Update Arbeitsrecht April 2022
Kein einklagbarer Anspruch auf Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements
Arbeitnehmer haben gegenüber ihrem Arbeitgeber keinen einklagbaren Anspruch auf Einleitung und Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 167 Abs. 2 SGB IX
Sachverhalt
Zwischen dem Kläger, der mit einem Grad der Behinderung von 30 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist, und der Beklagten besteht seit dem 3. Juli 2000 ein Arbeitsverhältnis. Nachdem der Kläger im Jahr 2018 an 122 und im Jahr 2019 an 86 Arbeitstagen krankheitsbedingt arbeitsunfähig war, forderte er die Beklagte schriftlich dazu auf, mit ihm ein betriebliches Eingliederungsmanagement gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX durchzuführen. Der Kläger begründete sein Begehren damit, dass die Vorschrift des § 167 Abs. 2 SGB IX in Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB für Arbeitnehmer einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Einleitung und Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements gegenüber dem Arbeitgeber begründe.
Die Beklagte vertrat die gegenteilige Auffassung, dass für einen Arbeitgeber nach § 167 Abs. 2 SGB IX zwar die gesetzliche Pflicht bestehe, ein betriebliches Eingliederungsmanagement einzuleiten und durchzuführen, wenn ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig ist, der Arbeitnehmer hierauf aber keinen eigenen, gerichtlich durchsetzbaren Anspruch habe und demnach ein solches auch nicht verlangen könne.
Entscheidung
Nachdem der Kläger erstinstanzlich vor dem Arbeitsgericht noch obsiegt hatte, hat das Landesarbeitsgericht in der Berufungsinstanz die Klage, soweit der Kläger die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements verlangt, als unzulässig und im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Das klägerische Revisionsverfahren vor dem Bundesarbeitsgericht hatte ebenfalls keinen Erfolg.
Das Bundesarbeitsgericht ist der Auffassung, dass die Klage unbegründet sei, weil der Kläger als Arbeitnehmer gegenüber der Beklagten als Arbeitgeberin keinen Anspruch auf Einleitung und Durchführung eines betrieblichen Wiedereingliederungsmanagements aus § 167 Abs. 2 SGB IX habe. Dies folge bereits aus einer Auslegung des § 167 Abs. 2 SGB IX anhand des Wortlauts sowie der Systematik der Bestimmung.
Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 167 Abs. 2 SGB IX, dass nur die zuständige Interessenvertretung sowie bei schwerbehinderten Menschen auch die Schwerbehindertenvertretung über die dem Arbeitgeber obliegenden Verpflichtungen aus dem SGB IX wachen und diesem gegenüber die gebotene Klärung verlangen können. Das Recht, vom Arbeitgeber ein Tun oder Unterlassen zu verlangen – wie ein Anspruch in § 194 Abs. 1 BGB legaldefiniert ist – stehe daher bereits nach dem Wortlaut allenfalls der Interessen- oder Schwerbehindertenvertretung, nicht aber dem einzelnen Arbeitnehmer zu.
Dieses am Wortlaut orientierte Auslegungsergebnis ergebe sich nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts auch aus der Systematik des SGB IX. Denn Teil 3 des Kapitel 3 des SGB IX unterscheidet zwischen sonstigen Pflichten der Arbeitgeber und Rechten der Arbeitnehmer, womit das Gesetz zum Ausdruck bringe, dass nicht jeder Pflicht eines Arbeitgebers nach dem SGB IX auch ein einklagbarer Anspruch eines Arbeitnehmers gegenüberstehe. Sofern einem Arbeitnehmer nach dem SGB IX ein einklagbarer Anspruch zukommen solle, sind diese – wie bspw. in § 164 Abs. 4 SGB IX – auch ausdrücklich als solche im Gesetz bezeichnet.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Begründung des Gesetzgebers, der zu dieser Thematik in seiner Gesetzesbegründung keine Ausführungen gemacht hat.
Praxistipp
Wenngleich das Bundesarbeitsgericht klarstellt, dass der einzelne Arbeitnehmer keinen einklagbaren Anspruch auf Einleitung und Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements gegenüber seinem Arbeitgeber hat, ist einem Arbeitgeber gleichwohl zu empfehlen, ein solches durchzuführen, wenn die Voraussetzungen aus § 164 Abs. 2 SGB IX vorliegen.
Sollte sich der Arbeitgeber zu einem späteren Zeitpunkt zu einer personenbedingten Kündigung wegen langanhaltender oder wiederholter krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit entschließen, ohne vorher hinsichtlich dieses Arbeitnehmers erfolglos ein betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 167 Abs. 2 SGB IX eingeleitet und durchgeführt zu haben, bestünde die hohe Wahrscheinlichkeit, dass einer hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage mangels Verhältnismäßigkeit der Kündigung stattgegeben wird, weil eine solche wegen krankheitsbedingter Ursachen nur als ultima ratio ausgesprochen werden kann. Wurde vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt, ist es dem Arbeitgeber meist nicht möglich, seiner erhöhten Darlegungs- und Beweislast in ausreichendem Maße nachzukommen, dass mildere Mittel als die Kündigung nicht vorhanden waren.
Auch wenn der einzelne Arbeitnehmer keinen einklagbaren Anspruch auf Einleitung und Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements hat, ist Arbeitgebern deshalb gleichwohl zu empfehlen, ein solches einzuleiten und durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig ist. Hierdurch kämen sie einerseits ihrer gesetzlichen Verpflichtung aus § 167 Abs. 2 SGB IX nach und erhöhen andererseits die Erfolgschancen einer später ggf. noch auszusprechenden krankheitsbedingten Kündigung.