30.05.2018Fachbeitrag

zuerst erschienen in Personalführung 5/2018

Frisch gewählt und neu geschult: Die häufigsten Streitpunkte bei Betriebsratsschulungen

Zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten kommt es immer wieder im Zusammenhang mit Betriebsratsschulungen
zu Streit. Das gilt ganz besonders in der Zeit unmittelbar vor und nach den Betriebsratswahlen. Dabei geht es in der Regel häufig um Fragen der Erforderlichkeit, der Anspruchsgrundlage und der Kostenübernahme.

Neu gewählte Betriebsräte wollen sich schnellstmöglich „up to speed“ bringen, altgediente Betriebsratsmitglieder wollen sich gegebenenfalls in der Angst vor der Nichtwahl vor der Wahl noch mal schnell eine Schulung „gönnen“. Grund genug, dem Thema nochmals nachzugehen und die häufigsten Streitpunkte zu erläutern:

Schulungsanspruch von Betriebsrat und Betriebsratmitgliedern

Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) unterscheidet strikt zwischen einerseits dem Schulungsanspruch des Betriebsratsgremiums (§ 37 Abs. 6 BetrVG) und dem Schulungsanspruch des einzelnen Betriebsratsmitglieds (§ 37 Abs. 7 BetrVG) andererseits. Beide Anspruchsgrundlagen unterscheiden sich in zentralen Punkten:

Schulungen nach § 37 Abs. 6

1. müssen Kenntnisse vermitteln, die  

  • sich auf die Aufgaben des Betriebsrates beziehen,
  • für die Betriebsratsarbeit erforderlichsind, wobei die konkreten Verhältnisse im Betrieb beachtet werden müssen: „Die Schulung muss für die sach- und fachgerechte Erfüllung der gegenwärtigen oder in naher Zukunft anstehenden Aufgaben des Betriebsrats notwendig sein.“

2. müssen durch Beschluss des Betriebsratsgremiums einem oder mehreren Betriebsratsmitgliedern (nicht Ersatzmitglieder!) zugewiesen sein.

3. Der Arbeitgeber trägt die Kosten, das heißt Entgeltfortzahlung (evtl. Freizeitausgleich, inkl. Pausen-, Wege-, Fahrt- und Reisezeiten), Reise-, Übernachtungs- und Schulungskosten im Rahmen der Verhältnismäßigkeit.

Schulungen nach § 37 Abs. 7

  • müssen „anerkannt“ sein,
  • müssen Kenntnisse vermitteln, die für die Betriebsratsarbeit geeignet / dienlich sind,
  • können von jedem einzelnen Betriebsratsmitglied (nicht Ersatzmitglieder!) beansprucht werden.
  • Die Dauer beträgt je Betriebsratsmitglied drei Wochen je Amtszeit (bei erstmaliger Amtszeit vier Wochen).
  • Der Arbeitgeber trägt „nur“ die Kosten der Entgeltfortzahlung und eventuell Freizeitausgleich.

 

Ein Beispiel aus dem betrieblichen Alltag mag das Vorgesagte verdeutlichen: Ein Betriebsratsmitglied möchte an einem Seminar zur Verhandlungsführung teilnehmen, welches in den Sommermonaten auf Rügen angeboten wird. Erforderlich ist ein solches Seminar nicht; der Arbeitgeber muss also keinesfalls die Kosten des Seminars übernehmen – ein Fall von § 37 Abs. 6 BetrVG liegt nicht vor. Allerdings ist ein solches Seminar durchaus dienlich für die Betriebsratsarbeit (beispielsweise für den Betriebsratsvorsitzenden). Das Betriebsratsmitglied kann also, sofern das konkrete Seminar von der zuständigen Behörde „anerkannt“ ist, nach § 37 Abs. 7 BetrVG seine (bezahlte) Freistellung für die Dauer des Seminars beanspruchen.

Betriebsratsmitglieder können mehr als drei Wochen Schulung beanspruchen. Beide Ansprüche stehen nebeneinander; eine Schulungshöchstgrenze von drei Wochen je Betriebsratsmitglied (vier Wochen bei neu gewählten Betriebsratsmitgliedern) gibt es daher entgegen weit verbreiteter Auffassung nicht. Der Betriebsrat beziehungsweise das einzelne Mitglied können vom Arbeitgeber auch nicht dazu gezwungen werden, zunächst den Anspruch nach Abs. 7 zu verbrauchen, bevor Schulungsmaßnahmen nach Abs. 6 beschlossen werden. Nur der Vollständigkeit halber sei hier darauf hingewiesen, dass ein Betriebsratsmitglied die nicht genommenen Schulungen nicht etwa auf eine weitere Amtsperiode übertragen kann. Der Anspruch nach § 37 Abs. 7 BetrVG erlischt mit der Amtszeit.

Schulungskosten

Nicht zuletzt die Kosten der einzelnen oder gesammelten Schulungen sorgen häufig für Auseinandersetzungen im Betrieb. Muss der Betriebsrat unbedingt nach Rügen? Müssen unbedingt vier Mitglieder zu einer teuren Fortbildung? Muss das Vier-Sterne- Hotel gebucht werden? Ist eine Übernachtung überhaupt erforderlich?

