29.08.2024Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht August 2024

Rechtsfolgen von Fehlern im Massenentlassungsanzeigeverfahren – Neue EuGH-Vorlage des BAG

EuGH-Vorlage des BAG vom 23.05.2024, Az. 6 AZR 152/22

Die Frage, wie sich Fehler in der Massenentlassungsanzeige auf die Wirksamkeit von Kündigungen auswirken, geht in eine weitere Runde. Der 6. Senat des BAG hat dem EuGH nunmehr erneut Fragen vorgelegt.

Hintergrund

Der 2. Senat des BAG hatte 2012 entschieden, dass eine im Rahmen einer Massenentlassung erklärte Kündigung stets nichtig ist, wenn im Zeitpunkt ihres Zugangs keine oder eine fehlerhafte Anzeige nach § 17 Abs. 1 und Abs. 3 KSchG vorliegt (BAG v. 22.11.2012 - 2 AZR 371/11). Seither stellen Unternehmen und ihre Berater Massenentlassungsanzeigen zwar stets mit besonderer Vorsicht, angesichts vieler ungeklärter Detailfragen aber dennoch auch immer mit erheblichen Rechtsunsicherheiten.

Anfang 2022 äußerte der 6. Senat erstmals Zweifel, ob jegliche Fehler bei Erstellung der Massenentlassungsanzeige zur Unwirksamkeit der gemeldeten Kündigungen führen können. Er stellte eine Vorlage-Frage an  den EuGH (vgl. BAG v. 27.01.2022 - 6 AZR 155/21 [A]). Hier ging es darum, ob der Zuleitung der Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat an die Bundesagentur für Arbeit aus Sicht der Richtlinie 98/59/EG zur Massenentlassungen (nachfolgend: MERL) Individualschutz gegenüber Arbeitnehmern zukommt. Dies verneinte der EuGH (Entscheidung vom 13.07.2023 – C-134/22).

Im Dezember 2023 fragte der 6. Senat daher im hiesigen Verfahren formal beim 2. Senat an, ob dieser an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalten wollte (BAG v. 14.12.2023 – 6 AZR 157/22 (B) – sog. Divergenzverfahren).

Als Reaktion legte der 2. Senat dem BAG dem EuGH insbesondere die Frage vor, ob trotz Fehlern im Anzeigeverfahren die Sperrfrist des § 18 Abs. 1 KSchG in Gang gesetzt wird (BAG v. 01.02.2024 – 2 AS 22/23).

Der 6. Senat hegte Zweifel an der formalen Vorlageberechtigung des 2. Senats, da dieser nicht direkt mit dem Verfahren betraut war und legte dem EuGH daher mit der hier besprochenen Entscheidung ähnliche Vorlagefragen nochmals vor.

Zugrundeliegender Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung im Rahmen einer Massenentlassung. Entscheidungserheblich ist, ob diese bei der Agentur für Arbeit ordnungsgemäß angezeigt wurde.

Der Insolvenzverwalter der Arbeitgeberin hatte das im Rahmen der Massenentlassung erforderliche Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat zwar begonnen, der Massenentlassungsanzeige aber keine Stellungnahme desselben beigefügt. Ebenso fehlte es an einer ausreichenden Beschreibung des Stands der Verhandlungen.

Da der Geschäftsbetrieb der Arbeitgeberin vollständig eingestellt und alle vergleichbaren Mitarbeiter gleichzeitig gekündigt wurden, kommt es für die Frage der Wirksamkeit der Kündigung entscheidend auf die Rechtsfolge der Fehler bei der Massenentlassungsanzeige an.

Die Vorlagefragen

Der 6. Senat legte dem EuGH zusammenfassend folgende Fragen vor:

  1. Ist der Zweck der Massenentlassungsanzeige erfüllt, wenn die Agentur für Arbeit eine fehlerhafte Massenentlassungsanzeige nicht beanstandet und sich damit als ausreichend informiert betrachtet?
  2. Kann der Zweck der Massenentlassungsanzeige noch erfüllt werden, wenn diese nach Zugang der Kündigung korrigiert, ergänzt oder nachgeholt wird?
  3. Wenn Arbeitgeber bei einer fehlerhaften oder fehlenden Massenentlassungsanzeige durch die Entlassungssperre nach Art. 4 Abs. 1 MERL sanktioniert werden, welcher Anwendungsbereich verbleibt dann insoweit noch für Art. 6 MERL?

Damit wiederholte der 6. Senat im Wesentlichen die Fragen des 2. Senates aus dem Beschluss vom 01.02.2024, ging mit seiner 3. Frage aber auch darüber hinaus. Der dort zitierte Art. 6 der MERL nimmt die Mitgliedstaaten in die Verantwortung, Regelungen zur Durchsetzung der Pflichten aus der MERL zu schaffen. Sollte aber schon aus einem Verstoß gegen Art. 4 MERL eine Unwirksamkeit der Kündigungen folgen, bedürfte es keiner weiteren Sanktionen. Beispielhaft deutet der 6. Senat an, dass – als weitere Sanktion – die Kündigungsfrist bei einer unterbliebenen oder fehlerhaften Massenentlassungsanzeige (in Anlehnung an § 18 Abs. 1 und 2 KSchG) für einen bis maximal zwei Monate gehemmt sein könnte.

Praxishinweis

Insbesondere eine positive Beantwortung der ersten Vorlagefrage durch den EuGH würde zu einer erheblichen Steigerung der Rechtssicherheit in der Praxis beitragen. In den meisten Arbeitsagenturen bestehen Sonderzuständigkeiten für die Prüfung der Massenentlassungsanzeigen. Die jeweiligen Mitarbeiter nehmen sich eingegangenen Anzeigen nach unserer Erfahrung sehr zeitnah an und leiten der Arbeitgeberin häufig innerhalb eines Tages eine Bestätigung zum Eingang der vollständigen Unterlagen zu. Damit bestünde schon vor Ausspruch der Kündigungen Klarheit, dass jedenfalls aus dem formalen Akt der Massenentlassungsanzeige kein Risiko für die ausgesprochenen Kündigungen folgt.

Selbst wenn aber der EuGH die Bundesagenturen für Arbeit derart in die Pflicht nehmen würde, ist mit einer finalen – und damit verlässlichen – Entscheidung des BAG erst in einiger Zeit zu rechnen. Denn der 6 Senat müsste nach der Entscheidung des EuGH die Zustimmung des 2. Senat zur Abweichung von dessen alter Rechtsprechung abwarten. Würde diese nicht erteilt, müsste der 6. Senat gar noch den Großen Senat des BAG anrufen, ehe er in der Sache selbst nach seinem Willen entscheiden kann.

Es deuten sich somit in den diversen Entscheidungen des BAG seit 2022 Erleichterungen für die Arbeitgeber im Umgang mit Massenentlassungsverfahren an. Einstweilen sind sie jedoch gut beraten, auch weiterhin gegenüber der Bundesagentur für Arbeit mit besonderer Vorsicht zu agieren, wenn Massenentlassungen anstehen.

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