17.04.2020Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht April 2020

In welchem Umfang ist der Arbeitgeber aus Fürsorgepflicht verpflichtet, seine Arbeitnehmer zu schützen?

Nach den Osterfeiertagen, die von leeren Straßen und Zügen geprägt waren, rückt die Debatte über eine allmähliche Lockerung der Einschränkungen, auch aufgrund der durch Leopoldina veröffentlichten Studie, in den Vordergrund. Am Mittwoch, den 15. April, haben sich Bund und Länder auf eine minimale Lockerung der Einschränkungen einigen können. Gebannt ist die von Corona bewirkte Gefahr jedoch noch nicht. Die von allen Bundesländern beschlossenen Rechtsverordnungen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) – insbesondere die darin enthaltenen Regelungen zu Abstandsgeboten und Ansammlungsverboten – behalten bis mindestens Ende der Woche und voraussichtlich darüber hinaus wohl, trotz einiger mit Spannung zu erwartender Veränderungen, im Wesentlichen ihre Gültigkeit. Zudem wurde am Donnerstag, den 16. April, der „Arbeitsschutzstandard Covid 19“ vorgestellt. Ein Verstoß gegen die Verordnung oder gegen die Standards kann nicht zuletzt Konsequenzen auf arbeitsrechtlicher Ebene nach sich ziehen.  

Die von den Bundesländern getroffenen Regelungen sind von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. So gilt in Bayern der Mindestabstand zwischen zwei Personen überall dort, wo dies möglich ist, mithin auch im privaten Raum und insbesondere in Unternehmen. Die Einigung der Länder und des Bundes bezieht sich jedoch nur auf den öffentlichen Raum. Der Arbeitsschutzstandard stellt jedoch klar, dass der Abstand von 1,50 m auch auf der Arbeit eingehalten werden muss. Auch wenn viele Betriebe der von Corona hervorgerufenen Gefahr durch die Ermöglichung des Home Office entgegenwirken, so ist dies nicht für alle Unternehmen, die geeignete Lösung. Für Arbeitnehmer aus Produktionsbetrieben ist es schlichtweg unmöglich, ihre Arbeit von zu Hause erledigen. Es kann daher nur jedem Arbeitgeber dazu geraten werden, die jeweils geltenden Beschränkungen und Vorgaben zu kennen und zu erfüllen.

„Arbeitsschutzstandard Covid 19“

Mit dem „Arbeitsschutzstandard Covid 19“ werden bundesweit einheitliche und verbindliche Standards zum Arbeitsschutz in Zeiten von Corona formuliert. Ihre Einhaltung soll die Voraussetzung für eine Rückkehr zur Vorkrisen-Leistung ohne weitere Rückschläge schaffen. Die Standards sollen dem Pandemieverlauf dynamisch angepasst werden. Die Standards sehen u.a. folgende Maßnahmen vor: Wie bereits erwähnt, ist der Sicherheitsabstand von 1,50 m auch im Arbeitsumfeld einzuhalten. Wo dies nicht möglich ist, sollen (transparente) Trennwände Abhilfe schaffen. Ist auch deren Aufstellung nicht möglich, so ist der Arbeitgeber angehalten, den betroffenen Arbeitnehmern Mund-Nase-Bedeckungen zur Verfügung zu stellen. Die Arbeitsabläufe sollen so organisiert werden, dass die Arbeitnehmer möglichst wenig in direkten Kontakt miteinander kommen. Bei erkennbaren Symptomen wie Fieber, Erkältungsanzeichen oder Atemnot muss der Arbeitnehmer den Arbeitsplatz umgehend verlassen darf ihn bis zu einer ärztlichen Entwarnung nicht betreten. Zudem sind Waschgelegenheiten und Desinfektionsspender, insbesondere an den Ein- und Ausgängen und in der Nähe der Arbeitsplätze, bereitzustellen und auf eine verbindliche Einhaltung der „Niesetikette“ zu achten. Die Reinigungsintervalle sollten verkürzt werden. Schließlich sollen vom Arbeitgeber erforderliche individuelle Schutzmaßnahmen für Risikogruppen getroffen werden und betriebliche Routinen zur Pandemievorsorge erarbeitet werden.  

