Update Immobilien & Bau 3/2017
Keine Mängelrechte vor Abnahme (BGH v. 19.1.2017 – VII ZR 301/13)
Der Auftraggeber beauftragte den Beklagten im Jahr 2008 mit der Erneuerung der Fassaden an zwei unter Denkmalschutz stehenden Gebäuden. Der Beklagte führte die Arbeiten aus. Eine Abnahme der Arbeiten erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 4. September 2009 rügte der Auftraggeber diverse Mängel, erhob in der Folge sodann Klage und forderte unter anderem Mangelbeseitigungskosten in Form eines Kostenvorschusses gemäß § 637 Abs. 3 BGB.
I. Gegenstand der BGH-Entscheidung
Maßgeblich für die Entscheidung des vorliegenden Falles war die Frage, ob der Auftraggeber einen Kostenvorschuss für eine Selbstvornahme fordern kann, wenn noch keine Abnahme der Werkleistung erfolgt ist.
II. Bisheriger Meinungsstand
Inwieweit die werkvertraglichen Gewährleistungsrechte auch ohne Abnahme des Werks vom Auftraggeber geltend gemacht werden können, ist spätestens seit der Schuldrechtsmodernisierung zum 1. Januar 2002 ungeklärt und daher zwischen Rechtsprechung und Literatur umstritten.
Teile der Literatur haben seitdem weiterhin die Auffassung vertreten, wonach die werkvertraglichen Mängelrechte aus § 634 BGB bereits vor der Abnahme geltend gemacht werden können.
Dem stand insbesondere die obergerichtlichen Rechtsprechung entgegen. Insoweit wurde die werkvertragliche Abnahme für das Entstehen der Gewährleistungs-/Mängelrechte aus § 634 BGB als grundsätzlich erforderlich angesehen. Ausnahmen konnten danach nur bei bestimmten Sachverhaltskonstellationen im Einzelfall angenommen werden.
Mit seiner Entscheidung vom 19. Januar 2017 (Az. VII ZR 301/13) hat der Bundesgerichtshof diese äußerst praxisrelevante Frage nunmehr erstmals entschieden: Der Bundesgerichtshof vertritt die Auffassung, dass der Auftraggeber Mängelrechte nach § 634 BGB grundsätzlich erst nach Abnahme des Werks geltend machen kann.
Zur Begründung führt der BGH insbesondere aus:
Bis zur Abnahme bestehe das freie Wahlrecht des Auftragnehmers, wie er den Leistungsanspruch des Auftraggebers auf mangelfreie Herstellung des Werks erfüllen möchte. Der BGH sieht weiterhin die Abnahme als maßgebliche Zäsur zwischen Erfüllung- und Gewährleistungsstadium an. Dies wird auch durch den Verjährungsbeginn der Mängelrechte mit Abnahme bestätigt. Gleichzeitig stelle auch für den Auftragnehmer die Abnahme das maßgebliche Ereignis dar, durch die sein Werklohnanspruch gegenüber dem Auftraggeber fällig wird und das Risiko des zufälligen Untergangs des Werks auf den Auftraggeber übergeht.
Zudem schließe dieser Grundsatz nicht aus, dass in Einzelfällen, die auf besonderen Umständen im individuellen Fall beruhen, eine andere Wertung zulässig sei. In diesen Fällen könne es vertretbar sein, dass der Auftraggeber seine Mängelrechte nach § 634 Nr. 2-4 BGB auch ohne die Abnahme des Werks geltend machen kann. Dies sei, so der BGH, insbesondere denkbar, wenn der Auftraggeber nicht mehr die Erfüllung des Vertrags verlangen kann und das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist. Dies sei beispielsweise dann der Fall, wenn der Auftragnehmer sein Werk dem Auftraggeber als abnahmefertig anbietet und der Auftraggeber jedoch nur noch Schadensersatz statt der Leistung (in Form des sog. kleinen Schadensersatzes) verlangt oder die Vergütung mindert.
Für den konkreten Fall bedeutet dies: Da der vertragliche Erfüllungsanspruch des Auftraggebers nicht erlischt, wenn der Auftraggeber nach § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 1, Abs. 3 BGB einen Vorschuss zur Mängelbeseitigung im Wege der Selbstvornahme fordert, kann der Kostenvorschuss nur gefordert werden, wenn bereits eine Abnahme des Werks erfolgt ist.
Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs ist nunmehr von dem Grundsatz auszugehen, dass Mängelrechte nach § 634 ff. BGB im Werkvertragsrecht grundsätzlich erst nach Abnahme des Werks vom Auftraggeber geltend gemacht werden können.
III. Fazit
Für die Praxis bedeutet dies: Will ein Auftraggeber bei einem mangelhaften Werk des Auftragnehmers zur Selbstvornahme schreiten, so kann er hierfür grundsätzlich erst nach Abnahme des Werks einen Vorschuss verlangen. Bis zum Zeitpunkt der Abnahme steht es dem Auftragnehmer weiterhin grundsätzlich frei, wie er die geschuldete Leistung gegenüber dem Auftraggeber erfüllt. Mängelrechte gemäß § 634 BGB kann der Auftraggeber ihm gegenüber erst nach Abnahme geltend machen, es sei denn, das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien ist (z.B. durch die fehlerhafte Leistung des Auftragnehmers) derart zerrüttet, dass es dem Auftraggeber nicht mehr zumutbar ist, am Vertragsverhältnis und damit dem Abnahmeerfordernis festzuhalten.
Der Auftraggeber ist jedoch vor der Abnahme des Werks dadurch nicht schutzlos gestellt: Er kann sich seiner Rechte aus dem allgemeinen Leistungsstörungsrechts bedienen und - ggf. nach vorheriger Fristsetzung Schadensersatz neben der Leistung sowie statt der Leistung geltend machen, etwaige Verzugsschäden ersetzt verlangen, vom Vertrag zurücktreten oder eine Kündigung bei Bestehen eines wichtigen Grundes aussprechen.