Newsletter Health Care, Pharma & Life Sciences 2/2018
Leistungsbeschreibung ist nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen
Die Vergabekammer Sachsen hat in dem vorliegenden Vergabeverfahrensfall bezüglich der Beschaffung von Inkubatoren entschieden (Beschluss vom 28.11.2017, Az. 1/SVK/024-17), dass eine Leistungsbeschreibung unter Zugrundelegung der allgemeinen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont aus der Sicht eines potentiellen Bieters auszulegen ist. Ausgangspunkt für die Auslegung soll dabei der Wortlaut der Leistungsbeschreibung sein, der weder erweiternd noch einengend ausgelegt werden darf.
Ein Auftraggeber schrieb die Lieferung, Montage und betriebsbereite Übergabe von Inkubatoren aus. Als Pflichtkriterium sollten die Geräte einen „Luftvorhang beim Öffnen der Seitenklappen“ haben. Ein Bieter gab ein Angebot ab und bestätigte, dass sein Gerät einen solchen Luftvorhang aufweist. Nach Testung der Geräte folgerte der Auftraggeber aber, dass das von dem Bieter angebotene Gerät das Kriterium „Luftvorhang beim Öffnen der Seitenklappen“ nicht erfülle, da beim Öffnen der Klappen die Temperatur abfalle, was ein geforderter Luftvorhang verhindern müsse. Während der Gerätetests standen Mitarbeiter des Bieters und des Auftraggebers in Kontakt. Das Angebot des Bieters wurde letztlich ausgeschlossen. Der Auftraggeber stützte dies auf einen fehlenden Luftvorhang und § 124 Abs. 1 Nr. 9 a) und b) GWB, da der betreffende Bieter versucht habe, die Entscheidungsfindung des Auftraggebers in unzulässiger Weise zu beeinflussen und vertrauliche Informationen zu erhalten. Der betroffene Bieter kritisierte in einer folgenden Rüge u.a. die von dem Auftraggeber vorgenommene Spezifizierung zum Luftvorhang als nicht in den Vergabeunterlagen vorgesehen.
Leistungsbeschreibung ohne weitere Ergänzungen nach ihrem Wortlaut auszulegen
Die angerufene Vergabekammer Sachsen hat dem Nachprüfungsantrag stattgegeben. Das von dem Bieter angebotene Gerät verfügt demnach über den von dem Auftraggeber geforderten Luftvorhang und erfüllt bei objektiver Auslegung aus Sicht eines verständigen und fachkundigen potentiellen Bieters die entsprechenden Forderungen. Laut der Vergabekammer hat der Bieter glaubhaft dargelegt, dass der Luftvorhang des angebotenen Inkubators umfassend getestet wurde und bei Öffnung der Seitenklappen die Temperatur nur gering abfällt. Entgegen der Ansicht des Auftraggebers ist ein Luftvorhang nicht dann erst gegeben, wenn die Luftströmung so stark ist, dass sie als Barriere eine Vermischung der verschiedenen Luftmassen und einen Temperaturabfall verhindert. Aus den Vergabeunterlagen oder offiziellen Definitionen ergibt sich nichts anderes. Grundsätzlich ist die Leistungsbeschreibung mit ihrem Wortlaut nach den allgemeinen Regeln der §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen. Der Auftraggeber hat in der Leistungsbeschreibung nur vorgegeben, dass die Inkubatoren über einen „Luftvorhang beim Öffnen der Seitenklappen“ verfügen müssen. Über technische Leistung oder Beschaffenheit des Luftvorhangs wurde nichts gesagt. Dazu ist die Leistungsbeschreibung auch nicht, wie von dem Auftraggeber vorgenommen, ergänzend technisch zu spezifizieren. Der vorliegende Bieter hat also wegen fehlender Änderung der Vergabeunterlagen keinen Angebotsausschluss nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV begründet.
Kommunikation zwischen Auftraggeber und Bieter grundsätzlich keine unzulässige Einflussnahme auf Auftraggeberseite
Das Angebot des betreffenden Bieters war auch nicht wegen des Versuchs der unzulässigen Beeinflussung der Entscheidungsfindung des öffentlichen Auftraggebers aus § 124 Abs. 1 Nr. 9 a) GWB oder wegen versuchten Erhalt von vertraulichen Informationen zur Erlangung unzulässiger Vorteile beim Vergabeverfahren nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 b) GWB auszuschließen. Die direkte Kommunikation zwischen Mitarbeitern von Auftraggeber und Bieter im Rahmen der Gerätetests war kein Versuch einer unzulässigen Einflussnahme auf die Entscheidungsfindung der Auftraggeberseite. Auch besteht kein Versuch vertrauliche Informationen zu beschaffen. § 124 Abs. 1 Nr. 9 b) GWB meint vorrangig Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Konkurrenzangebote. Außerdem würde hier durch den Empfang vertraulicher Informationen der Wettbewerb nicht verzerrt.
Fazit
Die Vergabekammer Sachsen stellt klar, dass die Leistungsbeschreibung nicht beliebig durch den Auftraggeber im Nachhinein zu spezifizieren ist. Der Bieter muss sich auf deren Inhalt verlassen können, wobei der Inhalt nach einer Auslegung des bekannt gegebenen Wortlauts der Leistungsbeschreibung nach den gewöhnlichen Regeln des BGB gemäß dem objektiven Empfängerhorizont eines Bieters zu bestimmen ist.