Update Arbeitsrecht Januar 2023
Negative Gesundheitsprognose bei häufigen Kurzerkrankungen
LAG Köln, Urteil vom 01.09.2022 - 8 Sa 393/21
Die krankheitsbedingte Kündigung eines Arbeitsverhältnisses unterliegt strengen Voraussetzungen. Insbesondere verlangt die Rechtsprechung, dass eine negative Gesundheitsprognose gestellt werden kann, sodass auch für die Zukunft mit weiteren erheblichen krankheitsbedingten Ausfällen zu rechnen ist. Für eine entsprechende Prognose ist regelmäßig eine Rückschau der letzten drei Jahre vor Ausspruch der Kündigung vorzunehmen. Hinzukommen muss eine erhebliche wirtschaftliche Beeinträchtigung des Arbeitgebers. Diese kann vor allem darin begründet sein, dass der Arbeitgeber außergewöhnlich hohe Entgeltfortzahlungskosten für den häufig kurzzeiterkrankten Mitarbeiter aufwenden muss, die eine Dauer von sechs Wochen im Jahr überschreiten.
Zwar stellen häufige Kurzzeiterkrankungen in der Vergangenheit ein wichtiges Indiz dafür dar, dass es auch in der Zukunft zu krankheitsbedingten Ausfällen kommen wird. Zwingend ist dieser Schluss nach der Rechtsprechung aber nicht, denn es kommt immer auch darauf an, ob die Ursachen für die jeweilige Erkrankung „prognosefähig“ im Hinblick auf mögliche zukünftige Krankheitszeiten sind. An dieser „Prognosefähigkeit“ kann es beispielsweise dann fehlen, wenn krankheitsbedingte Ausfälle auf einem einmaligen Ereignis wie einem Unfall beruhen und die Ursache ausgeheilt ist. Diese Vorgaben der Rechtsprechung können gerade dann zu einer komplexen Prüfung führen, wenn mehrere Kurzerkrankungen zu betrachten sind, die teilweise Erkrankungen betreffen, welche auf ein einmaliges Ereignis zurückzuführen sind. Das Landesarbeitsgericht Köln hat sich in seinem Urteil vom 01.09.2022 unter dem Aktenzeichen 8 Sa 393/21 erneut mit dieser äußerst praxisrelevanten Problematik auseinandergesetzt.
Sachverhalt
Die seit dem Jahr 1991 bei der Beklagten beschäftigte Klägerin wies seit dem Jahr 2014 vermehrt krankheitsbedingte Fehlzeiten zwischen 23 Arbeitstagen im Jahr 2019 bis hin zu 79 Arbeitstagen im Jahr 2018 auf. Diese Fehlzeiten beruhten jeweils auf verschiedenen Kurzerkrankungen.
Gegen die mit Wirkung zum 31.05.2021 erklärte krankheitsbedingte Kündigung durch die Beklagte wandte sich die Klägerin mit der Begründung, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt sei. Insbesondere sei keine negative Prognose hinsichtlich ihres zukünftigen Gesundheitszustandes gegeben. Jedenfalls im Jahr 2019 habe sie schließlich nur an 23 Arbeitstagen krankheitsbedingt gefehlt. Zudem seien zumindest aus dem Jahr 2020 die Krankheitsfälle teilweise nicht prognoserelevant. In diesem Jahr hatte sie an insgesamt 45 Arbeitstagen gefehlt, wobei 33 Arbeitstage auf einer einmaligen Erkrankung beruhten. Die Beklagte argumentierte hingegen, der Veranlagungszeitraum müsse auf sieben Jahre ausgeweitet werden. Die geringeren Fehlzeiten aus dem Jahr 2019 stellten einen Ausreißer dar.
In erster Instanz hatte das Arbeitsgericht Köln der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Hiergegen richtete sich die Berufung der Beklagten, über die das Landesarbeitsgericht Köln zu entscheiden hatte.
Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht Köln hat der klagenden Arbeitnehmerin Recht gegeben und die Berufung der Beklagten daher zurückgewiesen.
Die Wirksamkeit einer auf häufige Kurzerkrankungen gestützten ordentlichen Kündigung setzt zunächst eine negative Gesundheitsprognose voraus. Das Gericht hat das Vorliegen einer solchen Negativprognose abgelehnt. Zwar könnten häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung sprechen. Diese Fehlzeiten müssen – so das Landesarbeitsgericht Köln – jedoch auch das betriebliche Interesse des Arbeitgebers erheblich beeinträchtigen. Dies sei unter anderem dann der Fall, wenn für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr (30 Arbeitstage) Entgeltfortzahlungskosten anfallen. Seien diese Voraussetzungen gegeben, müsse in einem letzten Schritt eine Interessenabwägung erfolgen, welche determiniert, ob der Arbeitgeber solche Beeinträchtigungen billigerweise nicht mehr akzeptieren muss.
Der Beurteilungszeitraum erstrecke sich üblicherweise auf die letzten drei Jahre. Das Gericht hat vorliegend offen gelassen, ob der übliche Referenzzeitraum von drei Jahren wegen besonderer Umstände in diesem Fall auf sieben Jahre ausgeweitet werden könnte, da bereits die Fehlzeiten aus den Jahren 2019 und 2020 für eine negative Gesundheitsprognose nicht ausreichend gewesen seien. Einerseits seien die Fehlzeiten aus dem Jahr 2019 hinter dem Wert von sechs Wochen zurückgeblieben. Andererseits deuteten die einmaligen Erkrankungen aus dem Jahr 2020 nach Auffassung des Gerichts nicht auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hin und waren mithin als nicht prognoserelevant zu betrachten.
Praxistipp
Die vorliegende Entscheidung verdeutlicht die hohe Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers in Bezug auf krankheitsbedingte Kündigungen. Eine frühzeitige gründliche Dokumentation ist unerlässlich, wenn eine krankheitsbedingte Kündigung einer gerichtlichen Überprüfung standhalten soll.
Arbeitgebern ist zu empfehlen, sich ein genaues Bild über die Krankheitszeiten eines Arbeitnehmers zu machen, bevor über den Ausspruch einer Kündigung entschieden wird. Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist dabei in der Regel auch unerlässlich.
Sollte ein Arbeitgeber aufgrund der häufigen Kurzerkrankungen eines Arbeitnehmers zu der Feststellung kommen, dass eine negative Gesundheitsprognose vorliegt, kann der Ausspruch einer Kündigung angezeigt sein. Zu bedenken ist dabei, dass ein weiteres Zuwarten durch den Arbeitgeber im Ergebnis dazu führen kann, dass die einst bestehende negative Gesundheitsprognose aufgrund sich verändernder Umstände wieder wegfällt.