Das Gesetz gibt den Betriebspartnern zur Entscheidung dieser drängenden Fragen nur ein vages Kriterium an die Hand. Sofern die weiteren Voraussetzungen des § 37 Abs. 6 BetrVG vorliegen, hat der Arbeitgeber die über die Entgeltfortzahlung hinausgehenden erforderlichen Kosten zu tragen. An dem Maßstab der Erforderlichkeit
sind alle Teilaspekte zu messen:

  • Muss das Seminar überhaupt sein?
  • Müssen so viele Betriebsratsmitglieder daran teilnehmen?
  • Muss dies genau während der Zeit der Jahresabschlussarbeiten sein?
  • Tut eine Reise not? Oder könnte der Referent nicht eingeladen werden?
  • Wie wird gereist (Bahn, Auto, Taxi, Flug etc.)?
  • Wo wird genächtigt?
  • Sind die ersparten Eigenaufwendungen abgezogen?
  • Muss es dieses Seminar mit den Kosten sein?
  • Muss das Seminar an Ort X gebucht werden oder wäre das gleiche Seminar bei demselben Anbieter zwei Monate später an einem näher gelegenen Ort nicht genauso gut?

Die Grenze der Erforderlichkeit bedeutet aber nicht zwingend, dass der Betriebsrat unter mehreren Anbietern immer den günstigsten auswählen müsste. Etwas anderes gilt, wenn die unterschiedlichen Anbieter beziehungsweise Schulungsmaßnahmen qualitativ gleichwertig sind. Dann muss der Betriebsrat den günstigsten wählen. Andernfalls muss er darlegen, dass einer der beiden Anbieter schlechter ist. Die Reise- und Übernachtungskosten für ein Seminar sind dann nicht erforderlich und auch nicht verhältnismäßig, wenn dasselbe oder ein ähnliches und qualitativ gleichwertiges Seminar an einem näher am Betrieb beziehungsweise dem Wohnort des Betriebsratsmitglieds gelegenen Ort angeboten wird, dort noch Plätze verfügbar sind und das Seminar noch „rechtzeitig“ käme. Das Internet eröffnet dem findigen Personaler insoweit ein sehr hilfreiches Tool für den Umgang mit Schulungswünschen des Betriebsrats.

Nicht erforderlich und demnach auch nicht von der Arbeitgeberseite zu zahlen sind die Kosten von Seminaren, die noch schnell vor Ende der Amtsperiode belegt werden, damit die Schulungsansprüche nicht „verfallen“. Der Betriebsrat und dessen einzelnen Mitglieder sind insoweit verpflichtet, die Kosteninteressen des Arbeitgebers zu berücksichtigen.

Die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers beschränkt sich auf die zur Schulung erforderlichen Kostenblöcke, also Miete des Seminarraums, Arbeitsmittel, Referentenhonorar, Reise- und Übernachtungskosten von Referent und Teilnehmer et cetera. Nicht vom Arbeitgeber zu übernehmen ist die Verpflegung der Seminarteilnehmer, insbesondere für den abendlichen Besuch der Hotelbar (oder Minibar) sowie Frühstück und Mittagessen. Sofern der Tagungsbeitrag dies nicht ausweist, kann die Aufschlüsselung der Kostenbestandteile verlangt werden. Solange diese Aufschlüsselung nicht vorgelegt wird, besteht keine Zahlungspflicht für den Arbeitgeber.

Genehmigungspflichtig?

Der Arbeitgeber muss die Betriebsratsseminare nicht (vorab) genehmigen. Der Betriebsrat kann hier selbst entscheiden. Er muss nicht auf die Genehmigung des Arbeitgebers warten; er muss auch nicht die Vergabegrundsätze der Einkaufsabteilungen berücksichtigen und zig Vergleichsangebote einholen. Aber: Genehmigt der Arbeitgeber nicht vorab, muss das einzelne Betriebsratsmitglied selbst und aus eigener Tasche in Vorleistung gehen; es trägt dann das Risiko, auf den Kosten sitzen zu bleiben. Das ist, auch in den Augen des BAG, kein Verstoß gegen die vertrauensvolle Zusammenarbeit, sondern kennzeichnend für eine freie Gesellschaft wie die unsere: Zur Not muss eben jeder für die eigenen Entscheidungen geradestehen und die Konsequenzen falscher Entscheidungen (also die Kosten zu teurer und unnötiger Seminare) tragen.

Praxistipp – Checken Sie!

  • Günstigere Konkurrenzanbieter;
  • die vom Schulungsträger angebotenen Seminarorte und –zeitpunkte – häufig gibt es dasselbe Seminar in Ihrer Nähe;
  • die Möglichkeit, einen Referenten für eine Veranstaltung bei Ihnen zu engagieren (Reise- und Übernachtungskosten fallen nur einmal an);
  • ob das Betriebsratsmitglied dasselbe oder ein sehr ähnliches Seminar schon einmal besucht hat und
  • ob die Rechnung die einzelnen Kostenblöcke sauber aufschlüsselt.