Die Fürsorgepflicht

Eine regelkonforme Organisation der Arbeitsstruktur ist aber nicht nur angesichts der aktuell geltenden Beschränkungen und Standards erforderlich. Der Arbeitgeber hat nämlich gegenüber seinen Arbeitnehmern eine Fürsorgepflicht, die sich als Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag ergibt (§ 618 BGB). Dementsprechend ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitsräume und -abläufe so zu organisieren, dass der Arbeitnehmer soweit wie möglich gegen Gefahren für Leben und Gesundheit geschützt ist. Der Arbeitgeber muss also nicht nur die bereits bestehenden, und durch den „Arbeitsschutzstandard Covid 19“weiterentwickelten Vorschriften zum Arbeitsschutz einhalten und umsetzen, sondern in der aktuellen Zeit auch die im betreffenden Bundesland geltenden Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung des Corona-Virus beachten. 

Zurückbehaltungsrecht der Arbeitnehmer

Ein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht kann dazu führen, dass die Arbeitnehmer, sollte der Arbeitgeber seinen Pflichten trotz einer entsprechenden Aufforderung weiterhin nicht nachkommen, als äußerste Maßnahme ihre Arbeitsleistung bis zur Behebung des Verstoßes zurückbehalten können. Noch einschneidender für den Arbeitgeber: Die Arbeitnehmer verlieren ihren Anspruch auf Vergütung nicht. Im Ansatz besteht dieses Leistungsverweigerungsrecht zwar nur, wenn ein Arbeitgeber gar keine oder völlig unzureichende Schutzmaßnahmen trifft. Bei einem Verstoß gegen die geltenden Kontaktbeschränkungen gilt jedoch anderes, da es sich um öffentlich-rechtliche Vorschriften handelt, die bestimmte Maßnahmen vorschreiben. Hier ist der Arbeitgeber zur Umsetzung konkreter Abstandsgebote verpflichtet. 

Haftung des Arbeitgebers bei Ansteckung

Zudem kann eine Nichteinhaltung bzw. Nichteinrichtung der behördlichen Abstandsgebote dazu führen, dass der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer, im Falle einer Ansteckung mit dem Virus, aus § 280 Abs. 1 BGB für die dem Arbeitnehmer aus der Erkrankung entstandenen Schäden haften muss. Für die Durchsetzung eines solchen Anspruchs muss der Arbeitnehmer lediglich seinen Schaden sowie einen objektiv ordnungswidrigen Zustand darlegen und ggf. beweisen. Dabei muss der Zustand geeignet gewesen sein, den konkret eingetretenen Schaden herbeizuführen. Der Arbeitgeber kann sich der Haftung dann nur entziehen, wenn er beweisen kann, dass ihn gar kein Verschulden trifft oder der beanstandete Zustand den Schaden nicht verursacht hat. Nachdem die „Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung“ (DGUV) nun erklärt hat, dass sie davon ausgehe, dass eine Ansteckung mit dem Corona-Virus keinen Arbeitsunfall darstelle, ist mit einer Nichtanwendung der Haftungsbeschränkung gem. § 104 SBG VII zu rechnen. Nach dieser Vorschrift entfällt die Haftung des Arbeitgebers für einen Arbeitsunfall des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber nur fahrlässig gehandelt hat. Es ist davon auszugehen, dass die Gerichte der Ansicht der DGUV folgen werden. Sie führt zutreffend aus, dass es sich aufgrund der Einstufung als Pandemie bei der Erkrankung um eine Allgemeingefahr handele. 

Fazit

Insbesondere vor dem Hintergrund der unmittelbar bevorstehenden, wenn auch begrenzten, Öffnung des Einzelhandels ist eine genaueste Auseinandersetzung mit den in dem jeweiligen Bundesland geltenden Beschränkungen sowie der Richtlinien der Bundesregierung und der WHO für jeden Arbeitgeber in diesen Zeiten dringend erforderlich. Wer jetzt geeignete Maßnahmen ergreift, sichert sich gegen arbeitsrechtliche Risiken ab und antizipiert künftige Auflagen der Behörden.

Als PDF herunterladen

Ansprechpartner

Sie benutzen aktuell einen veralteten und nicht mehr unterstützten Browser (Internet-Explorer). Um Ihnen die beste Benutzererfahrung zu gewährleisten und mögliche Probleme zu ersparen, empfehlen wir Ihnen einen moderneren Browser zu benutzen.