Newsletter Arbeitsrecht Juli 2014
Unterrichtung der Arbeitnehmer bei Betriebsübergang auf neu gegründete Gesellschaft
BAG, Urteil vom 14.11.2013, 8 AZR 824/12
Geht ein Betrieb im Wege eines Betriebsübergangs auf eine neu gegründete Gesellschaft über, so sind die vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer ausdrücklich auf die fehlende Sozialplanpflichtigkeit des Betriebserwerbers hinzuweisen, andernfalls ist die Unterrichtung fehlerhaft.
Unter anderem aus diesem Grund hat das BAG in seiner Entscheidung einem Arbeitnehmer Recht gegeben, der einem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nach längerer Zeit widersprochen und den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit seiner alten Arbeitgeberin geltend machte. Der Kläger war seit gut 20 Jahren bei einer Gesellschaft als „Callcenter Agent“ tätig gewesen. Das Callcenter wurde im Frühjahr 2008 im Wege eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB auf eine neue Arbeitgeberin übertragen. Die übernehmende Gesellschaft war erst wenige Monate vor dem Betriebsübergang als sog. „Vorratsgesellschaft“ gegründet worden. Der Kläger erhielt im Januar 2008 von seiner bisherigen und jetzt beklagten Arbeitgeberin zwei Schreiben, in denen er über den bevorstehenden Übergang seines Arbeitsverhältnisses unterrichtet wurde. Der Betriebsübergang erfolgte sodann zum 1. März 2008.
Im Sommer des Jahres 2010 kündigte die Betriebsübernehmerin eine Stilllegung des übernommenen Callcenters an und erklärte aus betriebsbedingten Gründen die Kündigung aller Arbeitsverhältnisse im Callcenter, einschließlich des übergegangenen Arbeitsverhältnisses des Klägers. Erst zu diesem Zeitpunkt erklärte der Kläger nachträglich einen Widerspruch gegen den gut zwei Jahre zuvor vollzogenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses gem. § 613a Abs. 6 BGB und machte den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten geltend. Seine alte Arbeitgeberin wehrte sich dagegen. Sie berief sich insbesondere darauf, dass der erst im Jahr 2010 erfolgte Widerspruch wegen der schon im Januar 2008 erfolgten Unterrichtung verspätet sei. Jedenfalls habe der Kläger ein etwaig fortbestehendes Widerspruchsrecht durch seine mehrjährige Tätigkeit bei der Betriebsübernehmerin verwirkt.
Unvollständige Unterrichtung
Das Bundesarbeitsgericht ist zu einer anderen Auffassung gelangt und hat dem Kläger Recht gegeben. Die Unterrichtung des Klägers hat das Bundesarbeitsgericht – unter anderem – deswegen für fehlerhaft gehalten, weil sie keinen Hinweis darauf enthalten habe, dass die Betriebsübernehmerin als erst kürzlich gegründete Gesellschaft von den Privilegierungen des § 112a Abs. 2 BetrVG profitierte. Nach dieser Vorschrift können Unternehmen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung von einem bestehenden Betriebsrat im Falle einer sog. Betriebsänderung (§ 111 BetrVG) regelmäßig nicht gezwungen werden, zur Abmilderung der wirtschaftlichen Nachteile negativ betroffener Arbeitnehmer (z. B. Abfindung bei Arbeitsplatzverlust) einen Sozialplan aufzustellen. Ein gesetzlich vorgesehener Ausnahmefall für Neugründungen im Zusammenhang mit der rechtlichen Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen lag in der vom BAG entschiedenen Konstellation nicht vor. Dass sich aus den Informationen, die der Kläger über die Betriebsübernehmerin erhalten hatte, deren Gründungsdatum und damit auch die Privilegierung nach § 112a Abs. 2 BetrVG leicht hätte erschließen lassen, erachtet das BAG für unerheblich. Vielmehr hält das BAG es für notwendig, dass die Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB auf die Privilegierung des § 112a Abs. 2 BetrVG dezidiert hinweist. Unerheblich soll dabei auch sein, dass die Betriebsübernehmerin, worauf sich die Beklagte im entschiedenen Fall zutreffend berufen hatte, zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs die spätere Betriebsstilllegung unstreitig noch nicht geplant hatte.
Keine Verwirkung
Auf eine Verwirkung des Widerspruchsrechts des Klägers konnte die Beklagte sich gleichermaßen nicht erfolgreich berufen. Der Kläger hatte – über die bloße Weiterarbeit bei der Betriebsübernehmerin bis zur Ankündigung der Stilllegung des übernommen Betriebs hinaus – keine weiteren Umstände gesetzt, die nach der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des BAG darauf hätten schließen lassen können, dass er von seinem Widerspruchsrecht keinen Gebrauch mehr machen möchte.
Fazit
Die Entscheidung des BAG bestätigt einmal mehr, dass die Abfassung von Unterrichtungsschreiben nach § 613a Abs. 5 BGB äußerster Sorgfalt bedarf und dass letzten Endes aus praktischer Sicht immer das Risiko einkalkuliert werden muss, dass die Gerichte im Nachhinein eine Unterrichtung für unzureichend erachten können. Neben einer sorgfältigen Arbeit an einem ordnungsgemäßen Unterrichtungsschreiben ist es deswegen wichtig, dass sich insbesondere der Betriebsveräußerer, zu dem widersprechende Arbeitnehmer gem. § 613a Abs. 5 BGB „zurückkehren“ können, nach Möglichkeit gegen die wirtschaftlichen Folgen solcher verspäteter Widersprüche absichert.