29.06.2022Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Juni 2022

Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB bei Mutterschutz und Elternzeit

LAG Mecklenburg-Vorpommern, 15.3.2022 – 5 Sa 122/21

Die Kündigung von Mitarbeitern in Mutterschutz oder Elternzeit ist nicht ohne weiteres möglich. Sie genießen besonderen Kündigungsschutz nach § 17 Abs. 1 MuSchG und § 18 BEEG. Nichtsdestotrotz können die Arbeitsverhältnisse dieser Mitarbeiter gekündigt werden, nachdem eine behördliche Zulässigkeitserklärung der jeweiligen für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde erwirkt wurde. Im Rahmen einer außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB stellt sich nun insbesondere die Frage, wann die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen beginnt und was passiert, wenn der Sonderkündigungsschutz während des Zustimmungsverfahrens wegfällt. Kündigungen, die nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen werden, sind unwirksam. Das Verfahren zur Erwirkung einer behördlichen Zulässigkeitserklärung dauert regelmäßig mehrere Wochen, sodass ein Abwarten des Abschlusses des Verfahrens zu einer Verfristung der Kündigungserklärung führen würde.

Sachverhalt

Die Klägerin war seit Mai 2009 bei der Beklagten beschäftigt. Gegenstand ihrer Beschäftigung waren die Vermittlung und Vermietung sowie die Betreuung von Ferienwohnungen der Beklagten. 

Nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts hatte die zum damaligen Zeitpunkt schwangere Klägerin am 11. Mai 2019 von einem Gast eine Bareinzahlung in Höhe von EUR 20 für gebuchte Handtücher entgegengenommen. Den Betrag legte sie aber weder in die Bar-Kasse, noch vermerkte sie ihn im Kassenbuch. Vielmehr stornierte die Klägerin die gebuchten Handtuchsets drei Tage später aus dem Kassenbuch der Beklagten. 

Am 18. Mai 2019 nahm die Klägerin eine weitere Barzahlung eines Gastes für die Kurtaxe in Höhe von EUR 56 entgegen und verbuchte diesen Betrag ebenfalls nicht im Kassenbuch. Im Übergabeprotokoll setzte die Klägerin den Betrag auf Null herab und vermerkte die Befreiung des Gastes von der Kurtaxe im Kassenbuch.

Am 21. Mai 2019 mahnte die Beklagte die Klägerin, nachdem Sie lediglich vom Vorfall am 11. Mai 2019 erfahren hatte, diesbezüglich ab. Die Klägerin versicherte, keine weiteren derartigen Verfehlungen begangen zu haben. Nach der Abmahnung zahlte die Klägerin noch am selben Tag EUR 56 auf das Konto der Beklagten ein und änderte die Höhe der entrichteten Kurtaxe im Übergabeprotokoll des Gastes vom 18. Mai 2019 auf diesen Betrag ab. 

Nachdem der Beklagten der „Betrug“ durch Eingang der EUR 56 offenbar wurde, entschloss sie sich, eine außerordentliche Kündigung auszusprechen. Sie beantragte die Zulässigkeitserklärung mit Schreiben vom 27. Mai 2019. Mangels erteilter Zustimmung im Verwaltungsverfahren erhob die Beklagte schließlich Klage zum Verwaltungsgericht.

Während des verwaltungs- und gerichtlichen Verfahrens gebar die Klägerin ihr Kind. Am 3. September 2020 endete die Elternzeit der Klägerin. Mit Schreiben vom 4. September 2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin außerordentlich und fristlos. 

Das Arbeitsgericht Rostock hatte die gegen die Kündigung gerichtete Klage der Arbeitnehmerin erstinstanzlich abgewiesen. 

Entscheidung des LAG

Das LAG bestätigt diese Entscheidung. 

Zunächst stellt das LAG fest, dass die Taten der Klägerin einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB darstellen. Erwartbar waren die Ausführungen des LAG zur Vertragspflichtverletzung: Eigentums- und Vermögensdelikte des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber stellen – unabhängig von deren strafrechtlicher Bewertung – schwere Pflichtverletzungen im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB dar und kommen typischerweise als außerordentlicher Kündigungsgrund in Betracht. Das gelte unabhängig von der Höhe des durch die Pflichtverletzung beim Arbeitgeber entstandenen Schadens. Maßgebend sei der mit der Pflichtverletzung begangene Vertrauensbruch (vgl. BAG, 22.9.2016 - 2 AZR 484/15). 

