14.09.2017Fachbeitrag

Update Compliance 21/2017

LG Düsseldorf: Telefonmarketing ist keine Marktmanipulation i. S. der Marktmissbrauchsverordnung

Marktmanipulation in Form des „Scalping“ kann nicht durch Telefonmarketing begangen werden. Das hat das Landgericht Düsseldorf entschieden. Auch marktschreierische Unternehmensmitteilungen von börsennotierten Aktengesellschaften seien keine Marktmanipulation.

Mit dem Beschluss hat die 18. Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt (Beschl. v. 17.7.2017 – Az. 18 KLs 2/15). Das Ermittlungsverfahren wurde u. a. gegen Vorstände und Aktionäre eines Navigationsgeräteherstellers geführt, deren Aktien mittels Telefonwerbung zum Erwerb angeboten wurden. Zudem hatte das Unternehmen marktschreierische Mitteilungen veröffentlicht. Die Staatsanwaltschaft erkannte hierin eine Marktmanipulation und erhob Anklage. Dem trat die Strafkammer entgegen:

Telefonwerbung ist kein Scalping

Die Vornahme oder Veranlassung von Telefonanrufen bei potentiellen Anlegern – auch wenn diese bei einer Vielzahl einzelner Personen erfolgen – erfüllen den Tatbestand der Marktmanipulation i. S. der Marktmissbrauchsverordnung („MAR“, VO 596/2014) nach Ansicht der Kammer nicht. „Scalping“ i. S. von Art. 12 Abs. 2 d) MAR entfalle, weil dort ein Medienzugang gefordert sei, der auch in der modernen Medienwelt nicht jedermann und jederzeit eröffnet ist. Zudem sei ein Telefonanruf kein „Medium“, weil für „Medien“ charakteristisch sei, dass eine einzelne Aussage durch das Medium potentiell gleichzeitig eine Vielzahl von Personen erreicht werden könne. Auch ein Verbreiten i. S. von Art. 12 Abs. 2 c) MAR liege nicht vor, weil Verbreiten die Weitergabe an einen unbestimmten, nach Zahl und Größe für den Täter nicht mehr kontrollierbaren Personenkreis meine. Dies sei bei der Werbung mittels Telefonanrufen nicht der Fall.

Dasselbe gelte für die verfahrensgegenständlichen werbenden Unternehmensmitteilungen, sog. „Corporate News-Mitteilungen“: Wenn das mit diesen Mitteilungen verfolgte Interesse „für jeden Empfänger offensichtlich ist und der Interessenkonflikt deshalb gerade nicht verborgen wird“, liege kein Fall der Marktmanipulation vor. Zweck des Art. 12 Abs. 2 d) MAR sei es gerade „nicht, marktschreierische Reklame börsennotierter Unternehmen oder ihrer Eigentümer selbst zu unterbinden, sondern zu verhindern, dass Anleger durch Äußerungen von sog. Börsengurus, Analysten etc. zum Kauf von Finanzinstrumenten veranlasst werden, ohne ein Eigeninteresse der Äußernden an dem betreffenden Finanzinstrument zu kennen.

Die Abgrenzung zwischen marktmanipulativen Falschinformationen und marktschreierischer Werbung kann allerdings schwierig sein. Das macht die Kammer auch deutlich, indem sie ausdrücklich auf das „konkrete Erscheinungsbild“ der ihr vorliegenden News abstellte.

Kammer erwähnt die Problematik einer Ahndungslücke nicht

Der Beschluss thematisiert nicht die Problematik, ob im Zuge des Inkrafttretens des neuen Marktmissbrauchsrechts am 3. Juli 2016 eine Ahndungslücke entstanden ist (vgl. dazu Update Compliance 14/2016). Das ist zwar deshalb nicht überraschend, weil der Bundesgerichtshof eine solche Ahndungslücke verneint hat (vgl. Update Compliance 3/2017). Jedoch ist die Frage noch nicht abschließend beantwortet: Sie liegt derzeit dem Bundesverfassungsgericht vor.

Überraschend ist allerdings, dass die Kammer die aktuelle Fassung des Marktmanipulations-Tatbestandes anwendet. Sie begründet dies damit, dass das aktuelle Gesetz höhere Anforderungen an die Strafbarkeit stellt. Es sei damit das im Vergleich zur Vorgängerversion mildere Gesetz und somit wegen des sog. Meistbegünstigungsprinzips (§ 2 Abs. 3 StGB) anzuwenden. Das dürfte dem neu eingefügten § 52 WpHG widersprechen, der das Meistbegünstigungsprinzip für Fälle des Marktmissbrauchs gerade abschaffen will. Mit dieser Regelung will der Gesetzgeber die mutmaßlich entstandene Ahndungslücke nachträglich schließen. Ob eine solche nachträgliche Lückenschließung möglich ist, ist erheblich umstritten.

Praxishinweis

Die Entscheidung der Kammer ist grundsätzlich zu begrüßen. Sie trägt zu einer Konkretisierung des sehr abstrakten Marktmanipulationsverbots bei, indem sie straflose Werbung von strafbarer Marktmanipulation abgrenzt. Sie kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade im Bereich der Werbung für Finanzinstrumente und der sog. informationsgestützten Marktmanipulation die Grenzen zwischen noch erlaubtem und verbotenem und damit ggf. strafbaren Verhalten noch nicht klar abgesteckt sind. Hinzu kommt, dass die hier diskutierte Telefonwerbung u. U. nach anderen Vorschriften sanktionierbar sein kann. Das gilt insbesondere dann, wenn durch die Telefonverkäufer unwahre Angaben gemacht werden oder die Anrufe ohne Einwilligung der Angerufenen erfolgen (sog. „cold calling“).

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