Update Arbeitsrecht Juni 2024
Kündigung nach kritischem YouTube-Video in Bezug auf Hamas-Angriff auf Israel
ArbG Berlin 22.05.2024 - 37 Ca 1270/23
Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 22. Mai 2024 (Az. 37 Ca 1270/23) entschieden, dass eine vom Axel Springer Verlag gegenüber einem Auszubildenden innerhalb der Probezeit ausgesprochene Kündigung rechtmäßig war. Die Kündigung erfolgte wegen eines kritischen YouTube-Videos des Auszubildenden in Bezug auf die Berichterstattung des Verlags über den Angriff der islamistischen Terrorvereinigung Hamas auf Israel am 07. Oktober 2023.
Bislang liegt zu dem Urteil lediglich die Pressemitteilung des Arbeitsgerichts Berlin vor. Die vollständigen Entscheidungsgründe liegen dagegen noch nicht vor.
Sachverhalt
Der Kläger absolvierte seit September 2023 eine Ausbildung zum Mediengestalter beim Axel Springer Verlag (im Folgenden: „Arbeitgeber“). Als Reaktion auf den Angriff der Hamas auf Israel vom 07. Oktober 2023 sprach der Arbeitgeber seine Solidarisierung gegenüber Israel aus. Darauf reagierte der Kläger, indem er auf der Videokonferenzplattform Microsoft Teams als Profilbild den Text „I don’t stand with Israel“ einstellte und zudem ein Video mit dem Titel „Wie entsteht eine Lüge“ auf seinem privaten YouTube-Kanal veröffentlichte, in dem er sich mit der Berichterstattung seines Arbeitgebers über den Hamas-Angriff auseinandersetzte. In diesem YouTube-Video thematisierte der Kläger insbesondere eine Meldung seines Arbeitgebers, wonach bei dem Hamas-Angriff auf Israel am 07. Oktober 2023 Kinder geköpft worden seien. Diese Meldung stellte sich im Nachhinein als unrichtig heraus. Konkret bezichtigte der Kläger Israel in seinem Video, diese Falschmeldung gezielt und systematisch eingesetzt zu haben. Ferner verglich er dieses angebliche Verhalten Israels indirekt mit dem Verhalten des nationalsozialistischen Regimes, indem er unter anderem äußerte „Israel verwendet die gleichen Taktiken wie die Nazis“ und seine Äußerungen mit Abbildungen von Hakenkreuzen sowie einem Zitat von Joseph Goebbels unterlegte.
Daraufhin kündigte der Arbeitgeber das Ausbildungsverhältnis zweimal außerordentlich fristlos. Die erneute außerordentliche Kündigung wurde ausgesprochen, da die erste Kündigung aufgrund einer fehlerhaften Betriebsratsanhörung unwirksam war.
Gegen diese Kündigungen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht Berlin. Er berief sich auf seine Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG und war der Ansicht, die Kündigung verstoße gegen das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB. Der beklagte Arbeitgeber sah in den Äußerungen des Klägers in dem streitgegenständlichen YouTube-Video einen Angriff auf seine Unternehmenswerte, der einen wichtigen Grund im Sinne von
§ 626 BGB für eine außerordentliche Kündigung darstelle.
Entscheidungsgründe
Das Arbeitsgericht Berlin wies die Klage ab.
Die zweite außerordentliche fristlose Kündigung sei wirksam. Das Ausbildungsverhältnis könne während der Probezeit jederzeit und ohne Verpflichtung zur Angabe eines Grundes gekündigt werden, vgl. § 22 Abs. 1 BBiG.
Die Kündigung verstoße auch nicht gegen das Maßregelungsverbot gemäß § 612a BGB. Danach darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Maßnahme im Sinne von § 612a BGB kann dabei unstreitig auch der Ausspruch einer Kündigung sein. Das Arbeitsgericht Berlin sah einen Verstoß gegen § 612a BGB nicht als gegeben an. Der Kläger übe mit den in seinem YouTube-Video getätigten Äußerungen nicht in zulässiger Weise seine Rechte aus. Denn die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG rechtfertige die Äußerungen des Klägers in seinem YouTube-Video nicht. Die Kündigung stelle in der Folge keine Maßregelung dar, sondern in ihr liege eine berechtigte Wahrnehmung der unternehmerischen Interessen des Arbeitgebers.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Vielmehr können beide Parteien dagegen Berufung beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg einlegen.
Praxishinweis
Die vorliegende Entscheidung verdeutlicht einmal mehr das in der arbeitsrechtlichen Praxis bestehende Spannungsfeld zwischen einer grundrechtlich durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungsäußerung und einer zur Kündigung berechtigenden Äußerung.
Inhaltlich ist die Entscheidung durchaus überzeugend. Insbesondere die Tatsache, dass die Äußerungen in dem YouTube Video einen eindeutigen Bezug zu dem zwischen den Parteien bestehenden Ausbildungsverhältnis aufwiesen, indem sie sich unmittelbar auf die Meldung des Arbeitgebers sowie die Solidarisierung des Arbeitgebers mit Israel bezogen, verleiht ihnen eine erhebliche Tragweite. Gleiches gilt auch, da die Äußerungen öffentlich im Internet innerhalb eines für jedermann abrufbaren YouTube-Videos getätigt wurden. Es war mithin für jedermann erkennbar, dass der Auszubildende in einem Ausbildungsverhältnis zum Axel Springer Verlag stand und die Berichterstattung seines Arbeitgebers in der aufgezeigten Weise kritisiert.
Ferner hat das Arbeitsgericht Berlin zu Recht angenommen, dass die Äußerungen des Auszubildenden nicht mehr von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG geschützt seien, sondern die unternehmerischen Interessen des Arbeitgebers an der Unterlassung derartiger öffentlicher Äußerungen über ihn im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegen. In der Folge machte der Auszubildende nicht in zulässiger Weise von seiner Meinungsfreiheit Gebrauch, sodass ein Verstoß der Kündigung gegen das Maßregelungsverbot ausscheide.
Da die Kündigung während der Probezeit erfolgte, war gemäß § 22 Abs. 1 BBiG weder ein Kündigungsgrund noch die Einhaltung einer Kündigungsfrist erforderlich.
Die Veröffentlichung der vollständigen Entscheidungsgründe des Urteils bleibt mit Spannung abzuwarten.