Umsetzung der MAR bzw. einzelner Vorschriften.
Praxishinweis
Die Frage, ob die Verweisungen des WpHG auf die MAR für 24 Stunden „ins Leere“ gingen, wird seit Monaten in der Literatur und Praxis diskutiert. Es ist davon auszugehen, dass die Diskussion fortdauern wird. Zwar legt der BGH dar, warum die im neuen WpHG normierten Straftatbestände und Ordnungswidrigkeiten dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG genügen und im Einklang mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“ stehen. Ob die Argumentation des BGH jedoch die Gegenauffassung in der Literatur zu überzeugen vermag, ist zweifelhaft. Es ist nicht bekannt, ob die Revisionsführer weitere Instanzen bemühen. Da die Problematik von grundsätzlicher Natur ist, dürfte das Urteil des BGH die Diskussionen eher angefeuert denn beendet haben.
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