 

Informationspolitik

Wegen der Vielzahl der dahingehenden Fragen in der Beratungspraxis sei der Hinweis erlaubt, dass der Arbeitgeber gegen die Grundsätze der vertrauensvollen Zusammenarbeit verstößt, wenn er die Belegschaft über die Kosten der Betriebsratsschulungen mit der Absicht informiert, den Betriebsrat zu desavouieren. Nach der Rechtsprechung soll eine neutrale Information grundsätzlich zulässig sein; die Arbeitsg Arbeitsgerichte unterstellen aber oft böse Absicht, gerade wenn die Information durch den Arbeitgeber „proaktiv“ erfolgt.

Jährliches Schulungsbudget?

Alle Bereiche innerhalb eines Unternehmens müssen sich dem Budgetzwang unterziehen. Das wirft die Frage auf, ob dies nicht auch für den Betriebsrat gilt beziehungsweise
vereinbart werden kann. Die Antwort ist ein klares anwaltliches „Jein, es kommt darauf an“.

Der Vereinbarung eines jährlichen Schulungsbudgets für den Betriebsrat – nicht aber der arbeitgeberseitigen Vorgabe – steht zunächst einmal nichts im Wege. Auf diese Weise werden die Betriebsratskosten häufig nicht nur planbarer; auch das Verhältnis zwischen Betriebsrat und Arbeitgeberseite verbessert sich zumeist. Wenn ein Budget ausgeschöpft werden kann, werden die täglichen Auseinandersetzungen um das Klein-Klein von Betriebsratsschulungen (Rügen oder Herne?) vermieden. Durch die Übertragung von Budgetverantwortung fühlen sich Betriebsräte häufig aufgewertet und endlich der „Gängelung“ durch den Personalleiter entzogen. Die betriebliche Praxis zeigt, dass die Einrichtung eines Schulungsbudgets zumindest nach kurzer Zeit erstaunlicherweise für einen Rückgang der Schulungskosten sorgt. Aus all diesen Gründen ist die Vereinbarung eines jährlichen Schulungsbudgets oft sinnvoll und ratsam.

Dagegen spricht jedoch eine Überlegung: Wenn das Budget verbraucht ist und der Betriebsrat sodann dennoch eine erforderliche Schulung nach § 37 Abs. 6 BetrVG beschließt, kann der Arbeitgeber dem nicht unter Hinweis auf das verbrauchte Budget entgegentreten. Der Arbeitgeber muss sich bei Vereinbarung des Budgets also bewusst darüber sein, dass er den Betriebsrat nicht auf das Budget festlegen kann. Wer dieses Risiko, das sich ja nicht von der Situation ohne Budget unterscheidet, in Kauf nimmt, der sollte mit dem Betriebsrat über ein Schulungsbudget verhandeln.

Festlegung der zeitlichen Lage und Einbindung des Arbeitgebers

Das Gesetz fordert vom Betriebsrat, den Arbeitgeber rechtzeitig über geplante Schulungen zu unterrichten. Wie so oft regelt das Gesetz keine klare Frist und keine eindeutigen Anforderungen an den Inhalt der Unterrichtung. Nach wohl überwiegender Meinung führt das Versäumnis, den Arbeitgeber überhaupt über die Schulung unterrichtetzu haben, nicht zum Verlust der Kostenübernahme - und Entgeltfortzahlungsansprüche gegen den Arbeitsgeber. Ein wiederholter Verstoß soll allenfalls durch § 23 Abs. 3 BetrVG sanktioniert werden. Der Betriebsrat sollte den Arbeitsgeber aber spätestens drei bis vier Wochen vor der Schulung dadrüber unterichten, welches Mitglied an welcher Schulung (Ort, Zeit, Anbieter, Thema, osten) teilnehmen soll. Der Arbeitgeber kann nach Erhalt einer solchen Information die Einigungsstelle anrufen, wenn er meint, dass bei der Entscheidung des Betriebsrats betriebliche Notwenidkeiten (das Betriebsratsmitglied wird dringend für Tätigkeiten im Betrieb benötigt) nicht hineichend berücksichtigt wurden. Die Einigungsstelle entscheidet dann bindend über diese Frage, nicht aber über die Bewertung der Schulung als solcher nach § 37 Abs. 6 oder 7 BetrVG.

Während die überwiegende Meinung dem Betriebsrat mangels gesetzlicher Regelung keine Fristen auferlegen wil, tendieren manche Gerichte dazu, das Einverständis des Arbeitgebers zu fingieren, wenn er nicht binnen 14 Tagen nach Information durch den Betriebsrat die Einigungsstelle anruft. Dass das Gesetz auch für den Areitsgeber eine solche Frist nicht vorsieht, scheint dabei nicht zu stören. Zur Vermeidung unnötiger Streitigkeiten zwischen Arbeitsgebern und Betriebsräten ist es sehr ratsam, wenn sich beide Parteien - etwa durch eine Regelungsabrede - zur Einhaltung eines bestimmten Verfahrens mit festgelegten Fristen und Inhaltsanforderungen verpflichten.

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