29.01.2021FachbeitragCorona

Update Arbeitsrecht Januar 2021

Keine Kurzarbeit ohne wirksame Vereinbarung

ArbG Siegburg 11.11.2020 – 4 Ca 1240/20

Kurzarbeit ist aufgrund des Corona-Infektionsgeschehens in vielen Wirtschaftszweigen nach wie vor allgegenwärtig. Eine aktuelle Entscheidung des Arbeitsgerichts Siegburg verdeutlicht nun einmal mehr, dass die Anordnung und Durchführung von Kurzarbeit in arbeitsrechtlicher Hinsicht sorgfältiger Vorbereitung auf Unternehmensseite bedarf, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden. Zwingend erforderlich ist eine taugliche Rechtsgrundlage für die Anordnung von Kurzarbeit, die in einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung oder in entsprechenden Regelungen eines Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung liegen kann. Liegt eine solche Rechtsgrundlage nicht vor, ist die Anordnung von Kurzarbeit unwirksam. Die betroffenen Arbeitnehmer können in diesen Fällen regelmäßig auch für die Phasen verkürzter Arbeitszeit die volle Vergütung verlangen, sodass das Ziel der Kurzarbeit – die wirtschaftliche Entlastung des Unternehmens durch Senkung der Personalkosten – verfehlt wird.

SACHVERHALT

Der klagende Arbeitnehmer war bei dem beklagten Unternehmen als Omnibusfahrer zu einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von EUR 2.100,00 beschäftigt. Ein Betriebsrat im beklagten Unternehmen bestand nicht. Mit Schreiben vom 16. März 2020 teilte das beklagte Unternehmen dem Kläger – neben dem Ausspruch einer Abmahnung – mit, dass Kurzarbeit in verschiedenen Bereichen des Betriebes angemeldet werden müsse und dass der Kläger „zunächst in der Woche vom 23. März bis zum 28. März 2020“ für Kurzarbeit vorgesehen sei. Eine gesonderte Kurzarbeitsvereinbarung wurde mit dem Kläger nicht geschlossen. Der Kläger bot der Beklagten nach Erhalt des Schreibens seine volle Arbeitsleistung an, worauf die Beklagte aber offenbar nicht einging. Die Beklagte kürzte stattdessen ab März 2020 einen – der verkürzten Arbeitszeit entsprechenden – Teil des Gehalts des Klägers und bezeichnete die gekürzte Vergütung in der erteilten Abrechnung als „Kurzarbeitergeld“. Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten fristlos zum 14. Juni 2020.

Der Kläger machte nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses – neben der Ausfertigung korrigierter Abrechnungen und eines korrigierten Ausdrucks der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2020 – die Auszahlung der vollen Vergütung für den Zeitraum von März 2020 bis Mitte Juni 2020 geltend, während dem im Betrieb der Beklagten verkürzt gearbeitet worden war.

ENTSCHEIDUNG

Das Arbeitsgericht Siegburg hat der Klage des ehemaligen Arbeitnehmers der Beklagten im vollen Umfang stattgegeben und das beklagte Unternehmen insbesondere zur Zahlung der vollen Vergütung für den „Kurzarbeitszeitraum“ von März 2020 bis Juni 2020 verurteilt. Der Zahlungsanspruch des Klägers ergibt sich nach der Entscheidungsbegründung aus dem Arbeitsvertrag und den Grundsätzen des Annahmeverzugs (§§ 611a Abs. 2, 615 BGB). Die Beklagte habe sich mit einem Teil des Lohns im Annahmeverzug befunden, da Kurzarbeit im Betrieb der Beklagten für den Kläger nicht wirksam vereinbart worden sei. Das Schreiben des Unternehmens vom 16. März 2020 stelle allein keine taugliche Rechtsgrundlage dar. Das Arbeitsgericht betont, dass Kurzarbeit durch den Arbeitgeber nur dann angeordnet werden dürfe, soweit dies individualvertraglich, durch Betriebsvereinbarung oder tarifvertraglich zulässig ist. Bei einer Anordnung ohne rechtliche Grundlage bestehe kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld und Arbeitnehmer behielten ihren vollen Lohnanspruch gegen den Arbeitgeber, der sich infolge der unwirksam angeordneten Kurzarbeit im Annahmeverzug mit der vollen Arbeitsleistung der betroffenen Mitarbeiter befinde.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Siegburg verdient Zustimmung. Die Durchführung von Kurzarbeit stellt einen erheblichen Eingriff in das Austauschverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer dar. Erforderlich ist deshalb eine Rechtsgrundlage, die einen solchen Eingriff erlaubt, in dem der Entscheidung des Arbeitsgerichts Siegburg zugrundeliegenden Sachverhalt aber nicht ersichtlich war. Da eine tarifvertragliche Norm oder eine Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit vorliegend nicht zur Anwendung kamen, hätte das beklagte Unternehmen wirksame vertragliche Kurzarbeitsregelungen mit seinen Arbeitnehmern treffen müssen. Dies geschah aber nicht, insbesondere nicht in Gestalt der einseitigen Mitteilung im Schreiben vom 16. März 2020.

Wird Kurzarbeit in arbeitsrechtlicher Hinsicht nicht wirksam durchgeführt, gerät der Arbeitgeber, wie das Arbeitsgericht Siegburg zutreffend betont, in Verzug mit der Annahme der Arbeitsleistung (§ 615 S. 1 BGB). Der Grundsatz „keine Vergütung ohne Arbeit“ wird in entsprechenden Fällen zugunsten der Arbeitnehmer durchbrochen, die somit auch bei faktisch verkürzter oder vollständig entfallender Arbeitsleistung ihre vertragsgemäße Vergütung verlangen können.

PRAXISHINWEISE

Die Durchführung von Kurzarbeit ist mit zahlreichen rechtlichen Fallstricken verbunden. Wenn zwingende Voraussetzungen der Anordnung von Kurzarbeit nicht eingehalten werden, kann dies im schlechtesten Fall existenzbedrohende Folgen für das Unternehmen haben. Umso wichtiger ist es, geeignete und wirksame Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern oder – soweit vorhanden – mit dem Betriebsrat zu treffen. Während die Durchführung von Kurzarbeit im mitbestimmten Betrieb ohnehin der zwingenden Mitbestimmung (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BetrVG) unterliegt und deshalb regelmäßig in Form einer Betriebsvereinbarung geregelt wird, sollte in Betrieben ohne Betriebsrat unbedingt eine einzelvertragliche Vereinbarung mit den Mitarbeitern getroffen werden. Diese muss nicht zwingend „einzelfallbezogen“ sein, sondern kann auch abstrakt-generell regeln, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber einseitig Kurzarbeit anordnen kann. Wesentlich ist hierbei in jedem Fall, dass eine unangemessene Benachteiligung der Mitarbeiter vermieden wird. Dies ist unter anderem durch das Erfordernis ausreichender Ankündigungsfristen sicherzustellen, die vom Arbeitgeber vor dem Beginn oder vor etwaigen Änderungen der Kurzarbeit beachtet werden müssen.

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