Der Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG)
Nach erheblicher öffentlicher Kritik an dem ersten Entwurf zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) vom 16. November 2015 hat das Bundesarbeitsministerium nachgebessert. Der am 17. Februar 2016 überarbeitete Referentenentwurf sollte ursprünglich am 9. März 2016 im Bundeskabinett verabschiedet werden, wurde aber durch ein unerwartetes Veto der CSU zunächst gestoppt. Den wesentlichen Inhalt des aktuellen Entwurfs fassen wir für Sie im Folgenden zusammen und nehmen eine Erstbewertung vor.
Einführung einer Überlassungshöchstdauer
Der Gesetzgeber präzisiert die bisher geltende gesetzliche Vorgabe, dass Arbeitnehmerüberlassung nur „vorübergehend“ erfolgen darf und normiert eine Überlassungshöchst-dauer von 18 Monaten. „Vorübergehend“ soll die Arbeitnehmerüberlassung nur dann sein, wenn derselbe Leiharbeitnehmer höchstens 18 Monate beim Entleihunternehmen eingesetzt wird. Ein neuer Einsatz ist erst nach mindestens sechsmonatiger Unterbrechung zulässig. Die Berechnung der Überlassungshöchstdauer beginnt mit dem geplanten Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 2017. Vorbeschäftigungs-zeiten sind bis dahin unschädlich. Durch Tarifverträge der Einsatzbranche (nicht: der Arbeitnehmerüberlassungsbranche!) oder auf der Grundlage eines solchen Tarifvertrages durch Dienst- oder Betriebsvereinbarung kann die Überlassungshöchstdauer ausgedehnt werden. Die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag mit Öffnungsklausel soll hingegen nicht ausreichend sein. Daher werden nur tarifgebundene Arbeitgeber oder Arbeitgeber, in deren Betrieb ein Betriebsrat besteht, von einer Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer profitieren können.
Die 18-Monats-Grenze kommt erwartet. Es gab sie auch früher schon und längere Überlassungszeiten sind in der betrieblichen Praxis selten. Sie wird daher nicht zu einer drastischen Einschränkung der Leiharbeit führen. Positiv daran ist, dass die zeitliche Höchstgrenze arbeitnehmer- und nicht arbeitsplatzbezogen gelten soll. Arbeitnehmerüberlassung ist demnach auch zulässig, wenn damit ein dauerhafter Personalbedarf abgedeckt werden soll.
Neuregelung des Gleichstellungsgrundsatzes
Allerdings will der Gesetzgeber den Equal Pay-Grundsatz deutlich verschärfen und den Tarifverträgen der Zeitarbeits-branche viel ihrer Bedeutung nehmen: Spätestens nach neun Monaten Einsatz soll der Leiharbeitnehmer so vergütet werden wie ein Stammarbeitnehmer des Entleihers. Wenn die Tarifverträge in der Einsatzbranche dies vorsehen, kann die volle Equal Pay-Geltung zwar für 12 Monate verhindert werden. Dann muss dieser Tarifvertrag aber schon für die ersten 12 Monate zumindest eine stufenweise Heranführung des Arbeitsentgelts an Equal Pay vorsehen. Auch hier beginnt der Betrachtungszeitraum nur dann wieder neu, wenn es eine mindestens sechsmonatige Unterbrechung gab. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber wie bisher die Anwendung der tariflichen Regelung vereinbaren. Achtung: Anders als bei der Überlassungshöchstdauer sind bei Anwendung des Equal-Pay- Grundsatzes Überlassungszeiten vor dem geplanten Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 2017 einzurechnen. Die signifikante Verschärfung des Equal Pay-Grundsatzes führt zu einer spürbaren Verteuerung der Leiharbeit.
Verbot des Einsatzes als Streikbrecher
Entleihern ist künftig die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern in bestreikten Betrieben gänzlich verboten. Der Verstoß gegen diese Regelung stellt für den Entleiher eine Ordnungs-widrigkeit dar. Dieses Beschäftigungsverbot ist ein verfassungsrechtlich bedenklicher Eingriff in die grundrechtlich geschützte Arbeitskampfparität zu Lasten der Arbeitgeber. Nach dem derzeitigen Wortlaut ist insbesondere nicht nur die Neueinstellung von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher unter-sagt, sondern auch die Weiterbeschäftigung von Leiharbeit-nehmern, die bereits vor Beginn der Arbeitskampfmaßnahme im normalen betrieblichen Ablauf eingesetzt worden sind.
Verbot der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung
Das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis soll künftig nur dann das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher verhindern, wenn sowohl in der Vereinbarung zwischen Entleiher und Verleiher als auch gegen-über den betroffenen Leiharbeitnehmern ausdrücklich von Arbeitnehmerüberlassung – und nicht etwa von Dienstleistung oder Beratung – die Rede ist. Damit wäre die bislang übliche Auffanglösung (vorsorgliche Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis als „Fallschirm“) für Grenzfälle, insbesondere im Bereich der IT-Beratung, gestorben. Der Referentenentwurf schließt sich insoweit der bisherigen Mindermeinung des LAG Baden-Württemberg an.
