29.04.2024Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht April 2024

Motivations- und Anreizfunktion: Schadensersatz wegen verspäteter Zielvorgabe

LAG Köln, Urt. v. 6.2.2024 - 4 Sa 390/23

Zielvereinbarungen und Zielvorgaben sind Gegenstand vieler arbeitsvertraglicher Absprachen und / oder Betriebsvereinbarungen. Dem LAG Köln lag ein Fall zur Entscheidung vor, in welchem ein ehemaliger Arbeitnehmer die Differenz zu einer 100%igen Zielerfüllung einklagte, da ihm eine Zielvorgabe viel zu spät während der Zielperiode übermittelt worden sei.

Das LAG Köln entschied, erfolge eine Zielvorgabe innerhalb der Zielperiode erst so spät, dass die Anreizfunktion der Zielvorgabe nicht mehr sinnvoll erfüllt werden könne, sei die Zielvorgabe so zu behandeln, als ob sie überhaupt nicht erfolgt sei. Ein derart später Zeitpunkt liege zumindest dann vor, wenn die Zielperiode bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen sei. Die Tatsache, dass die versäumte Zielvorgabe unternehmensspezifische Ziele beträfe, schließe die Anreizfunktion nicht automatisch aus.

Sachverhalt

Der klagende (ehemalige) Arbeitnehmer war für das beklagte Unternehmen als „Head of Advertising“ seit 2016 bis zum 30. November 2019 beschäftigt. Der Kläger war Mitarbeiter mit Führungsverantwortung.

Der Arbeitsvertrag vom 31. März 2016 sah ein bestimmtes Jahreszielgehalt bei 100 % Zielerreichung vor. Dieses Zielgehalt bestand aus einem Bruttofixgehalt und einer variablen Vergütung, die aus einer Zielvorgabe des beklagten Unternehmens folge, vor. Die Festlegung der Ziele des variablen Anteils sollte zeitnah nach Antritt der Beschäftigung und danach jährlich zu Beginn eines jeden Kalenderjahres erfolgen.

Nach einer Betriebsvereinbarung („BV“) vom 12. März 2019 über die variable Vergütung sollte die Zielvorgabe für die jeweilige Zielperiode (hier: Kalenderjahr) spätestens bis zum 1. März des jeweiligen Kalenderjahres mit dem Mitarbeiter besprochen werden. Die Betriebsvereinbarung galt rückwirkend für das gesamte Jahr 2019.

Ob die Beklagte dann im Verlauf des Jahres 2019 Ziele festlegte, stand zwischen den Parteien im Streit. Jedenfalls erhielt der Kläger Ende September 2019 eine E-Mail worin eine mitgeteilte Zielvorgabe von der Geschäftsleitung der Beklagten als „final“ bezeichnet wurde.   

Der Kläger kündigte sein Arbeitsverhältnis zum 30. November 2019.

Die Beklagte zahlte dem Kläger eine variable Vergütung von ca. EUR 15.000 brutto für das Kalenderjahr 2019 aus. Dies folge aus seiner Zielerreichung. Der Kläger forderte jedoch eine weitere Zahlung von ca. EUR 16.000. In Summe sei ihm – so der Kläger – eine (zeitanteilige) Zielerfüllung für das Jahr 2019 von 100% zuzugestehen. Die Ziele im Jahr 2019 seien ihm erst im September 2019 und damit zu spät innerhalb der Zielperiode mitgeteilt worden. Er habe die Zielvorgabe nicht mehr erfüllen können.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, da die Beklagte die Ziele noch innerhalb der Zielperiode spätestens im Herbst 2019 festgelegt habe und somit die Zielerreichung gemäß § 275 Abs. 1 BGB noch möglich gewesen sei. Das LAG Köln änderte diese Entscheidung auf Berufung des Klägers ab und gab der Klage statt, wobei jedoch die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen wurde.

Entscheidungsgründe

Das LAG führte in seiner Entscheidung aus, der Kläger habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz in der begehrten Höhe wegen nicht rechtzeitig erfolgter Zielvorgabe für das Geschäftsjahr 2019.

Die Beklagte sei nach dem Arbeitsvertrag und der Betriebsvereinbarung verpflichtet gewesen, dem Kläger bis zum 1. März 2019 eine Zielvorgabe zu kommunizieren, was jedoch nicht geschehen sei. Obwohl die Beklagte behauptete, die Umsatz- und Unternehmensziele seien dem Kläger in Präsentationen im März und April 2019 mitgeteilt worden, erfülle dies nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Zielvorgabe gemäß der Betriebsvereinbarung. Da weder Gewichtung noch Zielkorridor festgelegt worden seien, könne der Kläger die Ziele nicht als für ihn verbindlich ansehen.

Der Kläger könne Schadensersatz statt der Leistung verlangen, da die einseitige Zielvorgabe durch die Beklagte durch Zeitablauf unmöglich geworden sei. Das LAG schloss sich der gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an, wonach eine Zielvereinbarung spätestens nach Ablauf der vereinbarten Zielperiode unmöglich wird und übertrug diese Rechtsprechung auf die Zielvorgabe.

Eine pflichtwidrig und schuldhaft unterbliebene Zielvorgabe sei genauso schadensersatzauslösend wie eine nicht abgeschlossene Zielvereinbarung. Eine Zielvorgabe, die erst zu einem Zeitpunkt erfolge, zu dem sie ihre Anreizfunktion nicht mehr erfüllen könne, sei als nicht erteilte Vorgabe zu behandeln, insbesondere wenn das Geschäftsjahr bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen sei.

Praxishinweise

Das BAG hat die Frage, ob Arbeitgeber auch bei unterlassenen Zielvorgaben zum Schadensersatz verpflichtet sind und ob ein Schadensersatzanspruch bereits vor Ende der Zielperiode eintreten kann, bislang soweit ersichtlich offengelassen. Ggf. wird sich das BAG im Rahmen des Revisionsverfahrens dazu äußern.

Arbeitgebern ist grundsätzlich zu raten, sofern Zielvereinbarungen oder Zielvorgaben mit den Mitarbeitern vereinbart wurden, diese auch stringent rechtzeitig vorzunehmen und nachzuhalten. Gerade bei Zielvorgaben können die Folgen unterbliebener Vorgaben schnell teuer werden. Anders als bei Zielvereinbarungen kann kein Mitverschulden des Arbeitnehmers, der ja bei einer Vereinbarung mitzuwirken hat, eingewandt werden.

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