11.07.2018Fachbeitrag

BRX Update: State aid / Beihilferecht

Die Bekanntmachung der EU-Kommission zum Beihilfebegriff – Eine Übersicht

Als letzten Teil der 2012 gestarteten Initiative der “state aid modernization“ hat die EU-Kommission im Jahr 2016 ihre Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (2016/C 262/01) (im Folgenden: Bekanntmachung) veröffentlicht.

Die Bekanntmachung soll Hilfestellung zu der Frage geben, ob eine Förderung mit staatlichen Mitteln gemäß dem europäischen Recht eine unzulässige Beihilfe darstellt. Sie gibt die Rechtsprechung der europäischen Gerichte und die Entscheidungspraxis der EU-Kommission wieder und soll nationalen Gerichten und beihilfegewährenden Stellen, aber auch Unternehmen als Auslegungshilfe dienen, ob Fördermittel eine (unzulässige) staatliche Beihilfe darstellen, die nur aufgrund eines definierten politischen Ziels (z.B. Umweltschutz) als Ausnahme vom Grundsatz des Beihilfeverbots zulässig sind.

Tatbestandsmerkmale einer staatlichen Beihilfe

Eine unzulässige und damit verbotene Beilhilfe liegt dann vor, wenn alle fünf Tatbestandsmerkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt sind. Diese Tatbestandsmerkmale sind:

  • Gewährung eines Vorteils an Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben
  • Finanzierung aus staatlichen Mitteln
  • Begrenzung der Beihilfe auf bestimmte Sektoren, Regionen oder Unternehmen (Selektivität)
  • Verursachung einer zumindest potentiellen Wettbewerbsverzerrung sowie
  • Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels

Sind diese Tatbestandsmerkmale erfüllt, liegt eine unzulässige staatliche Beihilfe vor.
Sie kann jedoch als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden, wenn eine Ausnahmen greift, sie nach der Anmeldung bei der EU-Kommission vom Beihilfeverbot freigestellt wird oder unter die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung fällt.
Diese Herangehensweise der Prüfung aller Tatbestandsmerkmale einer Beihilfe erlaubt es einem Rechtsberater zu beurteilen, ob eine Förderung ohne weitere Prüfung möglicher Ausnahmen zulässig ist.
Während die Bekanntmachung bei einigen Aspekten hilfreiche Erläuterungen enthält, bleibt sie bei anderen unbestimmt, so dass eine rechtssichere Beurteilung in einigen Fällen nur schwer möglich ist. Dies hängt auch davon ab, ob Rechtsprechung zu den einzelnen Merkmalen, ihrer Auslegung und Wertung existiert oder nicht.

Gewährung eines Vorteils an Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben

Schwerpunkt des ersten Merkmals ist die Abgrenzung einer wirtschaftlichen von einer nicht-wirtschaftlichen Tätigkeit. Neben den allgemeinen Abgrenzungsmerkmalen der Rechtsprechung widmet sich die Bekanntmachung ausführlich den nicht-wirtschaftlichen Tätigkeiten „Soziale Sicherheit“, „Gesundheitsfürsorge“, „Bildungswesen und Forschungstätigkeiten“ sowie „Kultur und Erhaltung des kulturellen Erbes einschließlich Naturschutz“. Diese Bereiche, die nach erstem Eindruck hoheitlicher Natur sind, können in einigen Fällen wirtschaftliche Tätigkeiten beinhalten und unterfallen daher den Beihilferegeln. Hinzu kommt, dass sich die Ausgestaltung dieser Bereiche in den Mitgliedstaaten teilweise deutlich unterscheidet.
Auch die Prüfung des sog. Market Economy Operator Tests (MEOT) nimmt breiten Raum ein. Wenn sich die öffentliche Hand auf dem Markt wie ein marktwirtschaftlich handelnder Investor verhält, liegt keine Beihilfe vor, da keine Begünstigung gegeben ist.

Finanzierung aus staatlichen Mitteln

Das Tatbestandmerkmal der Finanzierung aus staatlichen Mitteln legt die EU-Kommission weit aus, indem sie die Herkunft der verwendeten Mittel für irrelevant hält, sondern auf die staatliche Kontrolle der Mittel abstellt. Auch in der aktuellen Entscheidung der EU-Kommission vom 28. Mai 2018 zur Netzentgeltbefreiung deutscher Unternehmen stellt die EU-Kommission darauf ab, dass der Staat den Umlagemechanismus per Verordnung festlegt und die Kontrolle über die (zwischen Privaten ausgetauschten) Einkünfte aus der Umlage nach § 19 StromNEV ausübt, auch wenn die Europäischen Gerichte dazu tendieren, diese weite Auslegung der EU-Kommission einzuschränken.

Begrenzung der Beihilfe auf bestimmte Sektoren, Regionen oder Unternehmen (Selektivität)

Beim Merkmal der Selektivität beschäftigt sich EU-Kommission ausführlich mit Steuerfragen, insbes. die Möglichkeit der Steueramnestie, des Steuervorbescheids und der Steuervergleiche. Die Selektivität ist immer im Kontext der Vorteilsgewährung zu betrachten, also ob ein Beihilfeempfänger selektiv einen Vorteil erlangt, der nicht allgemein verfügbar ist.

Zumindest potentielle Wettbewerbsverzerrung

Vom Grundsatz her kann jede Gewährung eines finanziellen Vorteils, der einem Unternehmen gewährt wird, den Wettbewerb verfälschen. Nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen schließt die EU-Kommission eine Wettbewerbsverfälschung aus. Da Beihilfen – anders als andere Gebiete des europäischen Wettbewerbsrechts – nicht einer ökonomischen Analyse unterliegen, sollte dieses Merkmal nicht herangezogen werden, um eine Beihilfe auszuschließen.

Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels

Auch die Anforderungen an das Merkmal Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels sind gering. Insbesondere schließen geringe Höhe einer Beihilfe oder die geringe Größe des Unternehmens eine Beihilfe nicht aus. Obwohl rein lokale Sachverhalte regelmäßig keine Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel haben, kann der dafür erforderliche Nachweis nur anhand zahlreicher Indizien geführt werden, was zu einem großen Aufwand führt, um Rechtssicherheit zu erlangen.

Infrastrukturfinanzierung

In der Bekanntmachung widmet die EU-Kommission noch einige Seiten dem Thema der Infrastrukturfinanzierung. Die zunehmende Marktliberalisierung und Privatisierung ehemals ausschließlich staatlich finanzierter Infrastruktur ((Flug-)Häfen, Breitband-, Energie oder Forschungsinfrastruktur) hat zu einem Umdenken geführt. Eine staatliche Finanzierung von Infrastruktur ist weiterhin möglich, allerdings muss der private Betreiber ein marktübliches Entgelt für die Nutzung zahlen.

Fazit

Insgesamt stellt die Bekanntmachung eine gute Übersicht insbesondere über die Rechtsprechung der Europäischen Gerichte und teilweise auch der Entscheidungspraxis der EU-Kommission dar. Allerdings möchte die EU-Kommission bei einigen Merkmalen die Situation im spezifischen Mitgliedstaat für eine Bewertung berücksichtigen. Dies erhöht den Begründungsaufwand erheblich, wenn Rechtsprechung der Europäischen Gerichte auf Sachverhalte in anderen Mitgliedsstaaten übertragen werden soll.

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