Auch eine Abmahnung sei bei einer solch schweren Pflichtverletzung nicht auszusprechen. Der Arbeitgeber habe ein solches Verhalten eines Mitarbeiters nicht – auch nicht einmalig – hinzunehmen. Auch die lange Beschäftigungsdauer der Klägerin von ca. 10 Jahren ändere daran nichts. 

Nach Ansicht des LAG sei ferner die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sofern der Ausspruch einer Kündigung an eine behördliche Zulässigkeitserklärung gekoppelt sei, genüge die Beantragung der Zulässigkeitserklärung innerhalb der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB. Nach erteilter Zustimmung müsse die Kündigung dann unverzüglich ausgesprochen werden. Beide Regelungen (die Zulässigkeitserklärung und die Kündigungserklärungsfrist) seien dadurch in Einklang gebracht. So sei es Sinn und Zweck der Kündigungserklärungsfrist, zeitnah Rechtssicherheit zu schaffen und Sinn und Zweck der Sonderkündigungstatbestände, während des Mutterschutzes oder der Elternzeit vorrübergehend einen erhöhten Kündigungsschutz zu gewährleisten. 

Der behördlichen Zulässigkeitserklärung stünde der Wegfall des Zustimmungserfordernisses, z.B. das Ende der Elternzeit, gleich. Ab Kenntnis des Wegfalls des Zustimmungserfordernisses sei die Kündigung dann unverzüglich auszusprechen, d.h. in der Regel am folgenden Arbeitstag. 

Praxishinweise

Der besondere Kündigungsschutz von Schwangeren und Eltern in Elternzeit ist den meisten Verantwortlichen in Unternehmen tendenziell bekannt. Der besondere Kündigungsschutz endet erst, wenn Mutterschutz oder der Elternzeit beendet sind (vgl. BAG, 16.2.1973 – 1 AZR 138/72).

Anders ist das mit der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB. Dass eine außerordentliche Kündigung nur zwei Wochen nach Kenntnis der Pflichtverletzung bzw. nach zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen ausgesprochen werden kann, wird – gerade in kleineren und mittelständischen Unternehmen ohne erfahrene HR-Abteilung – häufig übersehen. Die Folgen für eine nach Ablauf der Erklärungsfrist ausgesprochene Kündigung sind indes fatal – die Unwirksamkeit der Kündigung. Es empfiehlt sich daher, eine außerordentliche Kündigung immer zugleich vorsorglich als ordentliche Kündigung auszusprechen. Dann können die Kündigungsgründe ggf. in eine ordentliche Kündigung, die keine Erklärungsfrist kennt, „gerettet“ werden. 

Die Entscheidung des LAG liegt auf der Linie der bisher zu diesem Themenkreis ergangenen Urteile und war erwartbar. So hat das LAG Hamm schon im Oktober 1986 (3.10.1986 – 17 Sa 935/86) und das LAG Köln im Januar 2000 (21.1.2000 – 11 Sa 1195/99) inhaltlich gleichlautende Urteile gefällt. Auch die ersichtliche juristische Literatur kommt – sofern sie sich mit dem Problem befasst – zu demselben Ergebnis. Das LAG Köln stellt zudem fest, dass die Kündigung nach Ende des Sonderkündigungsschutzes unverzüglich ausgesprochen werden muss; ein Zuwarten auf eine behördliche/gerichtliche Entscheidung führe zur Unwirksamkeit der Kündigung. 

Probleme können indes dadurch entstehen, dass der Arbeitgeber in der Regel nur den errechneten Geburtstermin und nicht den tatsächlichen Geburtstermin oder die Umstände eines vorzeitigen Endes der Schwangerschaft kennt. Wann also „der nächste Werktag“ nach Ende der Mutterschutzfrist / Elternzeit ist, lässt sich nicht immer so leicht ermitteln. Nach der Entscheidung des LAG Köln (s.o.) kann der Arbeitgeber seine Berechnungen mangels anderslautender Angaben auf den berechneten Geburtstermin stützen.

Zu beachten bleibt in betrieblich mitbestimmten Betrieben, dass neben der Erteilung der Zustimmung der Behörden der Betriebsrat (und bei schwerbehinderten Arbeitnehmern zusätzlich die Schwerbehindertenvertretung, § 178 SGB IX) zur Kündigung angehört werden muss, § 102 BetrVG. Eine Beteiligung im Verwaltungsverfahren ersetzt die Anhörung nach § 102 BetrVG nicht. Um eine Gefährdung des Kündigungsausspruchs bei außerordentlichen Kündigungen zu vermeiden, sollten die Verfahren bei den zuständigen Stellen (Betriebsrat, Schwerbehindertenvertretung, Arbeitsschutzbehörden) parallel betrieben werden. 

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