Update Compliance 4/2017
EGMR: Durchsuchungen aufgrund einer rechtswidrig erlangten Steuer-CD sind zulässig
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erachtet eine Durchsuchungsmaßnahme aufgrund von einer angekauften „Steuer-CD“ für zulässig. Damit befindet er sich auf einer Linie mit dem Bundesverfassungsgericht.
Dem EGMR lag folgender Sachverhalt zur Entscheidung vor: Im Rahmen eines Steuerstrafverfahrens wurde im Jahr 2008 die Wohnung eines deutschen Ehepaares durchsucht. Der für den Durchsuchungsbeschluss erforderliche hinreichende Tatverdacht stützte sich auf Bankdaten, die der Bundesnachrichtendienst im Wege der Amtshilfe erlangte und den deutschen Finanzbehörden zur Verfügung stellte. Ein Mitarbeiter der Bank in Liechtenstein hatte die Daten zuvor illegal erlangt.
Das Ehepaar, das in der Hauptsache freigesprochen wurde, ging gegen den Durchsuchungsbeschluss zunächst im Wege der Beschwerde beim Landgericht Bochum vor. Sowohl diese als auch die spätere Verfassungsbeschwerde beim BVerfG blieben erfolglos. Das BVerfG (Beschl. v. 09.11.2010, Az. 2 BvR 2101/09) hatte festgestellt, dass auch rechtswidrig erlangte Beweismittel im Einzelfall verwendet werden dürfen. Die von dem Informanten begangene Straftat dürfe bei der Beurteilung eines möglichen Verwertungsverbotes ebenso wenig berücksichtigt werden wie die mögliche Strafbarkeit von Amtsträgern im Zusammenhang mit dem Ankauf der Steuer-CD.
Der EGMR bestätigte nun, dass die Eheleute nicht in ihrem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK verletzt worden seien (Urt. v. 06.10.2016, Az. 33696/11). Die zwar erfolgte Beeinträchtigung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK sei gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt gewesen. Insbesondere betonte der EGMR, dass die Durchsuchung verhältnismäßig gewesen sei:
- Der Richtervorbehalt sowie daran anknüpfende Instrumentarien des deutschen Gesetzgebers und der Rechtsprechung böten einen hinreichenden Schutz vor missbräuchlichen Durchsuchungsmaßnahmen.
- Bei der Steuerhinterziehung handele es sich um eine „schwere Straftat“.
- Die auf der Steuer-CD befindlichen Daten seien lediglich im Ermittlungsverfahren gegen die Eheleute verwendet worden.
- Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Behörden absichtlich und systematisch Gesetze gebrochen hätten.
Dem stehe auch ein rechtswidriges Verhalten des Informanten nicht entgegen. Die vorliegende Steuer-CD sei lediglich als Begleitfolge dieser Straftat anzusehen.
Praxishinweis: Sowohl das BVerfG als auch der EGMR haben sich nicht abschließend zu der Frage geäußert, wie der Erwerb von Steuer-CDs durch den Staat rechtlich einzuordnen ist und wie diese durch Behörden verwendet werden dürfen. Zudem geht keine der beiden Entscheidungen auf die Frage ein, ob die auf den Steuer-CDs befindlichen Daten auch im Rahmen eines Hauptverfahrens verwendet werden dürften. Vielmehr handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung für einen Zeitraum, in dem es noch keine einschlägige Rechtsprechung zu dem Thema Datenkauf durch Behörden gab.
Insbesondere in den jüngeren Fallkonstellationen bleibt abzuwarten, ob eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ebenfalls zugunsten des Staates ausfallen wird. Konsequenterweise müsste bei einer zielgerichteten Datenbeschaffung durch den Staat mit der Inaussichtstellung von Zahlungen für den Informanten die Verhältnismäßigkeitsprüfung zu Lasten des Staates ausfallen. Andererseits hat der Gesetzgeber im Rahmen der Neuschaffung des Straftatbestandes der Datenhehlerei (§ 202d StGB) im Jahr 2016 klargestellt, dass der Ankauf von steuerrechtlich relevanten Daten durch Amtsträger und deren Beauftragten zumindest nicht von dem Anwendungsbereich des § 202 d StGB erfasst wird (sog. „Tatbestandsausschluss“).
Für von Steuerstrafverfahren Betroffene bedeutet dies, dass sie trotz der jüngsten Rechtsprechung in Erwägung ziehen sollten, bereits gegen erste Ermittlungsmaßnahmen gerichtlich vorzugehen, sofern diese auf den Daten von Steuer-CDs beruhen.
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