Newsletter Arbeitsrecht Mai 2016
Rentnergesellschaften im BetrAVG
BAG, Urteil vom 15.9.2015 – 3 AZR 839/13
Entsteht eine so genannte Rentnergesellschaft dadurch, dass eine zuvor operativ tätige Gesellschaft ihr Geschäft auf einen Dritten überträgt, und ist die Rentnergesellschaft danach gemäß § 16 Abs. 1 BetrVG von der Betriebsrentenanpassung befreit, kann sich in Ausnahmefällen ein Schadensersatzanspruch der Betriebsrentner aus § 826 BGB ergeben, der sich auf die Anpassung der Betriebsrente richtet.
Das Bundesarbeitsgericht musste sich mit der Frage befassen, welche Ansprüche einem Betriebsrentner zustehen können, wenn eine zuvor operativ tätige Gesellschaft durch Veräußerung ihres Geschäftsbetriebs zu einer so genannten „Rentnergesellschaft“ wird, d. h. keine aktiven Arbeitnehmer mehr beschäftigt, sondern nur noch Betriebsrentner bedient. Der klagende Betriebsrentner verlangte gem. § 16 BetrAVG eine Anpassung seiner Betriebsrente an den seit Rentenbeginn eingetretenen Kaufkraftverlust. Die beklagte Rentnergesellschaft (der Versorgungsschuldner) berief sich darauf, dass die Anpassung aufgrund ihrer schlechten wirtschaftlichen Lage zu Recht unterblieben sei und es nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse anderer (Konzern-)Gesellschaften ankomme.
Rechtsprechungsänderung
Zunächst hat das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung zur Rechtsscheinhaftung präzisiert. Während es der bisherigen Rechtsprechung des BAG entnommen werden konnte, der Anschein, ein zur Anpassung von Betriebsrenten verpflichteter Arbeitgeber werde sich im Hinblick auf die Prüfung der wirtschaftlichen Lage nicht nur an seiner eigenen Situation ausrichten, sondern (auch) an der Situation eines Dritten (z. B. einer anderen Konzerngesellschaft), könne auch von dem Dritten ausgelöst werden, hat das Bundesarbeitsgericht nunmehr entschieden, dass dies mit den Grundsätzen über die Rechtsscheinhaftung nicht zu vereinbaren ist. Der Rechtsschein müsse von dem Versorgungsschuldner selbst gesetzt sein.
Unanwendbarkeit des § 242 BGB im Rahmen des § 16 Abs. 1 BGB
Ein in Anwendung von § 16 Abs. 1 BetrAVG gefundenes Ergebnis, nach dem sich ein Versorgungsschuldner auf seine mangelnde Leistungsfähigkeit berufen kann, kann nicht durch Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verändert werden. Wäre es dem Versorgungsschuldner nach § 242 BGB verwehrt, sich auf eine zur Anpassung nicht ausreichende wirtschaftliche Lage zu berufen, würde der Zweck des § 16 Abs. 1 BetrAVG (Erhalt der Vermögenssubstanz) unterlaufen.
Abgrenzung nach der Entstehung einer Rentnergesellschaft
Die durch Veräußerung des Geschäftsbetriebs entstehende Rentnergesellschaft muss nicht mit hinreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet werden, um zukünftige Rentenanpassungen zu ermöglichen. Die vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsätze zu Schadensersatzansprüchen des Betriebsrentners aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 31, 278 BGB bei mangelhafter Kapitalausstattung einer Rentnergesellschaft betreffen nur die im Wege der Ausgliederung nach dem Umwandlungsgesetz entstandenen Rentnergesellschaften, auf die Versorgungsverbindlichkeiten übertragen werden. Sie sind nicht anwendbar auf eine Rentnergesellschaft, die durch Übertragung ihres operativen Geschäfts auf einen Dritten entsteht.
Haftungsgrundlage im Fall der Veräußerung des Geschäftsbetriebs
Ein Anspruch gegen die originäre Versorgungsschuldnerin kann sich in diesen Fällen nach § 826 BGB (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung) ergeben, wenn die herbeigeführte Konstellation nach ihrem Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. In diesem Zusammenhang muss insbesondere berücksichtigt werden, aus welchem Anlass die Veräußerung des Betriebs erfolgte und ob dem Versorgungsschuldner für den von ihm veräußerten operativen Geschäftsbetrieb eine (marktgerechte) Gegenleistung zugeflossen ist. Dies bedarf insbesondere in Fällen der konzerninternen Übertragung des operativen Geschäfts von einer Gesellschaft auf eine andere der Betrachtung.
Fazit
In dem Urteil ist die aktuelle Rechtsprechung des BAG zur Betriebsrentenanpassung im Konzern zusammengefasst. Bei Konzernsachverhalten wird zukünftig damit zu rechnen sein, dass neben Klagen auf Anpassung von Betriebsrenten gem. § 16 BetrAVG häufig auch Schadensersatzansprüche gem. § 826 BGB geltend gemacht werden. Arbeitgeber werden damit rechnen müssen, dass sie dann im Prozess je nach Vortrag des klagenden Betriebsrentners die wirtschaftliche Vertretbarkeit von Betriebs- oder Unternehmensveräußerungen oder auch anderer Vertragsgestaltungen zwischen Konzernunternehmen darlegen müssen.