29.07.2024Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Juli 2024

Privilegierte Arbeitnehmerhaftung bei einem Unfall mit dem Dienstwagen

LAG Niedersachsen, Urteil vom 10.04.2024 - 2 Sa 642/23

Mit Urteil vom 10. April 2024 hat sich das LAG Niedersachsen zu den Grundsätzen zur privilegierten Arbeitnehmerhaftung bei einem Unfall mit einem Firmenfahrzeug geäußert. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass einem Mitarbeiter, der beim Rückwärtsfahren ein auf dem Firmenparkplatz abgestelltes Fahrzeug des Geschäftsführers beschädigt, mittlere Fahrlässigkeit im oberen Bereich vorzuwerfen ist.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche wegen eines von dem Arbeitnehmer verursachten Schadens am PKW des Geschäftsführers und an dem von ihm geführten Firmenwagen. Der Kläger war bei der Beklagten in der Zeit vom 01. Februar 2022 bis zum 31. Januar 2023 beschäftigt. Im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses wurde dem Kläger über ein Leasingvertrag ein Dienstfahrzeug der Marke Nissan Leaf überlassen. Hierfür war eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen.

Im Juni 2022 fuhr der Kläger beim Verlassen des Betriebsgeländes mit seinem Dienstwagen rückwärts gegen einen dort geparkten Pkw. Das beschädigte Fahrzeug der Marke BMW gehörte dem Geschäftsführer der Beklagten zu 1) und war zu diesem Zeitpunkt abgemeldet.

Mit seiner Klage begehrte der Arbeitnehmer die Zahlung seiner Bruttomonatsvergütung für den Monat Januar 2023 sowie gesamtschuldnerisch von den Beklagten zu 1) und 2) die Zahlung eines Schmerzensgeldes. Der Beklagte zu 2) ist der Geschäftsführer der Beklagten zu 1). Daraufhin erklärten die Beklagten zu 1) und 2) gegenüber dem Kläger die Aufrechnung mit den Schadensersatzansprüchen, die auf die Beschädigung des Nissan Leafs und des BMWs zurückzuführen seien. Ebenso erhoben sie Widerklage gegen den Kläger.

Entscheidung

Nachdem das Arbeitsgericht Lingen dem Kläger die Vergütungsansprüche in erster Instanz zugesprochen und die Widerklage abgewiesen hatte, sah das LAG Niedersachen die Berufung der Beklagten zu 1) zum Teil als begründet an. Demnach stellte die 2. Kammer des LAG Niedersachen fest, dass der Beklagten zu 1) gegenüber dem Kläger wegen des von ihm verursachten Schadens an dem BMW ein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 1.543,37 EUR gem. §§ 823 Abs. 1, 398 BGB zustehe. Zur Begründung führte das LAG Niedersachsen aus, dass der Kläger durch das Rückwärtsfahren auf dem Betriebsparkplatz dem Beklagten zu 2) kausal einen Schaden zugefügt habe. Der Kläger hafte für den verursachten Schaden jedoch nur anteilig, da sich aus den vom BAG aufgestellten Grundsätzen zum innerbetrieblichen Schadensausgleich eine Haftungsprivilegierung ergebe. Auch in diesem Fall sei der Unfall unstreitig während eines betrieblich veranlassten Handelns des Arbeitnehmers eingetreten. Zudem sei dem Kläger bei der Verursachung des Unfalls mittlere Fahrlässigkeit im oberen Bereich vorzuhalten. Schließlich habe er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und der missbilligte Erfolg sei bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt vorhersehbar und vermeidbar gewesen. Konkret bedeute dies in dem streitgegenständlichen Fall, dass es während des Rückwärtsfahrens geboten sei, permanent durch den Blick in den Innen- und Außenspiegel sowie durch den Schulterblick zu überprüfen, ob die Fahrstrecke frei von Hindernissen sei. Die eingeschränkten Sichtverhältnisse könnten daher auch dazu führen, dass sich der Fahrer durch einen Beifahrer oder eine dritte Person einweisen lassen muss. Aufgrund des fahrlässigen Verhaltens sei daher nach den Grundsätzen der Arbeitnehmerhaftung nur eine anteilige Haftung geboten. Hingegen führen Schadenshöhe, Betriebszugehörigkeit, Vergütungshöhe und die Stellung des Klägers im Betrieb nicht zu einer weiteren Minderung der Ersatzpflicht. Einen Anspruch auf Schadensersatz wegen der Beschäftigung des geleasten Dienstwagens der Marke Nissan Leaf verneinte das Landesarbeitsgericht hingegen, da es der Beklagten zu 1) hierzu bereits an der Aktivlegitimation fehle. Außerdem hätte es der Beklagten zu 1) obliegen, hierfür die Vollkaskoversicherung in Anspruch zu nehmen.

Fazit

Nicht selten kommt es in der betrieblichen Praxis zu Beschädigungen von Firmeneigentum durch Mitarbeitende. Tritt der Schaden während einer betrieblich veranlassten Tätigkeit ein, greifen die Grundsätze zum innerbetrieblichen Schadensausgleich. Die Haftungsprivilegierung hängt in diesen Fällen von dem Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers ab.

  • Bei Vorsatz trägt der Arbeitnehmer die volle Haftung für den entstandenen Schaden. Dies gilt im Regelfall auch für grob fahrlässiges Handeln.
  • Bei leichtester Fahrlässigkeit, d.h. bei einem bloßen „Versehen“, entfällt die Arbeitnehmerhaftung.
  • Handelt es sich dagegen um mittlere Fahrlässigkeit, kommt es zu einer anteiligen Haftung.

Die oben genannten Maßstäbe stellen allerdings nur eine grobe Orientierung dar. Wie so oft sind auch die Umstände des Einzelfalls sowie Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkte zu berücksichtigen. Maßgebliche Faktoren sind unter anderem, wie gefahrgeneigt eine Tätigkeit ist, die konkrete Schadenshöhe, die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers oder die Angemessenheit mit Blick auf die monatliche Vergütung des Arbeitnehmers. Im Einzelfall kann daher von den Voraussetzungen und Grenzen der Haftungsmilderung abgewichen werden.

Als PDF herunterladen

Ansprechpartner

Sie benutzen aktuell einen veralteten und nicht mehr unterstützten Browser (Internet-Explorer). Um Ihnen die beste Benutzererfahrung zu gewährleisten und mögliche Probleme zu ersparen, empfehlen wir Ihnen einen moderneren Browser zu benutzen.