Update Immobilien & Bau 1/2022
Bundesgerichtshof: Mietanpassung bei behördlicher Geschäftsschließung denkbar, aber abhängig vom Einzelfall
Der Bundesgerichtshof („BGH“) hat heute seine bereits angekündigte Entscheidung zur Frage von Mietanpassungen bei behördlich angeordneten Geschäftsschließungen verkündet. In solchen Fällen kommt grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht. Ob dies auch tatsächlich der Fall ist, hängt aber von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Einer vereinfachten pauschalen Betrachtungsweise erteilt der BGH eine Absage.
Sachverhalt
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung ausstehender Mieten. Die Beklagte hat von der Klägerin Räumlichkeiten zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts angemietet. Im März 2020 musste die Beklagte ihr Ladenlokal aufgrund der behördlichen Schließungsanordnungen infolge der Corona-Pandemie zum 19. März 2020 schließen. Die Beklagte durfte ihr Ladenlokal am 19. April 2020 wieder öffnen. Für den Monat April 2020 zahlte die Beklagte keine Miete an die Klägerin und rechnete für die Zeit ab dem 20. April mit der aus ihrer Sicht überzahlten Miete aus dem März auf.
Die Klägerin nahm die Beklagte vor dem Landgericht Chemnitz zur Zahlung von EUR 7.845,00 in Anspruch. Das Landgericht Chemnitz verurteilte mit Urteil vom 26. August 2020 (Az.: 4 O 639/20) die Beklagte zur Zahlung der gesamten ausstehenden Miete. Im Zuge der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung hob das Oberlandesgericht Dresden mit Urteil vom 24. Februar 2021 (Az.: 5 U 1782/20) das Urteil des Landgerichts Chemnitz teilweise auf und verurteilte die Beklagte zu einer Zahlung von EUR 3.720,09. Das Oberlandesgericht Dresden nahm in seiner Entscheidung an, dass aufgrund der behördlichen Schließungsanordnungen eine Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB eingetreten sei, weshalb eine Vertragsanpassung dergestalt vorzunehmen war, dass die Beklagte für die Dauer der Schließung die Kaltmiete um 50 Prozent kürzen durfte.
Inhalt der Entscheidung
Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden, dass im Fall einer behördlichen Geschäftsschließung zwar kein Mangel i.S.d. § 536 Abs. 1 BGB vorliegt, aber grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht kommt. Er hat aber gleichzeitig betont, dass dazu stets individuell zu prüfen ist, ob dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Für diese Prüfung hat der BGH den Fall an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Eine pauschale Betrachtungsweise werde den Anforderungen an dieses normative Tatbestandsmerkmal der Vorschrift nicht gerecht. Deshalb passe auch nicht die durch das Oberlandesgericht vorgenommene pauschale Betrachtungsweise mit einer Herabsetzung der Mieter um 50 Prozent.
Der BGH nennt für die erforderliche Einzelfallbetrachtung insbesondere die folgenden Kriterien:
- Welche Nachteile sind dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden?
- Maßgeblich ist jeweils das konkrete Mietobjekt und nicht ein möglicher Konzernumsatz.
- Welche Maßnahmen hat der Mieter ergriffen, um Verluste zu vermindern?
- Hat der Mieter finanzielle Vorteile aus staatlichen Ausgleichsleistungen erlangt (staatliche Darlehen bleiben dabei außer Betracht)?
- Leistungen einer gegebenenfalls einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters sind zu berücksichtigen.
- Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist nicht erforderlich.
- Im Rahmen der Abwägung sind auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen.
Bedeutung der Entscheidung für die Praxis
Der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung der bisherigen Praxis der Oberlandesgerichte, die (mit uneinheitlichen Ergebnissen) teilweise eine pauschale Betrachtungsweise zur Behandlung von Störungen der Geschäftsgrundlage durch Corona-bedingte Schließungsanordnungen vorgenommen haben, eine Absage erteilt. Nach Auffassung des BGH erfordert diese Fragestellung vielmehr jeweils eine konkrete Betrachtung des Einzelfalls. Dies ist aus der Sicht der Praxis zu begrüßen. Positiv ist dabei insbesondere auch, dass der BGH eine Reihe von Kriterien benannt hat, die bei einer solchen Prüfung zu beachten sind. Zu den einzelnen Kriterien sei auf die obige Auflistung verwiesen.
Praxishinweis
Auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist es für die Vertragsgestaltung nach wie vor sinnvoll, eine „Pandemie-Klausel“ in Mietverträge mit aufzunehmen. In einer solchen Klausel können rechtssicher Regelungen darüber getroffen werden, wie im Einzelfall mit Geschäftsschließungen im Rahmen von Sonderlagen wie einer Pandemie umzugehen ist. Dabei bedarf es einer detaillierten und ausgeklügelten Regelung für einzelne potenzielle Situationen, die wie in einer Pandemie für die Vertragsparteien einen wirtschaftlich bedrohlichen Sonderfall darstellen können, der deshalb, soweit dies überhaupt möglich ist, schon im Voraus bedacht werden sollte. Für den Entwurf einer solchen Klausel steht unser Team wie immer gerne zur Verfügung.