09.07.2018Fachbeitrag

Update Compliance 9/2018

Bundesverfassungsgericht weist Beschwerde gegen Durchsuchung der Rechtsanwaltskanzlei Jones Day im Dieselskandal zurück

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerden gegen die Durchsuchung des Münchener Büros der US-amerikanischen Rechtsanwaltskanzlei Jones Day nicht zur Entscheidung angenommen. Sie sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Beschwerdeführer waren neben der Kanzlei selbst drei ihrer Rechtsanwälte sowie ihr Mandant, die Volkswagen AG.

Die Beschwerdeführer wandten sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen die Durchsuchung der Räumlichkeiten des Münchener Kanzleistandorts im Zuge des sog. "Dieselskandals" sowie gegen die Sicherstellung der dabei aufgefundenen Unterlagen und elektronischen Daten.

Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts nahm die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an:

Beschwerde der US-amerikanischen Kanzlei

Die Kanzlei Jones Day sei keine inländische juristische Person i. S. von Art. 19 Abs. 3 GG und damit nicht beschwerdebefugt. Ihr Hauptverwaltungssitz befinde sich nicht in Deutschland oder einem anderen Mitgliedstaat der EU. Nur drei der über 40 Standorte der Kanzlei befänden sich in Deutschland. Der Münchener Standort sei jedoch rechtlich unselbständig. Deshalb sei der Kanzlei Grundrechtsschutz zu versagen (Beschl. v. 06. Juli 2018 - 2 BvR 1287/17 und 2 BvR 1583/17)

Beschwerde der Anwälte der Kanzlei

Bezüglich der drei beschwerdeführenden Anwälte der Kanzlei Jones Day lehnte das Bundesverfassungsgericht die Beschwerdeannahme ab, weil die Beschwerdeführer nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) betroffen gewesen seien. Bei Geschäftsräumen komme der Grundrechtsschutz nur dem Unternehmer zu, nicht aber einzelnen Arbeitnehmern. Zwei der Beschwerdeführer könnten sich als angestellte Rechtsanwälte daher nicht auf Art. 13 Abs. 1 GG berufen. Zwar sei der weitere Beschwerdeführer Partner der Sozietät und als Mitinhaber nutzungsberechtigt. Dieses Nutzungsrecht stehe den Partnern der Sozietät allerdings nur gemeinschaftlich zu. Es könne daher auch nur von den Gesellschaftern gemeinschaftlich bzw. von der Gesellschaft als solcher geltend gemacht werden. Daher könne sich auch der Partner der Kanzlei "nicht ad personam" auf das Wohnungsgrundrecht berufen.

Natürliche Personen, die Geschäfts- oder Amtsräume nutzen, ohne selbst Geschäftsinhaber oder Dienstherr zu sein, seien zudem nur dann beschwerdebefugt, wenn die genutzten Räume auch als individueller Rückzugsbereich fungieren und sei deshalb der persönlichen bzw. räumlichen Privatsphäre der natürlichen Person zuzuordnen sind. Eine Störung der eigenen räumlichen Privatsphäre sei allerdings nicht substantiiert vorgetragen worden.

Der Vortrag der Beschwerdeführer, die strafprozessualen Maßnahmen berührten ihre Stellung als Rechtsanwalt und ihre Berufsausübung und hätten Auswirkungen auf die Vertrauensbeziehung zwischen Rechtsanwalt und Mandant, reichte dem Gericht nicht aus: Die Mandatsbeziehung habe nicht zwischen dem Autokonzern und ihnen bestanden, sondern zu Jones Day. Eine Selbstbetroffenheit der Beschwerdeführer sei daher "nicht ersichtlich". Ebensowenig seien die Grundrechte aus Art. 12 GG (Berufsfreiheit), Art. 2 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) oder der fair trial-Grundsatz berührt. (Beschl. v. 06. Juli 2018 - 2 BvR 1562/17)

