27.10.2015Fachbeitrag

Newsletter Arbeitsrecht Oktober 2015

BGH zum Verbot der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne Rezept

BGH vom 8.1.2015 – Az. I ZR 123/13

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs betrifft das in § 48 Arzneimittelgesetz (AMG) geregelte Verbot der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne Vorlage eines Rezeptes und beurteilt die damit zusammenhängenden Ausnahmen in § 4 Absatz 1 der Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln (Arzneimittelverschreibungsverordnung – AMVV) und des darüber hinausgehenden gesetzlichen Notstandes. Das Urteil zeigt die mit einer unerlaubten Abgabe verbundenen Risiken auf.

Die gesetzlichen Grundlagen

§ 4 Absatz 1 AMVV beschreibt die Voraussetzungen, unter welchen ausnahmsweise eine Abgabe ohne Vorlage der Verschreibung gestattet sein kann. Wenn die Anwendung des verschreibungspflichtigen Arzneimittels keinen Aufschub erlaubt, kann der verschreibende Arzt den Apotheker in geeigneter Weise, insbesondere fernmündlich, über die Verschreibung und deren Inhalt unterrichten. Der Apotheker kann dann ausnahmsweise das verschreibungspflichtige Arzneimittel abgeben, wenn er sich über die Identität des Arztes Gewissheit verschafft hat und ihm die Verschreibung in schriftlicher oder elektronischer Form unverzüglich nachgereicht wird. Im äußersten Notfall kommt eine Abgabe auch ohne diese Voraussetzungen nach den gesetzlichen Notstandsregeln in Betracht.

Der Sachverhalt

Zugrunde lag der Entscheidung des Bundesgerichtshofs ein Fall, in dem eine Patientin, der ein verschreibungspflichtiges, blutdrucksenkendes Medikament bereits seit Jahren ärztlich verordnet worden war, zunächst in der Apotheke des klagenden Apothekers erschien, um das Arzneimittel zu erwerben. Ihr war das Medikament ausgegangen und sie hatte es versäumt, sich bei ihrem Arzt eine neue Verordnung ausstellen zu lassen. Der klagende Apotheker lehnte die Abgabe des Medikaments ohne Verordnung ab und verwies die Kundin auf den 15 Kilometer entfernten ärztlichen Notdienst. Die Patientin suchte daraufhin stattdessen die Apotheke der Beklagten auf und erhielt dort eine Packung des Mittels mit 100 Tabletten ohne Vorlage einer ärztlichen Verordnung.

Die streitigen Meinung

Der klagende Apotheker sah in dem Verhalten des beklagten Apothekers einen Verstoß gegen das Verbot der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne Rezept und hat auf Unterlassung sowie Auskunftserteilung und Zahlung von Abmahnkosten geklagt. Ferner begehrte er die Feststellung, dass der beklagte Apotheker schadensersatzpflichtig sei. Der beklagte Apotheker machte dem gegenüber geltend, die Patientin sei dringend auf das von ihr regelmäßig eingenommene Medikament angewiesen gewesen, das nach Auskunft einer mit ihm befreundeten Ärztin unbedenklich an die Zeugin habe abgegeben werden können.

Die geltend gemachten wettbewerbsrechtlichen Ansprüche seien auch deshalb unbegründet, weil es – unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falls – zu keiner spürbaren Beeinträchtigung der Interessen der Verbraucher und der Mitbewerber im Sinne von § 3 Absatz 1 des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG) gekommen sei.

Er, der beklagte Apotheker, habe sich in einem außergewöhnlichen Entscheidungskonflikt befunden. Er habe gewusst, dass die Patientin wegen ihrer gravierenden Krankheitsgeschichte auf das Medikament angewiesen gewesen sei. Nachdem er vergeblich versucht habe, den behandelnden Arzt zu erreichen, habe er die Erklärung der von ihm angerufenen Ärztin, er könne das Medikament an die Patientin abgeben, aus juristischer Laiensicht als Verschreibung durch diese Ärztin verstehen können.

Die gerichtliche Entscheidung

Der Bundesgerichtshof hat sich dem nicht angeschlossen. Das in § 48 AMG geregelte Verbot der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne Verschreibung sei immer eine  Marktverhaltensregelung im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG und wirke sich unmittelbar auf den Wettbewerb zwischen Apotheken aus. Für einzelfallbezogene Abwägungen sei kein Raum. Daher seien die geltend gemachten wettbewerbsrechtliche Ansprüche zu prüfen.

Im konkreten Fall habe die Ausnahme des § 4 Absatz 1 AMVV nicht vorgelegen, wonach der verschreibende Arzt den Apotheker in geeigneter Weise, insbesondere fernmündlich, über die  Verschreibung und deren Inhalt unterrichten könne, wenn die Anwendung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels keinen Aufschub erlaubt. Das setze aber eine eigene Therapieentscheidung des behandelnden Arztes auf der Grundlage einer vorherigen, regelgerechten eigenen Diagnose voraus. Die Bestimmung des § 4 Absatz 1 AMVV sehe keinen Verzicht auf die ärztliche Verschreibung vor.

Nur falls auf andere Art und Weise eine erhebliche, akute Gesundheitsgefährdung des Patienten nicht abzuwenden sei, könne eine auch nach der Ausnahmeregelung unzulässige Abgabe eines verschreibungspflichtigen Medikaments durch den Apotheker nur in den engen Grenzen des Notstandes des § 34 Strafgesetzbuch in Betracht kommen.

Maßgeblich sei der Sorgfaltsmaßstab eines Angehörigen der Fachkreise der Apotheker und nicht eines Laien. Der Beklagte habe als Apotheker, der mit den einschlägigen Vorschriften über die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel vertraut sein müsse, ohne Weiteres erkennen müssen, dass der Patientin eine Fahrt zum ärztlichen Notdienst zuzumuten war. In jedem Fall sei eine eigene Therapieentscheidung des behandelnden Arztes auf der Grundlage einer regelgerechten eigenen Diagnose erforderlich. Nur falls das nicht möglich sei, weil dann eine erhebliche, akute Gesundheitsgefährdung des Patienten nicht abgewendet werden könne, sei die Abgabe eines verschreibungspflichtigen Medikaments durch den Apotheker im Einzelfall auch ohne Rezept (in analoger Anwendung der Regelungen des Rechtfertigenden Notstandes nach § 34 StGB) denkbar.

Da keine dieser Voraussetzungen im entschiedenen Fall vorlagen, wurde der beklagte Apotheker verurteilt, sein Verhalten zukünftig zu unterlassen. Ferner wurde er verurteilt, dem klagenden Apotheker Schadensersatz zu leisten und zu diesem Zweck Auskunft darüber zu erteilen, seit wann und in welchem Umfang er derartige Handlungen begangen hat, und zwar unter genauer Angabe der Bezeichnung und Menge des Arzneimittels aufgeschlüsselt nach Monaten.

Fazit

Im Ergebnis zeigt diese Rechtsprechung, wie ernsthaft das gesetzliche Verbot aus § 48 AMG mit den gesetzlichen Folgen des Unterlassungs-, Auskunfts- und Schadensersatzanspruchs durchgesetzt werden kann.

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