Der Verstoß gegen die Offenbarungspflicht führt zur Unwirksamkeit des Arbeitsvertrages des Leiharbeitnehmers und zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher. Zugleich fügt der Gesetzgeber ein Widerspruchsrecht für den Leiharbeitnehmer ein. Ihm wird die Möglichkeit eingeräumt, diesem gesetzlichen Übergang seines Arbeitsverhältnisses zu widersprechen und damit den Verbleib beim Verleiher sicher-zustellen. Aus Sicht des betroffenen Leiharbeitnehmers mag es fragwürdig sein, dass dieser Widerspruch nur binnen eines Monats nach Beginn der unzulässigen Überlassung ausgeübt werden kann. Zu diesem Zeitpunkt wird der Leiharbeitnehmer keinen Kündigungsschutz beim Entleiher genießen und kann auch ansonsten keine vernünftige Entscheidung treffen. Zugleich dürfte zu dem Zeitpunkt noch ein hinreichender Einfluss auf den Leiharbeitnehmer möglich sein, um ihm per Formularblatt die Ausübung dieses Widerspruchsrechtes na-he zu legen. Gerade IT-Beratern, die sich selbst als Berater sehen und nur von der Arbeitsagentur und den Sozialversicherungsträgern zu Leiharbeitnehmern „umqualifiziert“ werden, dürfte diese Wahlmöglichkeit entgegen kommen.
Verbot der Kettenüberlassung
Der Gesetzesentwurf sieht schließlich noch das Verbot der sogenannten Kettenüberlassung vor, d.h. eine Arbeitnehmer-überlassung darf immer nur vom Arbeitgeber des Leiharbeit-nehmers selbst vorgenommen werden. Der Verstoß gegen das Verbot der Kettenüberlassung führt allerdings nicht zu einem Arbeitsverhältnis des Leiharbeitnehmers mit dem End-Entleiher, sondern stellt für Ver- und Entleiher eine Ordnungswidrigkeit dar.
Herausnahme der Personalgestellung aus dem AÜG
Überdies sieht der Gesetzesentwurf in seinem neuen § 1 Abs. 3 AÜG eine erhebliche und verfassungsrechtlich bedenkliche Privilegierung der weit verbreiteten Personalgestellung im öffentlichen Dienst und bei den Kirchen und Religionsgemeinschaften vor. Dort soll das AÜG jedenfalls in den wesentlichen, die Privatwirtschaft beschränkenden Teilen nicht gelten.
Berücksichtigung bei Schwellenwerten in der Mitbestimmung
Die Rechtsprechung des BAG ist peu à peu dazu übergegangen, Leiharbeitnehmer bei Schwellenwerten zu berücksichtigen. Der Gesetzesentwurf sieht nun vor, dass diese Berücksichtigung nicht nur beim BetrVG, sondern auch bei den Mitbestimmungsgesetzen (Drittelbeteiligungsgesetz, Mitbestimmungsgesetz und Montan-Mitbestimmungsgesetz) gilt. Im Hinblick auf das geplante Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2017 sind Unternehmen und Konzerne, deren Belegschaft um den Schwellenwert schwankt, zu gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen aufgerufen. Umwandlungen in andere Gesellschaftsformen, z.B. unter Ausnutzung der SE als Rechtsform, bieten ebenso wie organisatorische Umstrukturierungen und Aufspaltungen von Gesellschaften Handlungsoptionen. Wünschenswert wäre außerdem eine gesetzliche Klarstellung zur Wahlberechtigung und Wählbarkeit der Leiharbeitnehmer im Ver- und Entleiherbetrieb. So sollte z.B. sichergestellt werden, dass das passive Wahlrecht nur in einem Betrieb besteht.
Festlegung der Abgrenzungskriterien von Arbeits- und Dienst-/Werkverträgen
Eine der umstrittensten Vorschriften des Erstentwurfs, der neu eingefügte § 611a BGB wurde entschärft. Der ursprünglich vorgesehene Kriterienkatalog zur Abgrenzung von Arbeits-, Dienst- und Werkvertrag wurde gestrichen. Die geänderte Entwurfsfassung normiert die von der Rechtsprechung entwickelte Definition des Arbeitnehmers.
Auch in seiner neuen Fassung ist § 611 a BGB jedoch nicht geeignet, seinen gesetzgeberischen Regelungszweck, missbräuchlichen Fremdpersonaleinsatz zu verhindern, zu erfüllen. Die Rechtssicherheit bei der Vertragsgestaltung wird nicht erhöht. Man wird abwarten müssen, wie die Rechtsprechung damit umgeht.