Beschwerde des Unternehmens

Dem Automobilhersteller bescheinigte die 3. Kammer des Zweiten Senats ein mangelndes Rechtsschutzbedürfnis, weil er von dem Eingriff in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG nicht betroffen sei. Allerdings sei das Recht des Konzerns auf informationelle Selbstbestimmung - wegen der Beschlagnahme von Dokumenten aus den internen Ermittlungen - betroffen. Der Eingriff sei aber gerechtfertigt. Das Landgericht München I sei in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandener Weise der Ansicht gefolgt, dass die Beschlagnahmefreiheit aus § 97 StPO nur auf Strafverteidigungsmandate Anwendung finde. Ein solches liege hier nicht vor. Zudem sei das Landgericht in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandener Weise der Ansicht gefolgt, dass die Vorschrift des § 160a StPO wegen Vorrangs von § 97 StPO auch eine Durchsuchung bei Anwälten nicht verhindere. (Beschl. v. 06. Juli 2018 - 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17)

Folge: Das Rechtsanwaltsprivileg ist ausgehöhlt

Die Nichtannahmeentscheidung bestätigt, dass das Rechtsanwaltsprivileg im Strafverfahren keine Rückendeckung der Rechtsprechung hat. Das Ergebnis ist so simpel wie erschütternd: Strafverfolgungsbehörden dürfen beim Rechtsanwalt, der kein Individualverteidiger ist, Unterlagen aus dem Mandatsverhältnis beschlagnahmen. Einen "Unternehmensverteidiger" mit einer dem Individualverteidiger vergleichbaren Rechtsposition erkennt die 3. Kammer des Zweiten Senats nicht an. Das ist angesichts dessen, dass Deutschland faktisch bereits über ein tiefgreifendes Unternehmenssanktionenrecht verfügt - Bußen können in Milliardenhöhe und am Konzernumsatz orientiert verhängt werden -, bedenklich und bedarf einer gesetzgeberischen Korrektur.

Selbst die Durchsuchung von Rechtsanwälten soll verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein - dies, obwohl § 160a StPO jede Ermittlungshandlung gegen alle Anwälte verbietet und die lex specialis § 97 StPO nur für die Beschlagnahme und nicht für andere Maßnahmen gilt.  Damit hat die 3. Kammer den Anwaltsschutz in § 160a StPO faktisch ausgehöhlt, obwohl es dem Gesetzgeber bei Schaffung der Vorschrift doch gerade darauf ankam, die Rechte der Rechtsanwälte denen der  Strafverteidiger anzugleichen. Das blieb von der 3. Kammer indes unberücksichtigt.

Nicht-EU-Kanzleien genießen keinen Grundrechtsschutz

Ohnehin versagte die 3. Kammer der Kanzlei Jones Day aufgrund ihres Sitzes in den USA den Grundrechtsschutz: Nicht-EU-Gesellschaften fallen dem Bundesverfassungsgericht zufolge nicht unter das Grundgesetz.

Interne Ermittlungen bleiben unverzichtbar

Interne Ermittlungen im Verdachtsfall sind gleichwohl weiterhin unverzichtbar. Sie gehören zu einem umfassenden und effektiven Compliance-Programm. Die vorliegende Entscheidung darf daher nicht dahingehend missverstanden werden, interne Aufklärungsmaßnahmen zukünftig im Zweifel zu unterlassen. Das wäre schon im Lichte der BGH-Entscheidung zur bußgeldmindernden Wirkung von Compliance Management Systemen ein fataler Fehler.

Das zentrale Anliegen von Internal Investigations liegt nicht darin, die gewonnenen Erkenntnisse "koste es, was es wolle" dem Zugriff der Behörden zu entziehen. Eine solche Attitüde wäre der falscher Ansatz - genauso wie eine pauschale Zusicherung umfassender Kooperation gegenüber Strafverfolgungsbehörden. Ein Missbrauch von Anwaltsprivilegien führte schon vor der heutigen Entscheidung zu deren Unanwendbarkeit. Unternehmen sollten sich vielmehr bereits bei der Planung von internen Ermittlungen klar darüber werden, wie sie mit deren Ergebnissen und parallel ermittelnden Behörden umgehen.

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